Von Monika Heil

Heute Morgen bin ich mit dem falschen Fuß aufgestanden. Eindeutig. Gleich als ich die Augen aufschlug, wusste ich – der Tag ist gelaufen! Neben mir schlief der Mann, der gestern zum Essen gekommen und geblieben war, um mir Wünsche zu erfüllen, die ich gar nicht kannte. Das Problem dabei – es ist nicht meiner.

 

Wir hatten uns am Abend vorher bei einer Lesung in der Buchhandlung Schaumburg kennengelernt. Das Schicksal setzte ihn neben mich. Eine zufällige Überschneidung unserer Umlaufbahnen. Anschließend gingen wir noch auf einen Cappuccino in das Café gleich nebenan. Spontan lud ich ihn für den nächsten Abend zu mir nach Hause ein und er sagte tatsächlich zu. So weit, so gut. Schlimm war nur, dass er sich heute Morgen noch immer in meiner Wohnung aufhielt.

 

Ich liebe es, morgens allein mit mir zu erwachen, den Tag zu ertasten, mich mit ihm anzufreunden. Das klappte heute nicht. Ganz und gar nicht. Ein fremder Atem störte die Stille. Also stand ich auf. Leider mit dem falschen Fuß. Der donnerte gegen die Sektflasche, die da herumlag, als schliefe auch sie. Hatten wir Sekt getrunken? Im Bett?  Hans-Georg und ich? Die Fragen lösten sich nur bruchstückhaft aus meinen dumpf schmerzenden Hirnwindungen. Plötzlich fiel mir ein: der Mann ist Antialkoholiker! Also hatte ich allein … Daher der furchtbare Kater. Ich hob die leere Flasche auf und schlurfte ins Bad. Die Tür knarrte misslaunig. Kurz darauf fiel sie hinter mir ins Schloss.

 

Ich schaute in den Spiegel. Schrecklich! Warum hatte ich mich nicht abgeschminkt – danach? Schwarze Ränder verliefen streifig unter meinen Augen. Das Grün des Lidschattens hatte nur auf dem rechten überlebt. Der vom linken Auge lag wahrscheinlich verschmiert auf meinem Kopfkissen oder – noch wahrscheinlicher – auf Hans-Georgs Haut. Das Lippenrot   hatte er wohl weggeküsst. Oder hatte es das leckere Sushi  mitgenommen? Ich strich über meine Lippen und schaute mir dabei aufmerksam zu. Mein Blick glitt weiter. Mir standen die Haare zu Berge. Nicht nur im übertragenen Sinn. Ich kam meinem Spiegelbild noch ein wenig näher. Da entdeckte ich es – mein erstes graues Haar. Grau, wie grauenhaft. Ich schloss die Augen, versuchte, mich von der sichtbaren Katastrophe abzulenken. Ich musste jetzt rational denken und planen. Erstens duschen, zweitens anziehen, drittens Hans-Georg entsorgen.

 

Meine Gedanken schweiften ab, liefen zurück zu dem Moment, als er am Abend in die Küche kam und das Sushi entdeckte. Woher sollte ich wissen, dass Hans-Georg Vegetarier ist? Das teure Essen! Wenn ich da an Roberts Geschmacksvorlieben denke. Robert ist mein Mann. Er arbeitet im Außendienst und ist viel unterwegs. Tagelang, nächtelang.

 

Mühsam versuchte ich, den Tag weiter zu planen – Betten abziehen, Wäsche waschen, einkaufen, zum Friseur gehen.

Zu all diesen Beschäftigungen kam es nicht. Weil Robert kam. Einen Tag früher als geplant.

 

                      ***

Jetzt sitze ich hier auf dem Polizeirevier. Man will meine Aussage protokollieren. Robert liegt im Krankenhaus. Zur Beobachtung sagen sie.

»Es könnte eine Gehirnerschütterung sein«, vermutete der nette Arzt in der Notaufnahme. Armer Robert. Das habe ich alles nicht gewollt. Nein, wirklich nicht.

 

Die Reparaturkosten für den zerbrochenen Stuhl muss mir Hans-Georg ersetzen. Das ist ein Erbstück von meiner Oma. Ein antikes Teil – echt Chippendale. Passte perfekt zu dem übrigen Interieur unseres Schlafzimmers. Hans-Georg hatte offensichtlich eines der Stuhlbeine zum Baseballschläger umfunktioniert. Wie konnte er nur? Und überhaupt – dieser Mensch hat mit seiner unsinnigen Reaktion auf Roberts plötzliches Erscheinen meinen ganzen Zeitplan durcheinander gebracht. Ist doch verständlich, dass mein Mann dachte, Einbrecher seien in unserer Wohnung, als er sägende Geräusche – wie er es ausdrückte – aus unserem Schlafzimmer hörte, die Tür aufriss und »Hände hoch!«, brüllte.

 

Was ich Hans-Georg besonders übel nehme? Dass er sich, als ich vor Schreck schreiend aus dem Bad gestürmt kam, in Windeseile anzog und, ohne seine Hilfe anzubieten, wort- und grußlos verschwand, während Robert bewusstlos auf dem Boden lag. Ich war es, die, noch immer splitternackt, den Notarzt anrief.

 

Die Polizei haben wahrscheinlich unsere lärmempfindlichen Nachbarn gerufen. Das war nicht ich. Denn, wie gesagt, ich habe das alles nicht gewollt. So jedenfalls nicht!

 

Meine Güte! Was für ein übler Morgen.

 

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