Von Ingo Pietsch

Ich hielt das Messer verkrampft in der Hand und starrte im Halbdunkel auf den kleinen leblosen Körper vor meinen Füßen.

Dann ging ich wieder nach unten.

In meinem Kopf wiederholten sich ständig die Worte meiner 4-jährigen Tochter: „Papa, nein, bitte, bitte, bitte …“.

Was hatte ich nur getan?

 

Das Fleischermesser ging durch das Gulasch wie durch Butter. Da es eineinhalb Stunden köcheln musste, bereitete ich das Essen für Sonntag schon einmal vor.

Oben rumpelte es.

Selbst das Zischen des Fleisches beim Anbraten und das Gebläse der Abzugshaube wurden übertönt.

Wieder ein Poltern – von Isabell verursacht.

Ich summte eine Melodie und ignorierte den Lärm.

Ich würde gleich hochgehen, um nachzuschauen, was sie schon wieder trieb.

Sie spielte oft Der-Boden-ist-Lava und kletterte von einem Möbel auf das nächste, wobei schon mal schwere Gegenstände, wie Bücher, zu Boden fielen.

Oder sie machte einen Weitsprungwettbewerb von ihrem Lesesessel aus.

Beim nächsten Mal fiel ein Glas im Schrank um.

„Ruhe!“ schrie ich. Die Hitze des Topfes und der beißende Qualm dazu trieben die Wut noch zusätzlich höher. Ich würde gleich fertig sein und mich um sie kümmern.

So, die letzten Stücke, Wasser dazu, die Fix-Packung und kurz aufkochen.

Ein Doppelrumms.

Da war doch nur ein 4-jähriges Mädchen. Wie konnte das denn so viel Lärm machen?

Ich schaltete den Herd runter und ging mit schweren Schritten die Treppe rauf.

Da lag ein bunter Papierschnipsel herum.

Außerdem war es verdächtig ruhig geworden.

Ich konnte aber nicht klar erkennen, um was es sich handelte.

Aber irgendetwas hatte sie angestellt.

Dabei war der Samstag so gut gelaufen.

Meine Frau war nach dem Mittagessen zu ihren Eltern gefahren und so hatten ich und Isabell den ganzen Nachmittag für uns allein.

Erst sind wir in den Park gegangen, haben Eis gegessen und uns abends noch Popcorn gemacht.

Es war eine schöne Zeit gewesen, bis auf ein paar kleine Momente, die mir fast den Verstand geraubt hätten.

„Papa, warum ist das so?“

„Weil …“.

„Und wieso?“

„Also …“.

„Warum, Warum, Warum?“

Sie löcherte mich die ganze Zeit mit Fragen, das war in ihrem Alter halt normal.

Aber ich brauchte an meinem freien Tag auch ein bisschen Auszeit.

Nach der Gute-Nacht-Geschichte hatte ich sie noch spielen lassen.

Ein großer Fehler, denn meine Frau brachte sie immer ins Bett und blieb bei ihr, bis sie eingeschlafen war.

Das hatte ich jetzt davon.

Ich horchte an ihrer Zimmertür, aber es war nichts zu hören.

Ich drückte die Klinke langsam nach unten und öffnete vorsichtig die Tür.

Isabell saß mit dem Rücken zu mir und klebte bunte Schnipsel mit Klebefilm zusammen.

Schön, dass sie sich so kreativ beschäftigen konnte.

Bei näherem Betrachten erkannte ich allerdings Spinnennetze auf den Fetzen und die Maske von Spiderman.

Mein Spiderman-Comic – ein Nachdruck der ersten Ausgabe, die mir Stan Lee auf einer Comic-Convention signiert hatte.

Eigentlich lag es in einer verschlossenen Schreibtischschublade.

Ich glaubte, mein Kopf würde jeden Moment explodieren.

Egal, was ich tun würde, es würde den Comic nicht wieder zusammensetzen.

Und es war ja nur Papier.

Aber mit der Unterschrift von Stan Lee!

Isabell bemerkte mich. Änsgtlich sagte sie: „Papa, es tut mir leid. Ich wollte mir nur die Bilder ansehen.“

Keine Ahnung, warum ich das Messer vom Gulaschschneiden noch in der Hand gehabt hatte.

Es war totenstill im Zimmer geworden.

Ich sammelte die Reste des Comics ein, schaltete das Licht aus und verließ das Zimmer.

Tausend Dinge gingen mir durch den Kopf.

Hatte Isabell den Fehler gemacht oder ich?

 

Unten in der Küche säuberte ich das Messer gründlich und legte es zurück in die Schublade.

Ich beugte mich über das Waschbecken und holte tief Luft.

Plötzlich berührte mich jemand an der Schulter.

Ich zuckte zusammen.

„Ich bin wieder da!“ Ich wurde umarmt und geküsst, obwohl ich das gar nicht verdient hatte.

„Oh, das Essen für morgen schon fast fertig! Für so was liebe ich dich. Und für ein paar andere Sachen auch noch!“ Ihre Augenbraue ging hoch.

Ich lächelte gekünstelt.

„Was ist mit dir? Du bist so blass. Ist jemand gestorben?“

Meine Augen zuckten hin und her. „Könnte man so sagen.“

„Schläft Isabell schon?“

„Äh, ich weiß nicht genau. Vielleicht, war ja auch ein langer Tag.“

Meine Frau legte ihre Tasche ab. „Ich geh mal nach ihr schauen.“

„Und ich bring noch schnell den Müll raus.“

Mit einem dunklen Plastiksack ging ich nach draußen.

Ich hatte vor, ihn ganz unten in die Restmülltonne stopfen, denn ich hatte einen Mord begangen und wollte alle Beweise verschwinden lassen.

Ich zögerte, mein Gewissen meldete sich und ich kehrte um.

Eigentlich durfte niemand je erfahren, dass ich Isabells Lieblingsteddy entführt und in der Küche erstochen hatte.

Doch ich hoffte, dass ein Puppendoktor das wieder richten könnte …

 

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