Von Kornelia Wulf

`Der Mond krümmt sich heute´, denke ich, als mein Blick durch die Scheibe des Badfensters fällt. Auf dieses helle, weiße Sichellicht, das wie ein Fingernagel aus einer schwarzen Decke ragt. Und während ich, über die Armatur gebeugt, das Wasser plätschern höre, fährt ein Schmerz in mein Kreuz. Der in den Nerven züngelnd zu den Schläfen aufsteigt. Tropfen perlen über müde Haut. Und den Arm gestreckt drehe ich das Handgelenk, bis ich auf die Innenseite schaue. Ein wahrer Sensor, diese Stelle. Nur ein Spritzer und ich kann die Hitze fühlen – wie damals, als Linus meine Brust verließ und sich in den Sauger des Fläschchens verliebte – damit er sich nicht das Bäuchlein verbrühte.

Mühsam richte ich mich auf – ignoriere das Rückgrat, das verdächtig knackt – und die Locken in ein Handtuch gerollt, husche ich über den Flur, drück auf die Klinke von Linus Tür. Endlich. Ganz still liegt er da. Wie lange das wieder gedauert hat. Und im grünen Licht des Dinotiers – dieser Nachtlampe, die seine Ängste bewacht – sehe ich Wimpernschatten auf Sommersprossen fallen. Auf spitzen Zehen – beinahe schwebend – schleiche ich an Mr. Spongebob vorbei, bis mein Fuß auf das struppige Betttier tritt, das zusammengekrümmt neben dem Nachtschrank liegt. Lupo. Mit dem kratzigen Fell, an dem Linus wie eine Klette hängt. Was findet er nur an diesem hässlichen Wolf, der in der Waschmaschine ein Ohr verlor. „Das macht nichts Mama,“ sagt Linus immer, „dann hört das Andere eben für zwei. So wie der standhafte Zinnsoldat“, fast jeden Abend will er das Märchen hören, „der auf einem Bein nicht umfallen kann.“ Und eine Welle aus Stolzpartikeln durchströmt meine Seele.

Von wem hat er bloß diese Klugheit geerbt?

Zurück im Bad hebe ich das Bein und gleite in das Wasser hinein, bis mein Kinn versinkt im Lavendelschaum. Und während Mottensackduft die Raumluft sprengt, schnippe ich ein Flöckchen von der Wange weg. Zementklotz liegt auf Stahlemail. So fühlt sich das Gerüst meiner Muskeln an, das sich noch immer sperrt gegen Entspannen. Und wieder schießt dieser Schmerz in mein Kreuz. Klettert schleichend herauf. Vom Steißbein bis zum Nacken.

In dem mir heute Baginski saß.

Baginski. Mein Vorgesetzter, der mich den ganzen Tag herumgescheucht hat. Der scharfe Franz wird er in unserem Großraumbüro genannt. Nicht, weil da etwas Erotisches flackert. Nein, eher wie der Typ Saubermann wirkt er. Die Fingernägel – stets pedantisch poliert – krallen aus weißen Manschetten. Und die Officeuniform immer grau oder blau. Dutzendware 08/15 – der Anzug, das Hemd – fällt gar nicht auf, ob er sie wechselt. Und darunter – darauf wette ich – ein feingeripptes Unterhemd. Von dieser Firma, die die Sehnsucht des Jägers im Namen führt. Doch nicht die blutenden Hirschhälften nimmt er ins Visier, wenn sein Hintern auf Pezziballnoppen wippt und er den lauernden Beuteblick über unsere Schreiben gleiten lässt. Und wenn er dann einen Fehler findet – selbst ein mickriges Komma bringt Baginski zum Jubeln – fährt er die schweren Geschütze auf. Zielt punktgenau, schießt Löcher, die nicht heilen wollen, in unser Selbstwertkostüm.

Um viertel vor zog ich den Mantel an, um endlich mal wieder pünktlich zu sein. Doch sein seltsamer Geruch eilte ihm schon voran – ein Schwall, süßlich streng, wie Jägerschweiß – und die Schritte knallten auf Laminat, während er das Papier zurück auf meinen Schreibtisch warf. Ein läppischer Zahlendreher und diesen verflixten Satz in den falschen Absatz geklemmt. So what! Das kann doch jedem mal passieren. Aber ich sollte alles nochmal schreiben.

