Von Monika Heil

„In guten wie in schlechten Zeiten“, hatte ich vor vielen Jahren am Altar versprochen. An guten wie an schlechten Tagen ja, und an gewöhnlichen? Da wird es hin und wieder schwierig.

 

Heinz ist ein absoluter Einkaufsmuffel, sofern es sich nicht um technische Artikel handelt. Wenn es nach ihm geht, hält jedes Kleidungsstück zwanzig Jahre. Mode ist Frauensache. Seine Anzüge sind klassisch geschnitten und werden nicht unmodern. Meint er. Neue Schuhe? Die alten sind doch gerade so schön eingelaufen. Da waren zum Beispiel seine Lieblinsmokassins – dunkelweiß, seitlich leicht gewölbt, mit fast durchgelaufener Sohle. Eines Tages stand er mit drei dicken Querfalten auf der Stirn und Gewittergrollen in der Stimme vor mir. Zwischen zwei spitzen Fingern schwenkte er vorwurfsvoll seine Mokassins.

„Wer hat  d i e  in die Mülltonne geworfen?“ Unser Haushalt besteht nur aus zwei Personen. Hätte ich doch die alten Zeitungen darüber gelegt. Zum Glück ist mein Mann kompromissfähig. Er trägt sie jetzt nur noch beim Tapezieren, das heißt, alle fünf Jahre einmal.

 

Letzten Samstagmorgen wurde ich wach, blinzelte durch die halb herabgelassenen Jalousien am Schlafzimmerfenster und stellte mit Befriedigung fest, dass draußen trübes Wetter herrschte. Ideal für mein Vorhaben. Wohlig kuschelte ich mich in meines Mannes Arm und streichelte ihn sanft. Ich weiß, in dieser Viertelstunde zwischen Schlafen und Wachen erreiche ich fast alles bei ihm. Also los!

„Heinz, denkst du daran, dass deine Mutter in vierzehn Tagen Geburtstag hat?“

„Na und, das Geschenk wolltest du doch kaufen“, gähnte er.

„Du brauchst einen neuen Anzug.“ Sein ruckartiges Aufsetzen besänftigte ich mit erneutem Streicheln.

„Wieso? Ich musste doch erst zu ihrem Siebzigsten einen neuen kaufen.“

„Heinz, deine Mutter wird dieses Jahr achtzig.“

„Na und, meinst du, es erinnert sich auch nur einer der Gäste, was ich damals an hatte?“

Als er nach zehn Minuten brummelnd ins Bad ging, hatte ich ihn überzeugt, dass wir wenigstens mal „gucken“ gehen. Bei dem Wetter konnte er sowieso nicht im Garten arbeiten.

„Aber Liebling, du kannst doch nicht in weißen Turnschuhen einen dunklen Anzug kaufen gehen.“

„Wieso? Ich denke, wir gucken nur.“ Irgendwie schaffte ich es dann doch noch, ihn zu schwarzen Slippern zu überreden.

 

Der Parkplatz direkt vor dem Herrenmodengeschäft war frei. Ein gutes Zeichen. Heinz hätte ihn beinahe übersehen, „weil es vor der Tür ja nie einen Parkplatz gibt und wir bestimmt wieder ewig laufen müssen.“ Schnell stieg ich aus, weil ich mir seinen brummigen Kommentar nicht länger anhören wollte.

Die brombeer-grau-schwarz-karierte Jacke mit unifarbener Hose im Schaufenster hatte es mir sofort angetan. Ich ahnte, entweder – oder. Ob es der blaue Anzug doch noch einmal tat? War ja nur für einen Tag. Die Kombination konnte er die ganze Saison tragen und wahrscheinlich auch die nächste. Sie war einfach chic.

Mit forschen Schritten betrat ich das Geschäft. Mein lieber Mann trödelte langsam hinter mir her, sich immer wieder umsehend, ob auch der Wagen gut geparkt war, ob …

„Guten Morgen, die Herrschaften. Was darf es sein?“, begrüßte uns der Geschäftsinhaber mit seiner freundlichsten Verkäufermiene.

