Von Julia Kalchhauser
„Jetzt wurde gerade noch so ein bunter Strauß geliefert!“ Die Stimme meiner Mutter klingt nicht freudig, sondern ein wenig besorgt.
„Ist er schön?“
„Ich verstehe das nicht, es muss sich um ein Missverständnis handeln“, sie ignoriert meine Frage. Hat mich wahrscheinlich nicht einmal gehört, macht sie nicht absichtlich.
„Ist er denn schön?“, versuche ich es erneut.
„Es gibt ja so viele Verrückte da draußen, Josef. Was ich da im Fernsehen manchmal sehe, richtig fürchten kann man sich, ich sag‘s dir! Solche verschmähten Verehrer, die sich verstecken und der Angebeteten dann auflauern und weiß Gott was für Scheusslichkeiten antun, wenn sie abgewiesen werden, was wenn-“
„Mama!“, barsch unterbreche ich ihren Wort-Tsunami, bevor er mich überschwappt.
„Ja, Seppi, was denn?“
„Ob er schön ist, hab‘ ich dich gefragt.“ Ich höre ihre Verwunderung.
„Mhmm nun ja, schön ist er“, es klingt, als ob sie sich vom Telefon abgewendet hat, „sind so bunt zusammen gewürfelt, sehen fast aus wie Wildblumen“, die Stimme kommt zum Telefon zurück, „aber darum geht es doch hier nicht, Seppi! Das ist der zweite innerhalb einer Woche. Auf dem Kärtchen steht eindeutig für Charlotte, aber nicht von wem er kommt.“ Bevor sie sich wieder in einen Strudel redet, aus dem ich sie mühevoll herausziehen muss, setze ich dem Gespräch ein Ende.
„Mama schau: er gefällt dir doch und ist offensichtlich für dich. Wenn kein Absender unterschrieben hat, hast vielleicht einen heimlichen Verehrer. Aber ganz sicher einen harmlosen. Wer sollte dir denn auflauern?“ Ich hoffe, das kommt jetzt richtig bei ihr an. „Du bist siebzig und lebst von einer kleinen Pension. Schau nicht so viel Nachrichten und Tatort, die echte Welt ist viel weniger schlimm, als du denkst.“ Ich muss schmunzeln.
„Ja, hast ja recht“, gibt sie zu, „er ist wirklich schön. Prächtig. Und dabei ist der erste noch nicht mal verblüht. Bald gehen mir die Vasen aus, Seppl!“ Jetzt muss sie selbst lachen.
„Soll Schlimmeres passieren, Mama. Ich muss jetzt los. Genieß den prächtigen Anblick und mach dir keine Sorgen!“ Wir verabschieden uns und ich schüttle leicht den Kopf in Gedanken, meine Mama könnte tatsächlich einen Stalker haben. Bevor das passiert, haben Politiker Skrupel.
***
Ich sitze mit meinem Mann bei einem Glas Wein, als mein Handy aufgeregt zirpt. Das Foto meiner Mutter erscheint auf dem Display. Mein Mann sieht, wer anruft, und meint, ich solle abheben. „Ich wische rüber“, korrigiere ich ihn, „denn abheben tut heut niemand mehr!“ Meine Klugscheißerei kann er gar nicht mehr kommentieren, da ich schon rübergewischt hab. „Hallo Mama.“
„Josef, er ist wieder da!“ Schäumt es aufgeregt durch das Telefon.
„Der Herbst? Der Sturm? Der zur Seite getretene Kanzler? Du musst schon bisschen genauer sein, Mama.“
„Ach was, der Kanzler.“ Die Verachtung ist unüberhörbar. „Der Verehrer, Josef!“ Ich muss lächeln, stehe vom Tisch auf und mache in der Wohnung ein paar Schritte.
