Von Sabine Rickert                                       

Ich saß gemütlich am Frühstückstisch bei einer Tasse Tee und las die Tageszeitung. Dabei blieb ich bei den Angeboten für Erlebnis-Events hängen. Bungee-Jumping, Klettergarten und Indoor Skydiving. Ich erinnerte mich sofort an HEINZ. Es ist jetzt zehn Jahre her, HEINZ war mir damals eine große Hilfe. Wenn er das wüsste, trotz seiner Fehlprägung.

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Sommer 2012

Mein Geburtstag nahte in schnellen Schritten. Zwei Wochen, dann ist es wieder so weit. Die Überlegungen hinsichtlich des Ehrentags tendierten in Richtung Flucht. Ich erwägte, eine Sekunde lang, wegzufahren. Nur werden mir die Kinder, meine Mutter und Geschwister fehlen, mit denen würde ich schon gerne feiern. Auf Freundinnen verzichten? Auf keinen Fall! Auf die angeheiratete Mischpoke? Warum nicht! Jedes Jahr das gleiche Problem. 

Auch dieses Mal entschied ich mich gegen die Flucht. Ich lud zur Gartenparty ein. Wir sind eine große Familie. Ich wünschte mir nur, dass jeder Gast etwas zur Party beisteuert, dann bin ich in der Küche entlastet und bekomme nicht wieder hippe Events geschenkt, mit denen sich die Verwandtschaft gegenseitig auszustechen gedenkt. Es ist schon fast wie bei einem Wettkampf.

An meinem vorherigen Geburtstag bekam ich eine Segwaytour durch unsere Innenstadt geschenkt. Dort, wo ich vor 30 Jahren eingebürgert wurde. Dann kennt man das Zentrum. Mit einem komischen Helm ausgestattet, stand ich bewegungslos auf einem elektrischen Rollator ohne Einkaufskorb und fuhr in diesem Outfit durch das belebte Stadtzentrum mit weiteren fünf Teilnehmern im Schlepptau. Wie eine übergroße Entenfamilie. Wir waren die Attraktion an jenem Nachmittag. Ich traf auf einige Freunde und Bekannte, die mich trotz Helm sofort erkannten. Sie hatten riesigen Spaß an meiner Erscheinung. Die Geschwindigkeit war an die Fußgänger angepasst, somit hatten alle Beteiligten länger etwas davon.

Wieso bekomme ich nicht coole Events geschenkt, wie zum Beispiel eine Offroadtour in einem Hummer H2 oder Jeep Wrangler, mit mir am Steuer. Es fragt mich keiner nach meinen Wünschen, mit der Ideenfindung profilieren sich die Gäste. Bogenschießen würde ich gern ausprobieren, das ist nicht so teuer, und man macht dabei eine supercoole Figur. 

Samstag Nachmittag, der Tag meiner Geburt vor vielen Jahrzehnten. Alle hatten Zeit, keiner hat sich abgemeldet und jeder brachte etwas mit. Ich hatte das Grundgerüst einer Gartenparty besorgt, Getränke und Grillfleisch. Die Verwandtschaft hatte sich angestrengt und mit Kuchen und exotischen Salaten das Buffet aufgestockt. Das Wetter war perfekt und ich freute mich auf ein geselliges Beisammensein.

Jeder der Gäste hatte zusätzlich, ich hatte es befürchtet, ein Geschenk dabei und ich sagte bei der Begrüßung: „Aber ihr habt so leckeres Essen mitgebracht, das ist schon Geburtstagsfreude genug.“

Doch niemand wagte es, >nicht nur< mit vollen Salat-, und Kuchenhänden zu kommen.

Nach dem Kaffee begab ich mich an das Auspacken der Mitbringsel.

Gutscheine meiner Lieblingsboutique, juchhu. Tai-Massage, perfekt. Eine große Margerite für den Garten, bezaubernd. Aber dann kam es doch, das befürchtete Event, das Ausstechgeschenk der Schwägerin. Von ihr war die Segwaytour im letzten Jahr.

