Von Stefan Schumacher

Als Penny am Morgen aus unruhigen Träumen erwacht, findet sie sich im Nichts vor. Genau genommen, nicht im Nichts, sondern in einem leeren Zimmer. Zu ihrem Glück hat es eine Tür, durch die sie es schnell verlässt, um sich sogleich in einer atemberaubend schönen Winterlandschaft wiederzufinden, mit hübschen kleinen Häusern, deren Dächer mit Schnee bedeckt sind, der wie glitzernder Zuckerguss wirkt. Ein Stück weit entfernt entdeckt sie einen Hang mit einem Skilift, vor dem sich eine Schlange gebildet hat.

Am Lift angekommen steht plötzlich ein freundlicher Mann vor ihr, ungefähr in ihrem Alter und mit einem ganz eigenen Vanille-Lächeln in seinem Gesicht. „Hallo Penny, schön dich zu sehen!“, ruft er fröhlich aus. Penny ist irritiert, hat sie den Mann doch nie zuvor gesehen, aber offenbar scheint er sie zu kennen. „Wer sind Sie?“, fragt sie ein wenig barsch. „Ich heiße Heinz und bin hier der Skilehrer“, antwortet er und deutet mit einer weit ausholenden Geste auf den Hang.

Das hat ihr gerade noch gefehlt. Zwar kennt sie diesen Skilehrer nicht, aber Heinz kennt sie sehr wohl – ihren Heinz, obwohl es längst nicht mehr ihrer ist. Ihr Heinz war ihre letzte große Liebe und ebenso eine Enttäuschung, wie jene davor. Sie hatte ihn sehr geliebt und sie hatten heiraten wollen, im nächsten Frühjahr. Doch dann hatte sie entdeckt, dass er bereits eine Familie hatte, mit Frau und zwei großen Kindern, direkt hinter der Grenze in Venlo. Penny hatte sehr gelitten, nachdem sie ihn verlassen hatte, und auch jetzt war sie noch nicht wirklich über ihn hinweg. In Pennys Bekanntenkreis sprach man seitdem nur von der Sache mit Heinz.

Irgendwie hatte sie immer schon Pech gehabt mit den Männern. Sie fiel immer wieder auf sie herein, die charmanten und schönen und wortgewandten Jungs und später Männer. Aber Penny war einfach naiv und glaubte nur zu gerne die Komplimente, die sie ihr machten. Sie war immer schon sehr gutgläubig gewesen. Als kleines Mädchen hatte ihr Vater ihr weisgemacht, John Lennon hätte Penny Lane nur für sie, für Penny, geschrieben. Penny liebte die Beatles und sie liebte Penny Lane und es hatte Jahre gedauert, bis sie darauf kam, dass ihr Vater ihr einen Bären aufgebunden hatte. Insgeheim beneidete sie ihre Tochter Pia, die ihre Sandkastenliebe geheiratet hatte und nun mit ihm glücklich war. Pias Vater war auch so ein Reinfall gewesen, aber an den wollte sie nun nicht denken. In ihre Gedanken hinein, zeigt der Skilehrer ein geduldiges Lächeln, das offensichtlich nur ihr ganz allein gilt.

„Schön, Heinz der Skilehrer, ich freue mich, dich kennenzulernen. Aber wie komme ich hierhin und was mache ich hier?“, fragt sie, ohne sein Lächeln zu erwidern.

„Du bist gerade eben aus der Tür dieses Hauses gekommen“, antwortet Heinz und zeigt auf besagtes Haus. „Wir beide fahren jetzt ein bisschen Ski und danach tanzen wir barfuß im Schnee“, ergänzt er mit einem Schmunzeln.

„Und woher kennst du mich?“, entfährt es Penny. „Du bist Penny und wohnst in dem Zimmer dort“, antwortet er und deutet mit der Hand an ihr vorbei. Penny wendet sich um und erkennt hinter einer Glasscheibe tatsächlich ihr Zimmer. Und endlich weiß sie nun auch, wo sie hier ist, obwohl das eigentlich überhaupt nicht sein kann.

