Von Bernd Kleber

Die Schweißperlen auf meiner Stirn quellen in kleinen Pfützen zusammen, bevor sie sich als Rinnsale zu Flüssen vereinen und durch mein Gesicht fließen. Einige branden ins Auge, brennen.

Ich starre vor mich hin. Sehe auf meine Hände, die zittern. Unter mir bildet sich eine kleine Lache aus den herabstürzenden Schweißfällen…

Atme ein, aus…

Der Schweiß auf meinem Rücken erkaltet, das Hemd ist klitschnass und klebt an der Haut, ich erhebe mich.

Sehe mich um und nehme die ersten Stücke in die Hand. Zerbrochen! Die Vase meiner Großeltern mit den Streublumen. Kaputt. Ich lasse die Scherben fallen. Es scheppert nochmal.

Das alte Buch, eine Dokumentation über das Berliner Schloss, der Rücken gebrochen, liegt in drei Broschüren da. Hatte kurz geflattert wie ein zu fetter Adler, war dann abgestürzt als Ikarus. Höhenflug zu nah an der Sonne. Zerschmettert! Teure geliebte Antiquität.

Das Service hatte versucht, aus der Vitrine zu fliehen, als diese umstürzte. Einige Tassen waren gerollt, hatten sich ihrer Henkel zum Fortkommen entledigt. Meißen! Alles kaputt.

Die Scherben des Glasschranks köpften Deckel der Zuckerdose und Kannen.

Die Fensterscheiben zerbrochen, es zieht. Es geht immer noch ein Wind durchs Haus, als suche er Reste, die er zerstören könne, wie Mars, der Kriegsgott, getarnt als Luftzug.

Es ist sonst ruhig. So still. Kein Vogel singt. Alle halten den Atem an. Die Erde scheint im Schock ihr stoisches Drehen zu pausieren. Nur mein Atem stampft und wird aber auch ruhiger.

Bei jedem Schritt knirscht etwas. Auf dem geöffneten Atlas rutsche ich fast aus. Trete auf Südamerika, die Seite zerreißt und rutscht mit meinem Fuß Richtung Meißen.
Von meinen Unterarmen tropft Blut aus den Schnittwunden. Macht ein klackendes zartes Geräusch.

Jeden Tritt setze ich sehr konzentriert und bedächtig. Will nicht nochmal stürzen. Mein Kinn brennt dort, wo der Kerzenleuchter den Fall meines Körpers gestoppt hatte. Das hatte sich angefühlt, als würde mein Unterkiefer ausgerenkt. Ein Zahn war angstvoll aus dem Mund gesprungen mit rotem nassem Rock und klebt nun auf einer Scherbe des Topfes, der einmal Zuhause des Gummibaumes war. Ficus elastica. Vielleicht ist er so elastisch, dass ich ihn später retten kann.

Die Schritte knirschen immer noch. Bis ich aus dem Zimmer raus bin.
In der Küche greife ich den Besen und gehe zurück.

Es sieht aus wie nach einem Bombenanschlag, denke ich. Woher will ich wissen, wie das aussehen müsste? So stelle ich mir das jedenfalls vor!

Ich muss mich nochmal hinsetzen. Die Flasche Rotwein, aus der es immer noch pulsierend schwappt, hebe ich reflexschnell auf und halte sie mir an den Mund. Tiefe Schlucke nehme ich.

Der Wein bahnt sich seinen Weg in den Magen. Macht mich schlagartig warm. Als ich ausatme hauche ich „ahhhhhhh“. Dann wische ich mit dem Handrücken meine Lippen ab.

Die Flasche halte ich einige Zentimeter von mir entfernt hoch. Und freue mich über mehr von dem Gesöff. Ich schiebe meine Haare aus der Stirn, klebnass hatten sie sich mit der Haut vereinigt.

Ich betaste das Kinn, es schmerzt, dass ich zusammenzucke. Ich muss mir auf die Lippe im Mundraum gebissen haben. Es schmeckt nach Wein und Blut. Metallisch.

Ich will die Flasche auf das Beistelltischchen stellen, keine Glasscheibe mehr, nur eine rechteckige Öffnung, durch das man die untere Ablage erblicken kann. Besät mit Scherben.

Warum ist alles aus Glas und Porzellan?

Dann durchfährt mich ein eiskalter Schauer. Ich öffne meinen Mund. In mir breitet sich eine unheimliche Gewissheit aus. Mein Blick beginnt hektisch im Raum auf Suche zu gehen, kreisend. Ich höre, wie ich brülle… „Samanthaaaaaaaaaaa!“

Ich reiße den Couchtisch beiseite. Springe auf die Couch und sehe dahinter. Ich drehe mich ruckartig herum und schaue zu den Fenstern.