Diesmal war es eine LAMA-WANDERUNG. Ich biss die Zähne zusammen, wie beim Blutabnehmen, und bedankte mich recht herzlich.

Sie erzählte begeistert die Geschichte der Ideenfindung. Und zwar anhand dessen, dass ich ja, in ihren Augen immer so angespannt und unausgeglichen bin, kam ihr die Idee mit dieser Wanderung. Ich benötige mehr Self-Care und Mi-Time gekoppelt mit Digital-Detox. Dafür brauche ich neue Rituale im Alltag. Dann würde ich einen anderen Blickwinkel bekommen, das nennt man heute Reframing. Das Lama würde da schon mal einen Ansatz im Umdenken bieten, damit ich zu mir selbst finden und Prioritäten gezielter setzen kann.

Ich hatte meine Prioritäten gesetzt. Keine neuen Events!

Ich täuschte große Überraschung vor und rief: „Oh, eine Lama-Wanderung, wie originell, ich freue mich auf die Anden, das war doch nicht nötig. Ist kein runder Geburtstag.“ 

Die vorgetäuschte Freude auf die Anden war recht kurz, es gab nur die >Anden des Ruhrgebiets<. Dort finden ebenfalls Lama-Wanderungen statt, wie ich gleich darauf erfuhr.

Klar, ich bekomme ja hier in Nordrhein-Westfalen sogar Bergsteigermüsli beim Discounter. Wir haben hohe Halden, zusätzlich mit einer großen Ski-Halle auf dem Gipfel. Ich überlegte, das Geschenk weiterzureichen, an eine gestresste Arbeitskollegin. Es stellte sich heraus, dass dies nicht möglich war. Die Schwägerin hatte vor, mich zu begleiten. Ein Mädelsnachmittag nur für uns beide. 

Sie lobte die Wanderung nochmals über alles. Es wäre Balsam für meine Seele, gibt Energie für den Alltag, indem die Tiere uns im Hier und Jetzt abholen und uns in ihre Welt führen. Na dann, Augen zu und durch. Es ist ja kein Bungee-Jumping oder Freestyle Climbing, tröstete ich mich. Somit nicht gefährlich für Leib und Leben. Im schlimmsten Fall spucken die Tiere uns an.                      

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Eine Woche später.

Nachdem wir auf der Lama-Farm angekommen waren, gab es eine herzliche Begrüßung vom Trekkingführer. Weiterhin folgten die Anweisungen für den Umgang mit den höckerlosen Kleinkamelen. Regulär sind es vorsichtige und zurückhaltende Tiere, von denen keine Gefahr ausgeht. 

Jedem von uns, wir waren insgesamt fünf Personen, wurde sein Lama vorgestellt. Wir nahmen schon mal Kontakt zu ihnen auf. Das war am leichtesten mit Futter, und recht zutrauliche Lamas ließen sich sogar striegeln. Mein Lama hatte schwarzes Fell und hieß HEINZ. Ich war entsetzt, er ist doch ein Südamerikaner. Währe da nicht ein spanischen Namen passender? Ich beschloss, ihn Enrique zu nennen. 

Langsam und lässig schlurfte ich auf Heinz/Enrique zu.

Ich täuschte Gelassenheit vor, und ein ausgeglichenes Wesen.

Heinz/Enrique durchschaute das Spiel. Ich hatte es schon bemerkt, Pferde reagieren ähnlich. Die lassen sich ebenfalls nichts vormachen.

Heinz schaute mich skeptisch an. Auf Enrique reagierte er überhaupt nicht, bei HEINZ zuckte er zumindest etwas nervös. 

Ich bekam Futter, welches er rigoros ignorierte. Chapeau, er war nicht bestechlich. Da sind Pferde doch anders, mit Möhren erreicht man einiges mehr. Heinz hielt mich auf Abstand.

