Von Martina Zimmermann

Wie glücklich hätten wir zusammen werden können. Wir waren für einander geschaffen. Hatten die gleichen Interessen und wir liebten es gemeinsam unsere Zeit zu verbringen, wäre da nicht die Sache mit Heinz gewesen. Er schaffte es, alles zunichte zu machen…

 

Es war im Sommer vor zehn Jahren. Peter und ich, eine Einheit, ein Gespann, welches  in einem Geschirr eng zusammen, den Karren auf die richtige Spur zog. Wir  hielten zusammen, verträumt und naiv, so wie es Teenager sind und  träumten  von der gemeinsamen Zukunft ohne zu zweifeln.   Uns stand die Welt  Nie wieder spürte ich diese Unbeschwertheit.

 

Es waren Ferien. Der Sommer war heiß wie lange nicht mehr. Die Bäume und die Natur dürsteten vor sich hin, flehend nach Wasser und so mancher  alter Mensch, hechelte nach einer Abkühlung. Doch wir waren jung und die Wärme schien uns noch zu beflügeln.

„Komm mit, wir fahren zum Baggersee“, rief Peter und seine Augen strahlten bei der Vorstellung ins kühle Nass einzutauchen und mich leicht bekleidet im Bikini zu sehen. Im Wasser wie durch Zufall meine Haut zu berühren. Spielerisch sich mir zu nähern. Ich wusste es genau. Ich kannte ihn und manchmal schien es so, als wenn ich in seine Gedanken eindringen konnte.  Wir verständigten uns oft nur über Blicke, die wir einander zuwarfen, und jeder wusste, was der andere dachte. Doch aus einer Freundschaft zwischen Frau und Mann heraus den Weg in die Liebe zu finden, schien für uns ein steiniger Weg. Eigentlich war es ganz einfach und dennoch kompliziert.

 

„Ich komme gerne mit“, sagt ich  und schenkte ihm ein Lächeln. Es fiel mir leicht. In Peters Gegenwart schien meine Mimik auf den Lächelmodus einprogrammiert zu sein. Ich konnte die Reset-Taste nicht drücken und wollte es auch nicht. Peter schien es zu gefallen. Nichts schien falsch zu sein, solange ich an seiner Seite war. Die ganze Welt war genau jetzt gut wie sie war und keiner von uns hätte etwas daran ändern wollen.

Für uns sollte die Zeit stehen bleiben…

 

„Hast du alles eingepackt?“, fragte Peter und sah mich erwartungsvoll an während wir unsere Badesachen auf dem Mofa verstauten. „Klar, und etwas zu trinken und zu naschen habe ich auch“, erwiderte ich. „Oh, etwas zum Naschen“, rief er und schaute mich verheißungsvoll dabei an.

Eine Geste, die mir sofort die Röte in mein immer lächelndes Gesicht trieb. Ich schämte mich sogleich dafür, aber Peter schien es zu amüsieren. Im nächsten Augenblick lachte ich mit.

 

Wir stiegen auf unsere Mofas und fuhren einige Kilometer weit zu einem Baggersee in der Nähe. Hier waren wir nicht alleine, aber das war uns schon im Vorfeld klar. Ich hoffte, wir könnten doch eine Stelle finden, an der wir etwas Abgeschiedenheit genießen könnten. Peter schien die gleichen Gedanken zu haben. Er spähte über das Gelände und die vielen Leute hinweg mit der Hand über den  Augen der Sonnenblendung zum Trotz. Hinter ihm wartend, von einem Bein auf das andere tretend, den Sand zwischen den Zehen spürend, der sich in meine Leinenschuhe gedrängt hatte, hoffte ich, er würde mich an die Hand nehmen und zu einem geeigneten Platz führen.

 

Peter sah mich an, lächelte und nahm meine Hand. „Komm, da hinten ist noch Platz, da sind kaum Leute.“ Hatte er meine Gedanken erneut gelesen, oder war es Telepathie? Nein, er fühlte ganz einfach genauso wie ich. Ich lächelte wie immer, dieses Mal in aufrichtiger Vorfreude, die ich mit ihm zu teilen schien.

Wir liefen am Ufer entlang. Keiner sagte ein Wort. Immer noch Hand in Hand, an den Leuten vorbei die dicht gedrängt nebeneinander lagen. Weiter hinten, wo der Sand nicht mehr so weich war und sich die Grasnarben mit dem Strand verbanden, dort verweilte komischerweise niemand.

Es war uns egal, wie die Gegebenheit des Bodens war. Wir waren für uns. Weiter weg von allen andern und wieder in unsere Welt.

Peter breitete seine Decke aus und wir entkleideten uns. Ich versuchte mich auf mich selbst zu konzentrieren und erhaschte dennoch schnelle Blicke auf ihn. Sein muskulöser Körper sprach mich sehr an. Er schien definiert und war leicht gebräunt. Peter trug Shorts, die lässig auf seinen Hüften saßen. Während ich mich träumend auszog, wurden mir meine Gedanken bewusst, er könnte erahnen, was ich gerade dachte. Ich wurde rot. Erneut ärgerte ich mich.

