Von Katharina Rieder

Dass es so ist, wie es jetzt ist, das hat Werner Wunderlich nun wirklich nicht gewollt. Er sitzt bodentief in der Tinte und als ob das nicht schon genug ist, sind seine Finger seit Tagen auch noch fies-schwarz. So als hätte er sie zum Rösten über das Feuer im Kamin gehängt. 

 „Werner, lass die Finger davon! Warte noch, bis sie reif sind!“, riet ihm seine Frau. 

‚Ich mache, was ich will! Verdammt noch mal!‘, dachte er. – „Lass mich nur machen, Schatzi!“, sagte er.

Werner wäre nicht Werner, wenn er auf das hören würde, was andere ihm sagen. Mit einem Hochgefühl pulte er eine Walnuss nach der anderen aus den grünen Schalen heraus. Und dann versuchte er erfolglos seine Finger wieder sauber zu bekommen. Mit Hilfe verschiedener Reinigungsmittel erwirkte er das genaue Gegenteil. 

Werner ist verheiratet, mit einer Frau – schön anzusehen, hat tolle Kinder – beide erwachsen, besitzt einen Hund – Golden Retriever und darf einen ergebenen Buddy –  Markus genannt – als seinen besten Freund bezeichnen. Markus: dick, klein und smart. Werner hingegen: groß, schlank und charmant. Wie Dick und Doof könnte man beinahe sagen. Wobei Werner nicht dumm ist, nur maximal bequem. Werner hat gute Connections. Er ist schon als Student in einen dieser illustren Klubs aufgenommen worden. Anstatt für die humanitären Dienste interessiert er sich jedoch hauptsächlich für die Kontakte von sozialen und beruflichen Netzwerken. 

Über den Klub bekam er auch seine neue Arbeit vermittelt. Ruck, zuck ging das. Er hatte sich noch gar nicht von dem Rauswurf der vorhergehenden Firma erholt, da war er schon „Big Boss“ in einer neuen Firma. 

„Schatzi, du hast ja gar keine Ahnung vom Gesundheitswesen!“, sorgte sich seine Frau.

‚Keine Ahnung. Papperlapapp!‘, äffte er sie insgeheim nach. – „Geschäft ist Geschäft, ganz egal in welcher Branche!“, belehrte er sie. 

In der Firma hat sich Werner als allererstes einen Überblick über die Mannschaft verschafft. Zackig seine eigenen Leute installiert. Es gibt nichts Wichtigeres für ihn als loyale Mitarbeiter und eine durchdachte Besetzung in der Führungsriege. Er hält es da wie beim Militär. Die Entscheidungsträger müssen nicht unbedingt die hellsten Kerzen auf der Torte sein, aber loyal und lenkbar. 

„Im Krieg willst du, wenn du den Befehl gibst ‛Von der Brücke springen!‛ ja auch nicht vorher mit den Soldaten darüber diskutieren müssen, ob das jetzt eine gute Idee ist oder nicht!“, erklärt er gerne jedem, der sich für seinen Führungsstil interessiert. 

Die anderen Positionen, die ohne Entscheidungsbefugnis, besetzt er gerne mit den „anstrengenden“ Leuten, wie er sie gerne nennt. Das sind seiner Meinung nach die, die wirklich Ahnung haben und die eigentliche Arbeit leisten. Ihre Rückfragen und das ständige Infragestellen seiner Anweisungen gehen ihm mächtig auf die Nerven. 

Eines Tages sagte Markus so nebenbei: „Du Werner, lass mich doch die Leitung der Personalabteilung übernehmen! Das wollte ich immer schon mal machen!“ 

Markus ist zwar Controller, aber ‚Why not,‘, dachte sich Werner, ‚soll er halt seinen Spaß haben!‘. Rückblickend gesehen, war das keine so gute Idee. Mit den guten Ideen sieht es in letzter Zeit generell recht mau aus. 