„Wieder ein Blumenstrauß? Wie lange ist der letzte her … vier Wochen? Fünf?“
„Nein, kein Strauß, Sepp. Dieses Mal war da ein kleines Packerl im Briefkasten, schön verpackt mit Mascherl und so. Und stell dir vor, ich weiß jetzt, von wem‘s ist!“
„Tatsächlich! Du machst es aber spannend, wer ist der Romantiker?“
„Naja, also ich mein‘, ich weiß jetzt, wie er heißt. Es lag eine Karte dabei, wunderschön, mit einer herbstlichen Berglandschaft vorne drauf, vielleicht im Salzkammergut oder so, ein See im Vordergrund und dann diese bunten Herbstbäume vom Ufer den ganzen Berg hinauf-“
„Mama, ich kenn das Salzkammergut“, unterbreche ich in mildem Ton ihre Schwärmerei, „von wem ist das Geschenk?“
„Ach so ja, also hinten steht nur: Liebe Charlotte, ich wünsche dir viel Freude hiermit. Und dann unterschrieben von Heinz.“
„Heinz?“
„Ja, mehr steht da nicht, Seppi. Also doch, ein Zitat von Rainer Maria Rilke hat er noch drunter geschrieben: Alles, was mehr aus uns macht, ist Gnade für uns.“
„Ja, Rilke, schön und gut, aber welcher Heinz, Mama?“
„Das ist es ja gerade! Ich kenne keinen Heinz!“ Sie lacht. „Ich hab gegrübelt und gegrübelt, aber ich hab in meinem ganzen Leben keinen einzigen Heinz gekannt, ich bin mir ganz sicher! Aber Rilke mag ich immer schon, also ist der Heinz irgendwie nebensächlich.“ Ich bin froh, dass sie nicht wieder von Mord und Totschlag anfängt.
„Na bitte. Zumindest einer der Männernamen sagt dir was!“ Jetzt muss auch ich lachen. „Und was ist das Geschenk?“
„Eine Sammlung von Rilkes Gedichten. Und Heinz hat bei manchen kleine Kommentare dazu vermerkt. Was ihm besonders daran gefällt oder wo er es zum ersten Mal gelesen hat und sowas.“ Ich höre, dass sie lächelt.
„Ich sag doch: ein richtiger Romantiker, dein Heinz, hm?“
„Mein Heinz!“, lacht sie, „ich bitt‘ dich Seppl, das ist nicht mein Heinz. Ich sag doch, ich kenn nicht mal jemanden, der so heißt.“
**
„Hallo Mama, wie geht‘s?“
„Josef, schön von dir zu hören!“ Sie klingt ungewöhnlich ausgeglichen. „Gut geht‘s, danke, und dir?“ Ich vernehme fernes Kinderlachen im Hintergrund.
„Eh auch gut. Wo bist du denn, Mama?“
„Im Park. Ich sitze auf einer Bank und lese ein bisschen. Die Frühlingssonne ist noch nicht so aggressiv, weißt du? Da halt ich‘s ganz gut aus.“
„Schön. Da will ich auch gar nicht länger stören.“
„Wolltest du denn etwas Bestimmtes?“
„Nein, gar nicht. Nur fragen, ob alles in Ordnung ist, da ich paar Tage nichts gehört hab von dir. Sonst nichts.“ Noch vor paar Monaten hätte es das nicht gegeben. Fast täglich hat sie angerufen, von der Eintönigkeit ihres Alltags erzählt, gefragt ob wir spazieren gehen oder zu ihr zum Essen kommen wollen. Das scheint sich geändert zu haben.
„Ach so, ja, alles gut. Weißt du, Heinz hat mir ein Buch empfohlen und ich kann‘s kaum weglegen. Da sind die letzten Tage nur so verflogen.“
„Rilke?“ Ich schmunzle.
