Von Miklos Muhi
Alle Verkäufer mussten vom Sonnenaufgang bis zum Sonnenuntergang arbeiten. Im Sommer war das ganz schön viel, aber im Winter purer Luxus. Dafür bekamen sie ein für den Einzelhandel geradezu fürstliches Gehalt.
Der Laden war fast durchgehend geöffnet. Eine Genehmigung dafür zu bekommen war für den Chef kein Problem und es gab nie Ärger mit den Behörden wegen der Arbeitszeiten. Für die Nacht übernahm er immer persönlich den Laden, zusammen mit seinem Assistenten.
Die Abrechnung der Einnahmen verlief glatt, wie immer. Danach durfte der diensthabende Verkäufer nach Hause gehen.
»Schönen Feierabend!«, sagte Vlad.
»Danke, Chef. Bis morgen!«
Je später die Stunde, desto stiller wurde es im Laden. So hatte Vlad genug Zeit seinem Assistenten Daniel alles zu lehren, was er wissen musste. Das war ganz schön viel. Daniel kam aus einem problematischen Elternhaus, war auf die schiefe Bahn geraten und hatte die Schule viel zu früh verlassen. Seine einzige Beschäftigung war jahrelang die Beschaffung seiner täglichen Dosis Heroin gewesen.
Nun hatte er ein Dach über dem Kopf, eine gut bezahlte Stelle im Laden und beste Aussichten auf ein sehr langes Leben. Sicherlich ergaben sich manche Nachteile aus der ganzen Chose, aber er war schon immer ein Nachtmensch. Nur selten vermisste er das Sonnenlicht. Hunger verspürte er, seit seiner fast schon erotischen ersten Begegnung mit Vlad, nie wieder.
Der Laden war Vlads Lieblingsgeschäft. Er besaß ein ganzes Firmenimperium, das er während der letzten 600 Jahre aufgebaut hatte und aus der Dunkelheit der Nacht heraus führte. Dazu gehörte eine teure Privatklinik mit eigener Blutbank, um die Nahrungsversorgung zu sichern.
»Ich habe eine Frage«, sagte Daniel, nachdem Vlad ihm einige Einzelheiten über die Buchführung des Ladens erklärt hatte.
»Los, nur her damit. Wer nicht fragt, bleibt dumm, und wie man das heute ganz deutlich sehen kann, stellen viel zu viele Menschen nie Fragen.«
»Die Tagesschicht putzt nicht und wir putzen auch nicht. Wer macht hier sauber und wann?«, fragte Daniel.
»Die von der Tagesschicht warten auf uns, aber wir warten nicht auf sie. Wir gehen eine Stunde vor Sonnenaufgang nach Hause. Geputzt wird in dieser Stunde«, antwortete Vlad.
»Wer macht das? Ich sehe nur die Verkäufer und uns auf den Gehaltslisten und wir zahlen nicht für Reinigungsdienstleistungen.«
»Vor der Sache mit Heinz habe ich sauber gemacht«, antwortete Vlad.
»Wer ist Heinz?«
»Heinz, der mit Familiennamen Ballweg hieß, wohnte in einer Plattenbauwohnung in der Nähe. Er war faul, trank viel und beschwerte sich andauernd, dass er ein Fremder im eigenen Land sei. Eines Tages kam er irgendwie zu Geld und ging mit drei anderen leeren Glatzköpfen saufen. Da erzählte er von seinen Qualen als Opfer böser Ausländer. Sie haben sich entschieden, loszuziehen und dem ersten Fremden, den sie antreffen würden, eine Lektion zu erteilen. So sind die vier Clowns um zwei Uhr in der Früh hier aufgetaucht. Sie konnten kaum stehen, stanken nach billigem Bier und Tabak und wollten alles kurz und klein schlagen.«
»Was hat das mit Putzen zu tun?«, fragte Daniel.
»Eine ganze Menge. Komm mit«, sagte Vlad, stand auf und ging Richtung Kühlraum.
Im hinteren Teil des Kühlraums befand sich eine gut getarnte Tür. Als Vlad die Handfläche darauflegte, öffnete sie sich.
Dahinter verbarg sich eine Abstellkammer voller Putzutensilien und Reinigungsmitteln auf Regalen. Zwischen all den standen dicht gedrängt vier Männer mit grünlicher Hautfarbe und ausdruckslosen Gesichtern.
»Das ist unsere Putztruppe. Von rechts nach links: Heinz, Attila, Bodo und Adolf«, sagte Vlad.
Der Mann ganz rechts hob seinen Kopf und fragte:
»Heinz putzen?«
»Nein, noch nicht.«
»Heinz warten.«
»Da bin ich mir ganz sicher«, sagte Vlad, machte die Tür zu und sie gingen zurück in den Laden.
»Was war das denn?«, fragte Daniel, als sie wieder hinter dem Tresen standen.
»Unsere Putztruppe, aber ich erinnere mich ganz deutlich, das schon erwähnt zu haben. Die Tür geht automatisch eine Stunde vor Sonnenaufgang auf. Die kommen heraus, putzen und gehen wieder zurück«, antwortete Vlad, holte eine fremdsprachige Zeitung aus einer Schublade, schlug sie auf und begann zu lesen.
»Die werden ja nicht bezahlt. Müssen sie denn nie essen?«
»Doch. Sie essen einmal pro Monat, manchmal öfter«, antwortete Vlad und blätterte um.
»Und was essen sie?«
»Menschen natürlich, wie alle anderen Zombies. Immer wenn Nazis und Schwurbler in der Stadt zusammen spazieren gehen, lasse ich sie hinaus. Die gesellen sich zu Ihresgleichen, schnappen sich einen, schleppen ihn hierher und essen ihn restlos auf. Aber jetzt mach lieber die Buchhaltung für gestern Nacht und den heutigen Tag fertig. Wir haben zwar buchstäblich ewig Zeit, aber das muss das Finanzamt nicht wissen. Nicht auffallen, Daniel, das ist das Wichtigste«, sagte Vlad und vertiefte sich wieder in seine Lektüre.
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