Werner sitzt gerade in seinem großen Büro mit seinen fies-schwarzen Fingern über der schneeweißen Tastatur und kennt sich überhaupt nicht aus. Dann schweifen seine Gedanken ab und er muss an seine Frau denken, die sich laufend darüber beschwert, dass er wichtige Dinge vergisst. Pah, die übertreibt wieder maßlos. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass es da wichtige Dinge gibt, die ich laufend vergessen würde!‘ 

„Äh, Frau…?“ – ‚Verflixt, wie heißt sie gleich nochmal?‘

„Moroder, Herr Wunderlich! Moroder heiß ich!“ – ‚Ach ja. Moroder, wie marode. Haha.‘

Bei dem Gedanken an das abgekämpfte Gesicht von Frau Moroder, seiner Assistentin, zeichnet sich ein kleines Schmunzeln auf seinem Gesicht ab. 

„Ja, ja. Frau Marode, wer kommt als Nächstes?“ 

Herr Gott, Moroder!‘, denkt sie. – „Markus Schulz, der Personalleiter!“ , antwortet sie.

„Ach, ja, Markus. Und was will ich von dem gleich noch mal?“ – ‚Verdammt, da war doch irgendetwas. Ich komm nicht drauf.‘

„Herr Wunderlich! Sie möchten mit ihm über die Kündigung unseres Controllingleiters sprechen.“ 

„Danke!“ – ‚Jetzt klingt sie schon wieder so genervt. Gerade so, als müsste ich das selber wissen.‘

Frau Moroder ist Werner Wunderlichs gute Fee. Sie organisiert alles für ihn, kennt sich aus und weiß mehr als ihr gut tut. Wenn man es genau nimmt, könnte man fast sagen Frau Moroder ist sein zweites, besseres Gehirn. Das weiß auch Werner, doch er achtet penibel darauf, dass sie nichts davon mitbekommt. „Schuster, bleib bei deinen Leisten“ lautet da sein Credo. Damit Frau Moroder nicht zu selbstbewusst wird und aufbegehrt, schickt er sie häufig Kaffee zubereiten. Das hat er vor Jahren in einem Kurs „Erfolgreiche Mitarbeiterführung – Teil 1“ gelernt. Manchmal lässt er sie auch ganz unsinnige Dinge tun, wie beispielsweise eine doppelte Ablage führen. Das hält Frau Moroder ganz schön auf Trab, erinnert sie daran, dass sie zum Fußvolk gehört und nichts zu melden hat. 

Markus, der Personalleiter, taucht in der Tür zu Werners Büro auf. 

„Hallo Markus! Nimm doch Platz. Wie gehts?“, leitet Werner das Gespräch ein.

„Ja alles klar, Werner. Und bei dir? Hund wieder gesund?“

„Ja zum Glück! Du wegen dem Kai-Uwe. Er hat sich um die neue Berechnung der Landesförderung gekümmert. Tipptopp muss ich sagen! Warum wollten wir den gleich noch kündigen?“

„Hm weiß nicht.“

„Äh, Frau – Dings –.“

‚Das darf doch echt nicht wahr sein!‘ – „Moroder, Herr Wunderlich! Moroder heiß ich!“

„Ja, Frau Moroder! Warum wollten wir den Kai-Uwe gleich nochmals kündigen?“

‚Das ist jetzt nicht sein Ernst, oder?‘, denkt sie.

Schon steht sie in der Türe, die übrigens immer geöffnet ist, ihre Arme links und rechts in die Hüfte gestemmt. Sie sieht ihren Chef mit gerunzelter Stirn an. Zwischendrin kann sie nicht anders und stiert auf seine schwarzen Finger. 

So ein Trottel, als ob er sich die Finger verbrannt hätte! Haha!‘ – „Kollege Kai-Uwe, unser Supercontroller, hat ganze drei Mal eine falsche Berechnung beim Land eingereicht!“, erinnert sie ihn.  

Während sie spricht, starrt Werner immer wieder auf ihre üppige Oberweite. Frau Moroder räuspert sich, wartet bis Herr Wunderlich ihr wieder in die Augen sieht und fährt dann weiter fort: „Sie waren doch derjenige, der mich beauftragt hat, die richtige Kalkulation an seiner Stelle zu erstellen. Ich habe sie ihnen heute Morgen auf den Tisch gelegt.“ 

„Ach, Sie haben das erledigt. Und ich dachte Kai-Uwe hätte das in Ordnung gebracht.“

„An die Eskapade im Hotel Himmel und an die unentschuldigten Fehlzeiten muss ich Sie hoffentlich nicht erinnern!“, entrüstet sie sich.

