Stefan Dargelis

Wieder bin ich an Platz Nummer 28: ein kleiner Tisch für zwei Personen. Ich sitze immer gern allein und hocke neben der Schwenktür, die auf und zu wackelt, wenn der Kellner die Speisen holt und bringt. Erneut öffnet sich die Tür und die Bedienung zieht eiligen Schrittes dem letzten Platz des Ganges entgegen. Ein Windhauch trägt etwas Vertrautes heran. Hier halte ich mich gern auf.

Der Magen knurrt. Ich warte auf das Essen und höre dem Gegrummel zu. Ich bin schon so lange allein und stelle mir vor, dass mein Bauch zu mir spricht. Das Knurren klingt aber nicht freundlich, sodass mir in den Sinn kommt, dass das ein Hund sei.

Als die Tür zur Küche aufspringt, bringt mir eine junge Frau das Essen. Ich bestelle stets das Gleiche. Vorweg einen Teller Gemüsesuppe. Die Suppe schwappt, als sie auf den Tisch gestellt wird. Die Kellnerin lächelt mich an. Sie ist neu.

»Bitte schön, der Herr«, sagt sie und nickt dazu. Ihre aufgeblähte Lockenfrisur wackelt bei jeder Bewegung hin und her.

Ich sehe sie an, bedanke mich und atme erleichtert auf, als sie sich entfernt. Endlich bin ich wieder allein. So wie die etlichen Male vorher.

Ich rühre die Suppe mit dem Löffel im Kreis. Etwas ist anders als sonst. Ich starre dem sich wirbelnden Gemüse nach und staune. In der Mitte bildet sich eine Fettlache, in der sich ein der Bewegung der Suppe folgendes Haar treibt. Nicht lang, doch mühelos zu erkennen. Es dreht sich im Zentrum des Tellers wie die Nadel in einem Kompass. ›Wo bleibt sie stehen?‹, rätsel ich. In Richtung der Küche stoppt sie. Ist das ein Hinweis auf die schuldige Person? Völlig egal! Sie wird nicht merken, ob ihr ein Haar fehlt oder nicht. Was soll ich ihr sagen, wenn sie das Hauptmenü bringt?

Während ich überlege, schießt der Kellner an mir vorbei und verschwindet hinter den Schwenktüren. Die Türen erinnern an die eines Saloons, aus denen ein Cowboy nach draußen fliegt. Ich sitze weiterhin da und mustere die dampfende Suppe, die darauf wartet verspeist zu werden. Ich lege den Löffel ab und sehe über dem Schwenkholz, wie sich die Frisur auf mich zubewegt. Jetzt kommen zwei Teller in Sicht. Ein mit Fleisch gefüllter und ein kleinerer mit der Salatbeilage. Ich überlege, ob ein weiterer Gast ebenfalls ein Haar in der Suppe hat.

Im nächsten Moment steht sie mit dem Essen bei mir. »Mein Herr. Ihre Suppe …«, stammelt sie. »Sie haben sie nicht gegessen.«

»Sie haben recht«, erwidere ich verlegen. »Ich kann diese Suppe nicht essen.«

»Jetzt sagen Sie nicht, dass sie kalt ist«, faucht sie und rümpft prüfend die Nase.

»Nein, das ist es nicht.«

»Sie haben es sich überlegt und wollen was anderes, stimmt’s?«

»Nein, das ist es auch nicht«, widerspreche ich und schiebe ihr den Teller vorsichtig entgegen.

»Sie wollen gar keine Suppe. Ist es das?« »Ich nehme sie wieder mit. Sie müssen ja keine Suppe essen, wenn sie nicht wollen.«

»Doch, ich will ja! Aber nicht diese!«

Die Kellnerin sieht mich fragend an. »Was ist mit der Suppe?«

Ich senke kurz den Blick, nehme meinen Mut zusammen und antworte: »Es ist ein Haar in der Suppe!«

Ungläubig neigt sie ihren Kopf, um daraufhin dicht über dem Teller zu suchen.

»Wo ist es?«, fragt sie.

Ich starre in die Gemüsesuppe und schüttele den Kopf. »Im Moment kann ich es nicht sehen«, sage ich und bewege meine Augen oberhalb des Porzellantellers im Kreis.

»Na also! Da ist kein Haar in der Suppe.« Unsere Köpfe hängen über dem Porzellan.

»Da ist es ja! Ich habe es«, rufe ich.

»Wo denn?«

»Mitten im Fettauge!« Ich nehme den Löffel und fische das Haar aus der Suppe. Wie ein Laborant begutachte ich jenes und schiebe es in Richtung der Bedienung.

»Geben Sie mal her«, befiehlt die Kellnerin.

»Hier, sehen Sie selbst!«

Sie nimmt den Löffel, beäugt mich und danach wieder das Beweisstück.

Deutlich erkenne ich, dass sie versucht, sich herauszureden. »Und? Habe ich recht?«, prahle ich, verschränke meine Arme demonstrativ vor der Brust. »Das ist kein Haar!« Grinsend steckt sich die Bedienung den Löffel in den Mund, um jeglichen Beweis zu vernichten. »Das war eine Selleriefaser!«

 

Version 2