Der Abend gestern war feucht fröhlich gewesen. Zusammen mit ihren besten Freundinnen Emily, Charlotte und Anne hatte sie in ihren Geburtstag hineingefeiert. Irgendwann hatte sie den Überblick verloren über die Weinchen und Sektchen. Sie erinnerte sich jedoch noch gut daran, dass die drei sie unbedingt nächste Woche mit in den Skiurlaub nehmen wollten. „Nach der Sache mit Heinz, müsse sie mal auf andere Gedanken kommen“, hatte Emily gemeint. „Und abends laufen wir barfuß im Schnee, wie wir es als Kinder immer gemacht haben“, hatte Charlotte ergänzt. Und dann hatten sie gelacht und Penny diese kitschige Schneekugel geschenkt, mit den hübschen kleinen Häusern und dem Hang mit dem Skilift und der Schlange davor. Die Schneekugel hatte sie angenommen, der Skiurlaub jedoch kam überhaupt nicht in Frage. Trotz des Drängens ihrer Freundinnen war sie stur dabei geblieben, sich auf keinen Fall auf der Skipiste blamieren zu wollen.

Und nun steht sie hier, in einem knallbunten Skianzug, wie sie gerade erst bemerkt, und einem gutgelaunten Skilehrer an ihrer Seite. Heinz hat unterdes damit begonnen, ihr den Schneepflug zu erklären. Das ist zwar nicht wirklich nötig, denn Penny ist eine passable Skiläuferin, aber sie lässt ihn gewähren, weil sie seine Stimme gerne mag.

Dann geht es auch schon rauf, mit dem Skilift auf den Gipfel und von diesem rasant auf den Skiern wieder herunter. Immer wieder aufs Neue und stets mit Heinz, diesem Heinz, der nicht von ihrer Seite weicht. Penny wird ganz warm und sie hat unbändigen Spaß, wie sie ihn schon lange nicht mehr erlebt hat.

Und dann passiert es: Fast schon unten angekommen, verkeilt sich einer der Skier und sie stürzt vornüber. Aber Heinz ist zur Stelle und fängt sie galant auf (obwohl er gerade noch hinter ihr gewesen war) und hält sie ganz fest in seinen Armen.

Pennys Herz macht einen Hüpfer und sie weiß nicht, ob wegen des Schrecks oder wegen des Erdbeer-Lächelns in dem Gesicht, das sie anstrahlt. Vorsichtig senkt Heinz seinen Kopf und sein Gesicht ist nun ganz nah. Penny schließt ihre Augen, spürt seinen Atem, seine warmen Lippen und eine wohlige Wärme in ihrer Seele.

Als Penny erwacht, findet sie sich in ihrem Bett vor. Vorsichtig öffnet sie ihre Augen. Eine blasse Wintersonne taucht das Zimmer in ein bezauberndes Licht, und ihr ist federleicht und ganz wunderbar zu Mute. Sie dreht sich auf die Seite und sieht die Schneekugel, die sie am Abend zuvor auf ihren Nachttisch gestellt hat.

Penny betrachtet die prächtige Winterlandschaft mit den hübschen kleinen Häusern, deren Dächer mit Schnee bedeckt sind und den Hang mit dem Skilift und der Schlange davor. Ganz klein daneben entdeckt sie Heinz, den Skilehrer und als sie genauer hinsieht, entdeckt sie seine winzige Hand, die ihr freundlich zuwinkt. Und ihr wird klar, dass die Sache mit Heinz nun eine ganz neue und wunderschöne Bedeutung bekommen hat.

Fröhlich winkt sie zurück und sie ist sich sicher, dass er sie sehen kann. Dann greift sie nach ihrem Handy:

„Skiurlaub 🙂 Bin dabei, Ladys, wann geht‘s los?“

 

Version 3