„Nun gut! Bringen Sie uns eine Tasse Kaffee und machen Sie bitte die Türe von außen zu.“ 

Nichts lieber als das! Endlich mal fünf Minuten Ruhe!‘

Werner kann den Kai-Uwe nicht so einfach rausschmeißen. Das Ganze fing damit an, dass Werner, nachdem er Markus die Stelle als Personalleiter zugeschanzt hatte, eine neue Controllingleitung brauchte. Da bekanntlich eine Hand die andere wäscht, hat er sich an einen guten Freund aus dem Klub, einen Head Hunter, gewandt. Werner glaubt, er bekommt über diesen Weg die kompetentesten Leute. Zudem erspart er sich die Ausschreibung sowie das nervige Bewerbungsverfahren. Über die happige Vermittlungsgebühr in der Höhe von ein paar Tausend Euro sah er einfach hinweg. ‚Was solls, ist ja nicht mein Geld!‘, redete er sich die Sache schön. So kam Kai-Uwe – ein Mann mit tollen Beziehungen – jedenfalls in das Unternehmen. 

Irgendwann ist Markus‛ Vorzimmerdame – Werner nennt sie gerne „Vorzimmer-Hyäne“ – aufgefallen, dass der Kai-Uwe mittags das Haus verlässt, ohne sich auszustempeln und locker mal zwei Stunden ausbleibt. Werner war das egal, solange Kai-Uwe seinen Job im Griff hatte. Mit der Zeit rebellierten allerdings die Kollegen, weil seine Arbeit an ihnen kleben blieb. Im Haus kursierten schon die wildesten Gerüchte über seinen Verbleib und dann war Werner gezwungen, irgendetwas zu tun. ‚Verdammt!‘. Viel lieber hätte er gerne weiter ungestört Solitaire am PC gespielt. 

Werner wusste natürlich die ganze Zeit über, was der Kai-Uwe um die Mittagszeit im Hotel Himmel machte. Schließlich waren der Markus und er ein paar Mal mit von der Partie. Werner hat nämlich ab und zu so spezielle, sexuelle Bedürfnisse. 

„Werner! Bist du wieder eingenickt?“, erkundigt sich Markus. 

„Sorry, Markus. Kai-Uwe, der dreibeinige Trottel, hat offensichtlich nichts anders mehr als ‛Natalie Nochmal‛ zwischen seinen Beinen, eh was sag ich, in seinem Kopf. Wie werden wir den jetzt wieder sauber los?“

„‛Natalie Nochmal‛ macht aber auch Sachen – Oh mein Gott!“, schwärmt Markus, „Wird die Firma ’ne Stange Geld kosten, so viel steht fest!“

„Markus, du musst da was drehen! An den Zahlen meine ich. Ich habe dem Vorstand nur mit Mühe die Vermittlungsgebühr für Kai-Uwe schönreden können. Und dann haben sie gleich die Vertrauensfrage gestellt.“

„Werde ich wohl oder übel wieder die Controllingleitung übernehmen müssen.“

„Hab überhaupt keine Lust, das dem Kai-Uwe beizubringen. Solltest du in die Hand nehmen, Markus!“ 

„Konnte ja keiner ahnen, dass der die halbe Hotelzimmereinrichtung einsaut! So eine Sau!“

***

Beinahe wäre Werner Wunderlich wieder einmal mit allem durchgekommen. Aber er hatte nicht mit Frau Moroder gerechnet, die er übrigens für den Schlamassel, indem er sich nun befindet, verantwortlich macht. Als sie kurz vor einem nervlichen Zusammenbruch stand, vertraute sie sich dem Vorstand an. 

„Dieses Luder! Das hätte ich der nie zugetraut! Die war immer so zuvorkommend zu mir!“, sagte er auf dem Weg nach Hause zu Markus, seinem treuen Buddy.  

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