„Meine Frau sucht einen Anzug für mich“, antwortete Heinz prompt. Ich versteckte meinen roten Kopf hinter einem Krawattenständer und tauchte erst wieder auf, als mein lieber Mann erklärte: „Und ich auch.“

Nach der dritten Hose begriff auch Heinz, dass er schon wieder zugenommen hatte und nun eine Nummer größer kaufen musste. Endlich hatte er – oder besser gesagt, der Verkäufer –  das Passende gefunden, anthrazit, Bundfalten, modisch geschnitten.

„Diesen Anzug können Sie zu allen Gelegenheiten tragen“, versicherte er. Langsam pirschte ich mich mit der Kombination im Arm heran.

„Wenn du einmal dabei bist, probier´ doch mal die Jacke hier.“ Mit meinem strahlendsten Lächeln hielt ich ihm das gute Stück hin. Mein Mann ist ein höflicher, gut erzogener Mensch. Im Beisein von Fremden würde er mich nie anschnauzen. Zähneknirschend schlüpfte er in den Blazer. Während sich Heinz den Hals verrenkte, um sich im Spiegel auch von hinten betrachten zu können und ich voller Bangen an seine Bandscheiben dachte, kam mir der Verkäufer mit Verschwörermiene entgegen.

„Der Schnitt macht außerordentlich schlank. Die Hose des grauen Anzuges können Sie auch mal damit kombinieren.“ Das fand sogar mein lieber Mann praktisch. Behutsam wischte ich ihm die Schweißperlen von der Stirn, als er noch einmal aus der Kabine kam und aufatmend feststellte, dass die brombeerfarbene Hose sowieso nicht passte.

„Ich weiß, ich muss abnehmen“, murmelte er. Die Bemerkung des Verkäufers, sie führten auch schöne Jogginghosen, ärgerte mich.

„Siehst du“, erklärte mir Heinz beim Verlassen des Geschäftes „so kauft man sinnvoll ein. Praktisch, kombinierbar und qualitätsbewusst.“ Letzteres hatte er wohl aus dem hohen Preis abgeleitet. „Nun habe ich wieder ein paar Jahre ausgesorgt.“ Ich verschluckte eine Antwort.

„So, nun muss ich aber schnell noch in den Baumarkt. Die haben zur Zeit jede Menge Angebote.“ Er verstaute die Tüte mit dem neuen Anzug und dem chicen Blazer im Kofferraum.

Ich hatte erreicht, was ich wollte. Nun konnte er in Frieden ziehen. Wir verabredeten uns zum Mittagessen eine Stunde später bei unserem Lieblingsitaliener. Gönnerhaft überließ mir Heinz das Auto. „Stell es gleich bei Giovanni ab“, riet er mir, als ich ihn kurz darauf im nahe gelegenen Center aussteigen ließ.

Während ich allein durch die Stadt bummelte, stellte ich mir meinen Brummbär in seinem geliebten Baumarkt vor. Da konnte er stundenlang schauen, prüfen, vergleichen, fachsimpeln und kaufen. Dort und in technischen Abteilungen der Kaufhäuser war er in seinem Element. Klamotten waren eben Frauensache.

 

Ich kam etwas früher als er beim Italiener an. Die Sonne schien inzwischen und so konnte ich mich nach draußen setzen. Giovanni servierte mir gerade ein Glas Pino Grigio, als Heinz, schwungvoll und offensichtlich gut gelaunt, die schmale Straße herauf kam. In seinen schönen dunklen Augen blitzte Freude. Lag das an mir oder an seinem Einkauf? Fragend schaute ich auf den langen, verpackten Gegenstand in seiner Hand.

„Hast du etwas Schönes gefunden, Liebling?“

Er bestellte ebenfalls ein Glas Wein und erklärte mir strahlend: 

„Ja, Schatz, im Gartencenter gab es elektrische Heckenscheren im Angebot.“

„Aber Liebling, wir haben doch gar keine Hecke.“

„Macht nichts, dann pflanzen wir eben eine.“ Mein Mann ist wirklich praktisch veranlagt, oder?

Liebevoll sah er mir in die Augen und prostete mir zu.

Ja, so ist die Sache mit Heinz. Ich liebe ihn seit meinem ersten: „Ich dich auch.“ Manchmal aber, ich gebe es gerne zu, denke ich: „Du mich auch.“

 

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