„Herr Baginski“, flehte ich, `was für ein Scheißkerl´, wühlte es in mir, „das erledige ich morgen in der Mittagspause. Ganz bestimmt. Mein Linus … gleich schließt die Kita …“

„Dann wird ihr Kleiner halt ein bisschen warten müssen. Frau Meyer“, jetzt knallten auch Worte auf den Laminatboden, „erst letzte Woche habe ich es Ihnen gesagt,“ und zwischen Lippen und Nase zogen sich hässliche Falten, „die Uhr tickt. Zum letzten Mal. In dieser Firma gibt es keinen Alleinerziehendenbonus.“ Und ich spürte in mir ein Ziehen und Zucken. Die Fäuste ballen. Sein Kinngrübchen treffen. Doch da schwirrte plötzlich diese Drohung durch den Raum – tatsächlich setzte Baginski noch einen drauf – und ich hörte ihn etwas von Abmahnung blaffen.

Den Mantel im Laufschritt übergeworfen und nach den ersten Metern bereits heftig keuchend, dachte ich `Morgen. Garantiert. Irgendwo liegen da doch noch die Sneaker im Schrank. Jeden Tag werde ich joggen durch den Park. Zehn Runden. Ach was. Zwölf. Ich schwöre. ´ Und nachdem ich das Tor der Kita passierte – das den Sandkasten von der Straße trennt – und die Physiognomie eines Buckelwals einnahm, je näher ich dem Eingang kam, kickte ich ein Förmchen weg.

„Linus“, rief ich. Doch mein Sohn hörte mich nicht.

Die Ohren versteckt unter dünnen Strähnen, während er zwei Playmobilmenschen in den Händen bewegte.

„Hilfe, Hilfe, Herr Polizist“, Linus Stimme gellte, bis sie kippte, „heute Nacht ist ein böser Geist gekommen und hat meine Mama mitgenommen.“

„Fürchte dich nicht“, brüllte der Polizist, „ich bin Superman“, der sich heute Morgen vor Linus in der Spielkiste verbarg, „und habe nur meinen Umhang vergessen. Pschttt ….“, Spucketröpfchen benetzten Linus Lippen, „siehst du? Haha! Der Geist explodiert im Titanenstrahl.“

Und als sich Linus, vom Geist des Größenwahns gebannt, auf den Stufen vor der Kita wälzte, kam Frau Sturm heraus.

„Frau Meyer, so geht das nicht“, zischte sie, jede Silbe traf, „das ist in dieser Woche schon das dritte Mal. Und überhaupt“, sie zerrte an meinem Mantelärmel, „haben Sie nun endlich etwas unternommen? Sie wissen schon. Unser Gespräch …“

Madame Oberschlau hat mich letzte Woche in die Kita zitiert, weil mein Sohn wohl allmählich zum Schläger mutiert. „Stellen Sie sich vor“, sagte sie, „ein ganzes Büschel hat er aus Hannas Kopfhaut gerissen. Und nur, weil sie den Lupo streichelte.“ Sie schickte mich in die Beratungsstelle. Und die Adresse zerknüllt in der schwitzenden Faust bin ich dann durch die Gasse geschlichen. Vorbei an all diesen Mustermüttern, die auf ihre glücklichen Kinder warteten. Spürte ihre Blicke wie Spieße in meinem Rücken.

„Die sollen uns endlich in Ruhe lassen!“, fauche ich, während meine Handkante den Duft von Lavendel zerschlägt und sich der Schaum schmutziggrau zwischen den Brüsten auflöst.

`Immer mischen die sich ein. Wenn das so weitergeht, werden wir wohl wieder umziehen müssen´, denke ich und spüre den Schmerz, der in den Schläfen klopft, als durch die Wand neben mir – dünn wie Papier – abgedämpfte Klänge dringen.

Nights in white Satin …

„Herr Kurth schiebt wohl wieder Sehnsucht vor sich her“, flüstere ich, den Körper gepresst an den Wannenbelag, der sich plötzlich rau anfühlt.

