Von Helga Rougui

Es war einmal ein Königspaar, das sich verzweifelt einen Thronfolger wünschte. Sie hatten schon alles versucht, von Knaus-Ogino bis Marathonsex, aber nichts fruchtete.

Sie gaben auf. Immerhin hatten sie eine Tochter, und zu gegebener Zeit würde eben das Thronfolgegesetz zugunsten einer weiblichen Filiation geändert werden müssen.

Der König widmete sich wieder seinen Rennpferden, während sein Premierminister das Königreich in Schuß hielt. Die Königin kämmte jeden Tag ihre Tochter, bevor sie sich mit der Backmamsell in die Küche zurückzog, um die ultimative Schwarzwälder Kirschtorte zu kreieren. Ansonsten kehrte in das Sexleben der Königs der normale entspannte Rhythmus zurück, einmal ein Quickie mittwochs morgens, und ein ausgiebiger Beischlaf jeden Sonntagabend – es sei denn, es käme Tatort im Fernsehen, und da der ziemlich regelmäßig kam, hatte der König an diesen Abenden keine Gelegenheit dazu, und so blieb eigentlich nur der Mittwochsquickie.

Einer von diesen war dann auch verantwortlich dafür, daß die Königin wieder schwanger wurde – trotz aller Torten, die sie sich inzwischen einverleibt hatte. Gerade wegen der Torten, die ihre Figur leicht verändert hatten, merkte sie es selbst erst, als sie im siebten Monat war, aber das schmälerte die übergroße Freude des Paares nicht, konnten sie doch erneut auf einen männlichen Erben hoffen.

Der Tag der Geburt kam, die Königin biß die Zähne zusammen und gebar – eine Tochter.

Doch bevor der König, der bei der Geburt anwesend war, ein dummes Gesicht machen oder etwas Unverzeihliches von sich geben konnte, gebar sie sofort hinterher noch einen Knaben –  Hurra! Die Erbfolge war gesichert. Und jeder wußte nun, daß die Königin nicht wegen der Torten so immens dick, sondern weil sie mit Zwillingen schwanger gewesen war.

Das Mädchen wurde Ludivine getauft und verschwand im Kinderzimmer bei der Amme, die auch Faustine, die erste Königstochter, betreute.

DasTauffest des kleinen Prinzen Karl wurde dagegen groß gefeiert.

Es gab ein rauschendes Fest, es wurde Tango getanzt, ein Büfett mit den feinsten Leckereien stand bereit, und als Höhepunkt des Abends waren die Acht Guten Feen eingeladen, um dem Knaben ihre guten Wünsche fürs Leben mitzugeben.

Die Erste Gute Fee trat an die Wiege und verpaßte dem Jungen eine niedliche Nase.

Die Zweite Gute Fee wünschte ihm kastanienbraune Locken.

Die Dritte Gute Fee verlieh ihm sensible Fingerlein, um Topflappen zu häkeln.

Die Vierte Gute Fee gab ihm große Füße, damit er auf ihnen leben konnte.

Die Fünfte Gute Fee schenkte ihm die Fähigkeit, Gemüsecurry zu kochen.

Die Sechste Gute Fee und die Siebte Gute Fee hatten sich mangels einer eigenen originellen Idee zusammengetan und überreichten ihm eine 10er Karte für die Algarve-Sauna in Kaarst.

Die Achte Gute Fee gab ihm … gab ihm … alle Welt drehte sich um und um und schaute umher … wo war die Achte Gute Fee? Sie war nicht da.

Das Königspaar und die Gäste standen etwas herum und überlegten, wie es jetzt weitergehen könnte.

Da klopfte es an der Tür. Die Achte Gute Fee trat ein. Sie hatte die Einladung gerade erst vor zwei Minuten gefunden, weil ihr dicker fetter schwarzer Kater eine Woche lang drauf gelegen hatte, ohne sich wegzurühren. Als er dann doch endlich einmal aufstehen mußte, weil er mal mußte, fand sie die völlig zerknitterte Einladung und machte sich unverzüglich durch ihr spezielles Feenwurmloch auf den Weg.

Alle freuten sich, sie zu sehen. Sie freute sich auch – sie war zwar etwas traurig, weil das Büfett schon leergefressen war, aber immerhin kam sie zur Gabenverteilung noch gerade zeitig genug. Sie erkundigte sich, was ihre Schwestern dem Knaben verabfolgt hatten, und dachte bei sich – meine Güte, was für altmodischer, einfallsloser Mist ist denn da zuammengekommen. Topflappen, tz tz tz. Der Junge muß auf der Höhe der Zeit sein, wenn er mal ins regierungsfähige Alter kommt. 

So hat sie zukunftsorientiert nachgedacht und überreichte ihm (bzw seinem Vater zur Aufbewahrung) ein Iphone 28plus (das würde es geben, wenn der Prinz sein 16. Lebensjahr erreicht hatte), dazu gab es eine bruchsichere Hülle und unsichtbare Kopfhörer.

Prinz Karl wuchs heran, und alle Geschenke der Feen erwiesen sich als durchaus brauchbar.

Mit seiner hübschen Nase und seiner kastanienbraunen Lockenpracht war er der Schwarm aller Königstöchter. Seine Topflappen waren die schönsten im Handarbeitsunterricht, und seine großen Füße wurden mit handgefertigten Schnürschuhen von Magnanni bestückt. Kochen war seine Leidenschaft, und in kürzester Zeit wurde er der Veggie-Papst des Königreichs. Die Saunakarte hob er sich für später auf.

Nur die Gabe der Achten Guten Fee bekam er noch nicht zu Gesicht. Das Iphone befand sich in der Schublade ganz unten links in seines Vaters Schreibtisch, und es langweilte sich dort keineswegs, denn es wußte, seine Stunde würde kommen. Gollum.