Die Annäherung war gescheitert, aber er hatte meinen Respekt. Der Wanderführer hatte Mitleid mit mir, oder er verkürzte das Ganze, damit wir endlich loskamen. Somit überreichte er mir Heinz am Strick und wünschte mir eine entspannte Wanderung. Ich bekam die Anweisung hinter Lukas herzugehen. Er war der Freund von Heinz. Ihm würde er friedlich folgen. Ich erhielt den Tipp, den Führstrick etwas länger zu lassen, dann hätte ich mit ihm keinerlei Schwierigkeiten. Außerdem erwähnte er, dass Lamas die Menschen nicht anspucken, sondern sich nur gegenseitig, bei Futterneid und Kompetenzgerangel. 

Der Treck setzte sich in Bewegung und Heinz lief brav hinterher. Ich lies seine Leine lang und er stampfte schnell zu seinem Freund. Dafür hatte dessen Führung ein Problem, denn Heinz war schon ein bisschen aufdringlich und trat ihr in die Hacken oder drängte sie von Lukas weg, wenn sie sich mit ihm beschäftigte. Heinz war besitzergreifend und etwas futterneidisch.

Daraufhin bekam ich die geballte Wut von Lukas Führung ab. 

Sie giftete mich an, ich hätte dieses Lama nicht im Griff und bräuchte  mehr Durchsetzungsvermögen. Kein Wunder, dass mein Mann und die Kinder mir auf dem Kopf herumtanzen.

Wie man jetzt leicht errät, war Lukas Führung die Schwägerin.

Es verwirrte mich, war das Ziel Entspannung und Selbstfindung oder war dies ein Managerseminar, um Führungsqualitäten auszubauen? 

Es nützte auf keinen Fall etwas, gegen Heinz zu arbeiten. Er ließ sich nicht zurückziehen. Dann wurde er stur und arbeitete dagegen. 

Der Wanderführer erklärte, dass HEINZ ein Flaschenkind war und eine Fehlprägung hat. Das hieß, er war falsch erzogen. Er ist etwas aufdringlich, aber nicht gefährlich, solange ich mich nicht mit ihm anlege.

Ich ließ den Strick locker und hetzte ihn wieder auf meine Schwägerin.

Das war der Self-Care Moment, seit einer Stunde hatte ich außerdem Digital-Detox. Auftrag fast erfüllt!

Die Schimpferei hörte langsam auf, ihr fehlte die Ausdauer. Die Lamawanderung wirkte und sie wurde entspannter. Sie beschäftigte sich jetzt weniger mit Lukas, dadurch wurde Heinz etwas in Schach gehalten.

Nach anderthalb Stunden und vielen gescheiterten Abwehrmanövern meiner Verwandten gegenüber Heinz, legten wir eine Pause ein. Endlich sitzen, Heinz und Lukas warfen sich in ein Sandloch. Jetzt auf dem Gipfel der Halde bemerkte ich einen kleinen Hunger auf ein Bergsteiger Müsli. Meine Schwägerin war völlig fertig und ich hatte den Vorschlag, doch einmal die Tiere zu tauschen, da HEINZ zu mir am liebsten Distanz hält. Reframing, Auftrag erfüllt! Sie war damit einverstanden und der Rückweg lief wesentlich relaxter. Ich verteilte kein Futter, Lukas schaute mich ebenfalls skeptisch an und hielt Abstand, dadurch war die Kluft zu HEINZ gewährleistet. Eine entspannte Rückwanderung, mit genügend Platz für alle. 

Ich beschloss, aus Sicherheitsgründen mich vor meinem nächsten Geburtstag für die Flucht zu entscheiden. Denn ich habe großen Respekt vor einigen Events, die der letzte Schrei sind.

Der Besuch eines ESCAPE ROOMS.

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