Von Dagmar Droste

Der Nieselregen hüllte die Stadt in ein winterliches Grau. Wenige Menschen waren an diesem Spätnachmittag unterwegs. Wer nicht dringende Besorgungen erledigen musste, zog sein Zuhause vor.

 

Fabian schlenderte durch die Straßen. Besser, als sich das Gerede seiner Alten anhören zu müssen. „Hast du deine Schularbeiten erledigt?“ Natürlich nicht! Das hatte er schon lange eingestellt. Die würden sich am Ende des Schuljahres wundern. Immer diese Bevormundungen, dieses Genörgel. Ihre mahnenden Sprüche interessierten ihn nicht. Tu dies nicht, tu das nicht. Die hatten sowieso keine Ahnung von ihm.

 

Die Feuchtigkeit hatte aus seinen blonden Locken kleine Kringel geformt, die ihm auf der Stirn klebten. Er trat gegen den Papierkorb, der am Straßenrand stand und überquerte die Straße. Im Bäckerladen kaufte er sich eine Cola und einen Berliner. Das waren seine kleinen, häufig durchgeführten Unternehmungen, die ihm Genugtuung bereiteten. War doch egal, ob sein Zuckerspiegel hochschnellte, er hatte heute Mittag schon gespritzt. Genüsslich biss er in den Berliner, dass ihm die Marmelade am Arm herunterlief. „Schweinerei“, murmelte er. Immer wieder die gleiche Sauerei, aber er liebte das Fettgebackene. Er schüttete die Cola in sich hinein und warf den Pappbecher achtlos auf den Boden. Heute war aber auch gar nichts in der Stadt los.

 

Auf der Bank, nahe der Stadtsparkasse, saßen zwei Jugendliche, die Kapuzen tief ins Gesicht gezogen. Vielleicht konnte man gemeinsam was losmachen. Die Augen auf die Bank gerichtet lief er in eine alte Dame. Der Inhalt ihrer Einkaufstasche ergoss sich auf dem Gehweg.

 

„Hey Oma, mach Platz, pass auf, wo du hinläufst.“

 

Diese sammelte mühsam ihre Einkäufe wieder ein. Fabian würdigte sie keines weiteren Blickes und eilte auf die Bank mit den beiden Jugendlichen zu.

 

„Na, Blondlöckchen, da hast du die Oma aber auflaufen lassen“, wurde Fabian von den beiden an der Bank wohlwollend empfangen.

 

Er grinste. „Klar, Kleinigkeit!“

 

„Du scheinst ja eine Menge drauf zu haben.“ Sie sahen ihn aufmerksam an.

 

„Hast du Lust, was mit uns zu machen?“

 

„Ja klar!“ Cool, ging es Fabian durch den Kopf, neue Freunde.

 

„Pass auf, die Alte hat gerade ihre Brocken wieder eingesammelt und geht jetzt zur Sparkasse. Wenn sie zurückkommt, nehmen wir sie uns vor.“

 

„Was soll ich dabei?“

 

„Du kennst sie schon. Weißt, mit ihr umzugehen. Geschickt, wie du bist, so super, wie du vorhin reagiert hast.“

 

„Okay. Was liegt an?“

 

„Wir stellen uns gleich vor sie, stoppen sie und du mopst ihre Handtasche. Das Geld teilen wir.“

 

Geld war noch nie ein Thema für ihn gewesen. Er hatte immer reichlich Taschengeld. Mutters Portemonnaie lag herum, da konnte er sich bedienen. Aber das waren schon coole Typen. Zwei Freunde, das wäre super. Vielleicht konnte man sich ja auch häufiger nachmittags treffen.

 

Die alte Dame verließ die Stadtsparkasse, überquerte den kleinen Vorplatz, auf dem sich außer den drei Jugendlichen niemand mehr aufhielt. Sie näherte sich der Bank. Die beiden ‚Freunde‘ stellten sich ihr in den Weg.

 

„Oma, hier geht es nicht weiter“, grinsten sie die alte Dame an.

 

„Was wollt ihr von mir?“ Ihre Stimme zitterte.

 

Die beiden bauten sich drohend vor ihr auf.

 

„Kohle, wollen wir. Was brauchst du noch so viel in deinem Alter?“ Sie lachten.

Die Einkaufstasche fiel an diesem Tag ein zweites Mal auf den Boden. Die Handtasche fest an sich gedrückt, appellierte sie an die beiden.

 

„Ich habe nur wenig Rente, lasst sie mir.“

 

Ihr Körper bebte, bevor die beiden ihr einen kräftigen Schubs versetzten und sie zu Boden ging. Fabian riss ihr die Tasche aus der Hand, die die Jungs ihm sofort abnahmen und flohen.

 

Verdutzt stand Fabian auf dem kleinen Vorplatz.

 

„Verdammte Mistkerle, verarscht haben die mich, alles wegen der Alten“, wütend trat er gegen die Einkaufstasche.

 

„Hilf mir! Bitte!“, flehte sie ihn an und streckte ihren Arm zu ihm aus.

 

Er starrte in das schmerzverzerrte Gesicht der am Boden liegende Frau und zückte sein Smartphone.

 

„Hey, lach mal, Oma!“

 

Der Blitz erhellte ihr Gesicht. Er ließ sie liegen, drehte sich um und  ging durch das winterliche Grau nach Hause.

 

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