Eines Tages war dem Prinzen etwas aufmüpfig zumute. Er entschloß sich, mal was anderes zu versuchen – nämlich statt der Topflappen kleine weiße Spitzendeckchen zu häkeln. Aber alle seine Häkelnadeln waren dafür zu grob. Er hatte schon überall im Schloß gesucht und nun war seine letzte Hoffnung, eine passende Häkelnadel in seines Vaters Arbeitszimmer zu finden.

Ein völlig unsinniger Gedanke, aber das Schicksal liebt es, nicht ganz logisch zu funktionieren. Der Prinz trat also an den Schreibtisch des Königs und begann ihn zu erforschen. Gleich in der obersten Schublade fand er eine 2er Packung Häkelnadeln Größe 0,5 mm (völlig unverständich, was sie da taten – außer Schicksal spielen natürlich), die er sich sofort unter den Nagel riß. Er wollte schon das Arbeitszimmer verlassen, da hörte er ein leises Singen, das aus der untersten Schublade links hervorquoll.

Der Prinz kehrte zurück und zog die Schublade auf.

*

„Wo ist Seine Hoheit der Thronfolger? Wo ist Prinz Karl? Wo ist mein Sohn?“, fragte die Königin beunruhigt ihren Gatten, als sie den leeren Platz an der abendlichen Tafel wahrnahm. Zumindest zum gemeinsamen Dinner hatte man in Abendgarderobe pünktlich zu erscheinen, es sei denn, man war tot oder auswärts eingeladen – in dem Punkt waren Königs sehr sehr ancien régime.

„Er war schon beim Frühstück nicht da –“

 „- und beim Mittagsmahl auch nicht“, vollendete der König den angefangenen Satz seiner Gattin. Beider fragende Blicke und hochgezogene Augenbrauen wandten sich dem Haushofmeister zu, der – leicht angespannt – der Unterhaltung gefolgt war.

„Seine Hoheit Prinz Karl hat sich einen Becher Samyang Spicy Hot Chicken Buldak Tteokbokki in seine Gemächer bringen lassen, Eure Majestät.“

„Einen Becher – WAS?“ fragte die Königin, deren Gabel mit einem Bissen der Vorspeise – einer Terrine von marinierter Entenleber und Geflügelgelée mit Muskat und Macis – auf dem Weg zum Mund quasi in der Luft erstarrte.

„Koreanische Reiskuchen mit Chilisauce, heißes Wasser dazu, drei Minuten in die Mikrowelle, umrühren und fertig“, erklärte der Haushofmeister mit unbewegter Miene. „Die Lieferung im Fünfer-Pack kam heute vormittag mit DHL von Amazon, zusammen mit der Samsung Mikrowelle MW3500K 88W und dem WMF Bueno Wasserkocher Edelstahl 1,7l.“

„Bueno? Bueno?? Das ist gar nicht bueno …“, und dann ging dem König ein Licht auf.

„Liebste, er hat das Iphone der Achten Guten Fee gefunden, und – glaube mir – das ist erst der Anfang.“

*

Tatsächlich. Der Königssohn erschien nur noch sporadisch in der Öffentlichkeit – zu Ostern und zu Weihnachten, genaugenommen. Und auch bei diesen Gelegenheiten hielt er sein Iphone fest umklammert, checkte ab und zu – alle drei Minuten – seine Mails, beantwortete die dringendsten WhatsApp, und während die endlose Easter-Egg-Parade und die noch endlosere Xmas-Gingerbread-Parade an ihm und seinen Eltern vorbeizogen, amüsierte er sich damit, auf TikTok und YouTube herumzuwandern.

„Jetzt fehlt nur noch, daß er anfängt zu zocken“, flüsterte die Königin, deren Vokabular sich im Laufe der letzten Monate beträchtlich erweitert hatte. Der König nickte und sagte: „Wer weiß, was er noch alles treibt mit diesem verflixten Ding hinter seiner persönlichen Dornenhecke …“

Diese Hecke war seinen Eltern ein Dorn im Auge. Sie war zwar nur virtuell, hatte aber auf jeden Erwachsenen eine abschreckende Wirkung. Prinz Karl hatte sie als Tür zu seinem Appartment installiert, und man vermutete allgemein, daß er sich dort nicht langweilte. Er hatte seine Bibliothek und sein Handarbeitszeug entfernen und dafür mehrere  PCs und Laptops herbeischaffen lassen. Wenn man vor seiner Tür – pardon, seiner Dornenhecke stand, hörte man piepsende und knarzende und ballernde Geräusche, oder man hörte – nichts, was seine Eltern besonders beunruhigte, denn sie wußten: Wenn du von einem Kind längere Zeit nichts hörst, dann schau schnell nach, was für ein Unheil sich zusammenbraut – aber das ging ja nun wegen der unfreundlichen Heckentür nicht.

Zu gegebener Zeit verließ der Prinz das Königreich und ging nach Amerika, um Informatik zu studieren und eine IT-Firma aufzumachen, mit der er sich dumm und dämlich verdiente.

Seine Eltern aber zitierten die Achte Gute Fee zur Audienz und warfen ihr vor, das Märchenkönigreich durch ihr Geschenk sabotiert zu haben – und auch wenn sie beteuerte: 

„Das habe ich nicht gewollt!“ –

wurde sie vom Feengericht offiziell in Achte Böse Fee umbenannt und war von nun an zuständig für die verderbenbringenden Geschenke.

Ihr nächster Einsatz, so hört man, sei im benachbarten Märchenkönigreich. Dort wurde endlich die ersehnte Tochter, Röschen, geboren.

Eine Spindel hat die Achte Böse Fee schon besorgt …