Peter hatte genauso wie ich seine Blicke schweifen lassen. Im Grunde war das klar, aber weder er noch ich wollten es zugeben. Die Wand war zu stark. Sie hatte immer noch die Macht.

 

„Sollen wir ins Wasser gehen?“, fragte Peter und sah mich erwartungsvoll an. „Gerne“, strahlte ich ihn an. Wir liefen die wenigen Meter über den Strand und schritten langsam mit den Füßen ins kühle Nass. „Das nenne ich eine Erfrischung“, lachte Peter. Ich lachte mit. Das Wasser war tatsächlich sehr kühl, aber wir wollten es wagen und noch im nächsten Moment ließen wir uns fallen. Prustend und nach Luft schnappend vor Kälte, erhoben wir uns leicht aus dem Wasser um sofort wieder unter zu tauchen. Wir lachten und bespritzen uns gegenseitig. Die Leichtigkeit hatte uns in diesem Moment in den Arm genommen. Da war sie, diese Unbefangenheit. Wie kleine Kinder die sich näher kommen und im Spiel Berührungen erleben.

Zunächst lachten wir und tollten herum. Doch dann schossen meine Gedanken wie ein Blitz, der mich traf in meinen Knochen. Die Wand war wieder da. Warum? Auch Peter schien sie zu spüren. Diese Mauer, können wir sie heute durchbrechen? Ich versuchte so unbefangen wie es mir möglich war zu tun, doch die Magie, die kurz vorher noch zwischen uns gelegen hatte, war verflogen.

 

Wohin? Und warum? Hatte ich alles zerstört? Durch meine Gedanken, die einfach kamen… sich in mein Hirn schlichen? Ich könnte mich verfluchen, könnte schreien. Was soll das? Aber ich tat so, als wenn nichts gewesen wäre.

 

Peter blickte mich an und sagte: „Mir ist kalt, kommst du mit raus?“ Ich nickte stumm und dann schritten wir beide wortlos aus dem Wasser und liefen zu unserer Decke. Wir trockneten uns ab und legten uns nebeneinander in die Sonne. Keiner sagte ein Wort. Jeder für sich in Gedanken versunken. Warum kann keiner von uns den ersten Schlag gegen die Wand erheben? Soll ich?

Ich habe keinen Mut. Was ist, wenn er auch keinen Mut hat? Ich muss etwas unternehmen, sonst wird das nie etwas…

Ich nahm all meinen Mut zusammen und drehte mich auf die Seite. So konnte ich in Peters Gesicht blicken. Er hatte seine Augen geschlossen und ich schaute ihn einfach nur an. Seine schönen Wimpern, die vollen, geschwungenen Lippen, die sich so manche Frau gewünscht hätte…

Ich muss es tun, jetzt gleich, küsse ihn einfach auf diese Lippen, dachte ich mir.

Jetzt gleich, tue ich es. Meine Anspannung wuchs. Innerlich vibrierte mein Blut in den Adern und eine leichte Gänsehaut umgab meinen Körper, obwohl ich in der warmen Sonne lag.

Jetzt, dachte ich,  als ich allen Mut zusammen nahm und mich vorbeugte, immer näher an sein Gesicht herantastend. Ich nahm ihm die Sonne und war so dicht über ihm. 

Jetzt tue ich es. Mit leicht geöffneten Lippen bewegte ich mich Zentimeter für Zentimeter auf seinen geschlossenen Mund zu.

Fast hätte ich sie berührt, als ich diese nassen Spritzer auf meinem Körper spürte. Erschrocken drehte ich mich um. Heinz stand dort und grinste mich mit seinem breiten, für mich in diesem Moment widerlichen Lächeln an.

„Da habe ich euch beiden Turteltauben aber gestört!“ Er lachte jetzt noch mehr und mein Gesicht rötete sich vor Wut und Scham zugleich. Was hatte er gesehen? Ich hoffte, er konnte meine Absicht Peter zu küssen, nicht erkennen. Peter öffnete seine Augen und lachte. „Quatsch, schön dass du da bist“, sagte er.

Ich konnte es nicht fassen.

Meine Enttäuschung schoss mir bis in die Glieder. Unfähig irgend etwas zu sagen, beschloss ich mich auf die Decke zu legen und so zu tun, als wollte ich mich sonnen.

Peter erhob sich und lief mit Heinz ins Wasser. Den Tränen nahe überlegte ich, was ich tun könnte. Ich entschied mich aber dafür, die Wand aufrecht zu erhalten und so zu tun, als wäre alles gut.

 

Nie wieder fanden Peter und ich unseren geeigneten Moment.

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