`Nein, kein weißer Satin´, und die Erinnerung steigt auf in Springerstiefeln.

Grober Schotterbelag. Auf dem Parkplatz des Kiosks am Baggersee.

Ganz allein liegen wir da. Alle Schwimmer und Kinder schon fortgegangen. Nur ein paar Tauben, die gierig picken. In Bratwurstresten. Und im Rücken spitzer Stein – kein weißer Satin.

„Komm mit zurück“, hatte Rena gesagt, „ich fahre dich ein Stück.“

Aber ich konnte ja wieder nicht hören. Mich nur einmal noch in die Fluten eingraben. Mich in Leichtigkeit baden.

„Was ist, wenn du den letzten Bus verpasst. Der fährt doch schon bald“, schallte es warnend, bevor Autoreifen im Schotter knirschten und ihr roter Mini mein Blickfeld verließ.

Unter der Dusche glaube ich plötzlich `da klebt was an mir´ und der Film Peeping Tom kommt mir in den Sinn. Und hastig nach dem T-Shirt greifend, um das Aqua des Bikinis zu verhüllen, spüre ich seine  feuchte Hand – die sich auf meinem Bauch wie ein Schwamm anfühlt, vollgesogen mit fettiger Abwaschbrühe – und den Unterarm, der meine Kehle quetscht, während er mich auf den Parkplatz zerrt.

Ein süßlich strenger Duft liegt in der Luft, als ich – den Kopf vom Körper abgeklemmt, wie die „zersägte Jungfrau“ im Zauberkasten – in sein Gesicht schaue. Auf diesen braunen Fleck zwischen Nase und Mund, der mich an eine Wolke erinnert. Die bebt und nicht schwebt. Festgewachsen für immer. Auf den roten Adern meiner Pupille.

Und ich tauche ab. Die schrumpeligen Glieder im Wasser windend, würde ich am liebsten im Abfluss verschwinden. Als kleiner Tropfen im gurgelnden Strom. Seufzend quäle ich mich hoch. Und während ich in den Pyjama steige, schreit alles in mir nach einer Zigarette. Doch die gibt es jetzt nicht. Denn in den Räumen, in denen Linus wohnt, herrscht strenges Nikotinverbot.

Niemand darf zarte Bronchien quälen.

Den Morgenmantel übergeworfen schleich ich noch einmal in Linus Zimmer. Das Sichellicht trifft sein Gesicht, das seltsam blass aus der dunklen Bettwäsche ragt.

So schwer war der Tag.

Heute Morgen wieder zähes Gebrüll, weil Linus eine Hütte für Lupo bauen wollte. Nur eine Viertelstunde vor Arbeitsbeginn.

„Der hat doch ein Fell“, habe ich gesagt.

„Aber er friert doch darunter“, schluchzte er.

Und nach dem Sturm mit Frau Sturm habe ich ihn bestochen – als er die Enten im Park mit Smarties füttern wollte – und ihm einen süßen Kakao versprochen. Mit Marshmallows drauf. Und weil mein Sohn nicht stillsitzen kann, stieß sein zappelnder Po die Tasse um. Der klebrige Sud kroch in die Jeans. Die letzte, die noch sauber war.

Die Sekunden danach liegen im Schlaf. Oder – vielleicht – die Stunden?

Die Hand im Genick mit Zangengriff habe ich ihn in die Wanne gestellt. Aber habe ich auch den Arm gedreht, den sensiblen Sensor auf Fühlen gestellt, bevor ihn der Strahl aus dem Duschkopf traf?

So still liegt er da. Bewegt sich nicht. Selbst die kleinste Wimper. Flattert nicht. Und auch dieser Fleck zwischen Nase und Lippe. Wie einbetoniert.

Warum wird alles Schlechte den Müttern zugeschrieben, frage ich mich. Warum heißt dieses Ding nicht Vatermal?

Mir ist, als nehme er mich an die Hand. Der Roboter, der jetzt meinen Willen lenkt. Er zieht mich hoch. Stakst mit mir in den Flur. Drückt mir das Telefon in die Hand. Wählt dann die

112.

 

V3