Ich katapultiere mich wieder auf den Boden, verliere auf den Scherben den Halt, strauchele, fange mich ab, renne weiter. Hinter dem Sessel! Da kauert sie. Meine Samantha!

Hauchend sanft flüstere ich: „Samantha? … Alles gut?“ Meine Hand schwebt über die Sessellehne abwärts. Ich taste nach ihr. Sie atmet. Sie hat sich ganz steif zusammen gekauert. Klug! Neben ihr liegt eine sehr große Scherbe. Wenn die sie getroffen hätte, wäre meine Katze tot. Ich schiebe sie ein wenig. Sie rührt sich nicht, hart sind ihre Muskeln. Angespannt. Wie eine feste Sofarolle. Sie faucht mich drohend an. Ich schrecke zurück.

Nun drehe ich mich auf die Sitzfläche und sitze wieder. Beide Hände fassen meine Stirn. Meine Kleidung, alles dunkel gefärbt von Schweiß und Blut!

Das Telefon liegt vor mir und ich höre einen Dauerton. Ich hebe den Hörer auf, kippe das Gerät in seine Grundstellung und lege den Telefonknochen auf. Stille umfängt mich wieder!

‚Was hatte sie gesagt? Nicht viel! Ich erinnere mich jedoch an davor. Bevor der Sturm losbrach, drohte der Tag schon mit diesen dunklen Wolken. Sie verhießen nichts Gutes. Wie ein Gewölk aus Stahl hatten sie sich erhoben und einige Flocken hatten sich in meinem Magen festgesetzt wie alte Topfkratzer. Alles hatte zusammengepasst, das Licht in diesem Aluminiumgrau, die Magenkrämpfe. Ich hatte aus dem Fenster geblickt, als das Telefon geklingelt hatte. Und dann rauschte es nur noch. Mein Blick war auf das kalte Grau vor dem Fenster gerichtet, das sich so unheilvoll genähert hatte. ’

Ich nehme wieder den Besen und beginne nun alles zusammen zu schieben. Auf dem Teppich geht das schwerer als auf dem Parkett, wo ich unter den Porzellanscherben große Schrammen finde.

Das Geräusch der Vereinigung all des Schutts klingt irgendwie befreiend, wie Applaus, dass es sich jetzt findet und sammelt und klärt…

Samantha rennt schreiend aus dem Zimmer, klingt als hätte ihr jemand auf den Schwanz getreten.

Ich sehe sie im Korridor um die Ecke fliegen. Der Schwanz dick und buschig.

Irgendwann habe ich einen großen Haufen vor der Zimmertür und beginne diesen mit der Schippe in einen Müllbeutel zu bugsieren. Der Schorf an meinen Unterarmen spannt und sieht bröselig aus. Bröselig wie die brechende trockene Erde in einer Steppe ohne Regen.

Ich gehe ins Bad. Was ich im Spiegel sehe, ist ein Gespenst. Tiefe Falten um Mund und auf der Stirn, blutverschmiert. Die Wunde am Kinn, Unterlippe dick. Meine Unterarme fußbodenrotbraun von diesem krustigen Blut.

Ich wasche mich. Hände voll Wasser schaufele ich in mein Gesicht. Irgendwann denke ich, duschen wird besser sein. Ziehe alle Kleidung aus und gehe in die Duschkabine. Der harte Strahl trifft meine Haut wie kalte Nadelstiche. Die Erschöpfung fließt mit dem Nass strudelnd in den Abfluss und Trauer macht sich breit. So viel Zerstörung um mich herum.

Beim Abtrocknen duftet es jetzt frisch. Ich tupfe die verletzten Stellen nur leicht mit dem Handtuch.

Dann klingelt es. Ich hebe den Kopf, neige ihn, lausche. Das Telefon!

Langsam schreite ich ins Zimmer, hocke mich hin. Greife den schwarzen Hörer.

„Ja, bitte?“

„Henrik? Wie geht es Dir? Ich mache mir Sorgen!“

„Es geht so… danke, es tut mir leid… so viel Zerstörung!“

„Ich hörte nur noch Poltern, Klirren, Schreien und Bersten! Furchtbar!“

„Es tut mir so leid… ich habe schon begonnen aufzuräumen.“

„Henrik, du brauchst ein Antiaggressionstraining. Eine Therapie. Es geht nicht, weil wir nicht mehr miteinander leben können, dass Du die ganze Bude zusammenschlägst! … Hörst du?“

Ich schnaufe! „Ja, ich sehe schon ein … Ich brauche professionelle Hilfe. … Leb wohl!“, der Hörer macht ein ganz bescheidenes Klackgeräusch auf der Gabel. Abschließend!

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