Von Celine Langhorst
Mich durchströmt eine Eiseskälte. Sie umgibt mich von innen und von außen. Im Herzen, da finde ich nichts Gutes wieder; alles ist dunkel, durcheinander und überflutet.
Es ist, als ob mein Dasein in ein eisiges Loch des Abgrunds eintaucht, in dem die Kälte zu kalt ist, um sich warm genug dafür anziehen zu können.
Die Kluft, die mich umgibt, zeigt mir, wie die Zeiten spielen. Jeder einzelne Atemzug besteht aus Sekunden, welche der Geist nicht vergisst. Genau das ist das, was mich gefangen hält und zerstört.
Ich blicke die Kluft entlang und kann sie nicht verdrängen. Wie ich um sie herum kommen kann, kann ich nicht sehen. Vor mir tritt die Vergangenheit auf und zeigt mir ihre Wunden.
In meinem Leben passiert einfach zu viel. Alles tritt immer wieder vor meinen Augen auf, lässt mich nicht zur Ruhe kommen und sorgt dafür, dass ich ständig mit mir selber kämpfe. Das Negative ist tief in mir verankert, da es eine zu große Wirkung meinerseits hervorgerufen hat. Auch wenn es zwischendurch Lichtblicke gibt, taucht das bereits Geschehene, was ich innerlich weggeschlossen habe, immer noch gerne auf oder wird von Personen wieder hervorgerufen.
In den Abgrund stürzen nicht nur meine Freunde, die ich räumlich verloren habe. In den Abgrund stürzen auch meine Ärzte, die ich durch das Alter verliere. In die Tiefe fällt meine Kraft und aus der Tiefe dringt ein Arm eines erheblich älteren Mannes, welcher versucht mich hineinzuziehen. Seine Handlungen erscheinen bildlich vor meinen Augen. Er ignoriert meine Individualdistanz, kommt mir zu Nahe und überschreitet somit Grenzen. Meine Akzeptanz zu mir selber hat er damit jedenfalls zum Fallen gebracht.
Immer wieder sehe ich nicht nur die fallenden Personen, sondern auch, wie ich regungslos dastehe und nichts sage, obwohl ich zum Aufhören aufschreien müsste. Auch wenn ich das Geschehen nicht will, bleibt mein Mund verschlossen. Die Schockstarre hat eingesetzt, zeigt Wirkung und lässt Bilder sprechen, denn beim Aufschrei könnte es schlimm enden.
Ich weiß, dass das Leben aus Epochen besteht und wir uns in jeder neu kennenlernen müssen. Hier hat sich mein gesamtes Ich geändert und das wieder kennenzulernen, das wird dauern.
Wie soll ich denn nun über den Abgrund hinweg kommen, wenn ich ihn alleine besiegen muss. Schimmer von Menschen, die mir helfen wollen, kann ich erkennen. Ich weiß, dass es sie gibt! Dennoch stehe nun mal nur ich selbst an der Klippe, fühle, was ich empfinde und nicht die anderen. Die Klippe besiegen, dass muss also wohl oder übel ich alleine. Kontakte können mir zur Seite stehen, mir Tipps geben und mir ihre Hände reichen, aber bezwingen muss ich die Kluft. Es wird dauern, doch ich weiß, ich werde es schaffen, denn aufgeben kann ich nur einmal und das tue ich nicht.
Es gibt Lichtblicke und die muss ich mir sichtbar hervorrufen. Dann wird die Kälte auch wärmer, sodass irgendwann die Geschehnisse verblassen. Menschen werden mir momentan jedenfalls reichlich zur Hand gegeben und dafür bin ich sehr dankbar. Ich glaube, dass jemand gewartet hat, bis ich nicht mehr kann und er mir erst jetzt die Helfer zur Unterstützung schickt, damit ich sehe, wie stark und willensbereit ich bin. Vermutlich soll mir durch die positiv auftretenden Momente nahegebracht werden, dass es im Leben immer weiter geht und ich zu viele schöne Begebenheiten verpassen würde, wenn ich mich den Abgrund hinunter stürzen würde.
Worte, wie: „Du legst mir die Hand auf die Schulter, schaust mich an und bist einfach hier, läßt mir Zeit, zeigst mir die Ewigkeit, bis ich seh, dass ich nichts verlier.“, muss ich mir immer und immer wieder ins Gedächtnis rufen. Dann fällt es auch leichter, die Hürden zu überwinden und frei denken zu können. Zuletzt werde ich also gestärkt auf die Tiefe hinabblicken und schauen, wie die Kluft sich schließt.