„Nein, der kennt doch nicht nur Rilke, Seppi. Nein, nein, den neuen Köhlmeier. Wahnsinnig gut, wirklich. Ich borg ihn dir, wenn ich fertig bin damit.“
„Ok, Mama.“ Ich frag mich insgeheim, wann sie das letzte Mal etwas gelesen hat, das über den Umfang einer Packungsrückseite hinaus geht. „Du Mama, das ist doch schon seltsam mit diesem Heinz, oder? Ich mein, du weißt noch immer nicht, wer es ist oder wie du mit ihm in Kontakt treten könntest. Und bekommst nun schon seit über einem Jahr immer wieder kleine Geschenke von ihm.“
„Mhm, richtig“, stimmt sie mir zu. „Aber weißt du, Sepp, ich seh das so: der Heinz weiß ja, dass ich ihn nicht kontaktieren kann. Und ich denk mir, wenn er es wollte, würde er mir die Möglichkeit geben. Also nehme ich einfach an, was er mir geben oder mitteilen will, in dem Wissen, mich gar nicht revanchieren zu können. Ich hab mich damit längst abgefunden.“
Das Seltsame ist, dass ich es ihr sofort abnehme. Die Bestimmtheit ihrer Aussage trägt keine Spur von Misstrauen oder Zweifel. Wenn sie die Dinge so akzeptieren kann, wie sie sind, dann kann ich das auch.
„Find ich super, Mama, wirklich! Und wer weiß, vielleicht ist der ja eh so hässlich, dass es besser ist, ihn nicht persönlich zu treffen?“ Ich lache.
„Ach Josef, du und dein Humor! Wie er aussieht ist doch vollkommen egal, Geschmack hat er auf jeden Fall. Letztens habe ich eine Anleitung für einen Cocktail bekommen. Ein Cocktail mit Tomatensaft, stell dir vor! Sowas schmeckt mir doch nicht, hab ich gleich gedacht. Die Paradeiser g‘hören in den Salat, aber sicher nicht mit Wodka ins Cocktailglas.“ Sie kichert.
„Hast du‘s ausprobiert?“
„Ja, hab ich. Und es war richtig erfrischend! Diese Würze … hat mir wirklich gut geschmeckt, Seppi, wer hätte das gedacht?“
„Guter Typ, dein Heinz!“ Ich grinse.
„Ja, sehr gut!“ Ich weiß nicht, ob sie Heinz oder das neu entdeckte Getränk meint. „Wer hätte gedacht, dass Gemüsesaft sich so gut mit Schnaps verträgt, obwohl‘s wirklich widerlich klingt?“ Jetzt müssen wir beide lachen.
**
„Wirklich wahnsinnig gut war das Curry!“ Mein Mann kann herrlich charmant schleimen. Dabei weiß ich, dass er jedes Wort so meint. Er liebt asiatisches Essen. Wir beide tun das. Meine Mama mochte es eigentlich nie, geschweige denn, dass sie es selbst gekocht hätte. Horizont ganz schön erweitert, würde ich sagen.
„Ach, das freut mich, wenn‘s euch geschmeckt hat. Heinz sei Dank.“ Sie lächelt verschmitzt. „War schließlich nicht die erste Empfehlung von ihm, die ich in den letzten achtzehn Monaten erfolgreich nachgekocht hab‘.“ Selbstbewusster ist sie geworden. Weniger ängstlich und weniger schnell gekränkt, wenn mir eine Spitze auskommt, die nie kränkend sein sollte.
„Danke Mama, war echt richtig gut.“ Ich gebe ihr einen Kuss auf die Wange und umarme sie zur Verabschiedung. „Komm Schatz!“ Ich greife den bewintermantelten Arm meines Liebsten und wir treten aus dem winzigen Vorzimmer ins Stiegenhaus.
„Richtig aufgeblüht ist sie“, bemerkt mein Mann als wir auf den Aufzug warten. Ich grinse von Ohr zu Ohr. Und als die Tür des Aufzugs sich ächzend hinter uns schließt, schlingt er seine Arme um mich, küsst meinen Hals und flüstert: „Ich liebe dich, Heinz!“
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