Von Hans-Günter Falter
Ich habe dieses natürliche Gespür für meine körperlichen Grenzen. Darauf bin ich mächtig stolz! Zurecht, wie meine Erfahrungen belegen.
Letzte Woche zum Beispiel habe ich Holz gehackt. Nicht, dass ich Holzhacken mag, oder gar körperlichen Ausgleich zu meinem öden Bürojob suche. Nein, ich liebe es, wenn an dunklen, trüben Winterabenden der Ofen prasselt. Oder schon am Nachmittag. Dann freue ich mich diebisch, wenn es knackekalt ist und ich im T-Shirt vor dem Ofen sitze, aus dem Fenster schaue und den Nachbarn beim Arbeiten zugucken kann.
Ich habe also Holz gehackt.
Ofenfertig kostet es nochmal eine schöne Stange extra. Aber nicht mit mir! Das Geld spar ich lieber!
Einen kleinen Schreck habe ich bekommen, als ich die riesigen Holzklötze erblickte, die mir in die Einfahrt gekippt wurden. Und ich sah auch das Blitzen in den Augen des Lieferanten, als er mir beim Abschied ‚Viel Spaß beim Hacken‘ wünschte. Ich hatte unzählige Male mit ihm telefoniert, um über den Preis für ofenfertige Stückgrößen zu verhandeln. Aber er war nicht sonderlich flexibel in seiner Preisgestaltung. Da war nichts zu machen, er redete sich auf den Zeit- und Kraftaufwand heraus, den er bezahlt haben wollte. Memme!
Allerdings war er trotzdem der günstigste Anbieter von allen, die ich hatte. Und das waren nicht wenige! Also bestellte ich die Lieferung bei ihm.
Da stand ich also vor meinem Berg aus wild durcheinandergeworfenen Holzklötzen. Ich wollte gleich mit dem Hacken beginnen, um es hinter mich zu bringen und vor allem, um die Einfahrt wieder freizubekommen. Klar, auch um die Nachbarn zu beeindrucken, die ich hinter den Gardinen ihrer Fenster erahnen konnte.
Ich habe also Holz gehackt.
Mit kleineren Stücken fing ich an, aber davon gab es nun wirklich nicht viele. Mit den etwas Größeren machte ich weiter, erstmal mit Kiefer, die ist langfasrig und lässt sich leichter spalten – dachte ich. An die Buche, von der ich vereinzelt ein paar Stücke aus dem Haufen lugen sah, traute ich mich vorerst nicht heran.
Nach einer Stunde machte ich eine Pause, nicht ohne zuvor meine Frau zu holen und ihr selbstbewusst zu zeigen, wie weit ich schon gekommen war.
„Oh, du bist ja wirklich ein Könner auf jedem Gebiet!“, sagte sie ehrfurchtsvoll. „Drei Scheite in einer Stunde, Teufelskerl!“ Mit diesen Worten ging sie wieder ins Haus und ich folgte ihr. Nicht ohne Stolz, das gebe ich zu. Ich schaute mich noch einmal um. Naja, ist schon noch einiges zu tun. Aber die Arbeit läuft mir schließlich nicht davon.
Schon drei Tage später machte ich mich wieder ans Werk, ich wollte unbedingt bis Freitag die Einfahrt frei haben, damit ich mein Auto wieder in die Garage stellen könnte. Tut dem Fahrzeug schließlich gar nicht gut, so der Kälte ausgesetzt zu sein, mitten im Dezember. Außerdem könnten sich die Nachbarn fragen, woher die Schramme an der Fahrertüre stammt. Üblicherweise fuhr ich das Auto immer sofort, wenn ich von der Arbeit kam, in die Garage, um diesen Fragen zu entgehen. Aber das ist eine andere Geschichte.
Ich habe also Holz gehackt. Der Muskelkater war nach drei Tagen Ruhezeit immer noch deutlich spürbar. Das Spalten der dicken Kolosse gestaltete sich überaus anstrengend, so wie ich es vermutet hatte. Ich kam gewaltig ins Schwitzen. Unangenehm. Andererseits: Schwitzen ist gesund, es entschlackt und entgiftet den Körper. Die Anstrengung ist gut für Herz und Kreislauf. Mit dem Gefühl, in Kürze schweißnass meinem persönlichen Jungbrunnen zu entsteigen, schaffte ich die nächsten Klötze. Ich versenkte das Beil mit Wucht in den Blöcken, versuchte dann mit Mühe und Tricks die Axt wieder freizubekommen, nur um sie anschließend wieder so fest einzuschlagen, dass ich sie nicht mehr herausbekam. Einerseits war ich mächtig stolz auf meine Stärke, die das Beil so tief ins Holz treiben konnte. Andererseits wünschte ich mir noch mehr Dynamik beim Lösen der eingeklemmten Axt. Ob es sinnvoll wäre, nicht so viel von meiner unbändigen Kraft aufzuwenden, damit ich mein Werkzeug schonen würde? Aber vom Streicheln würde das Holz wohl nicht in ofengerechte Stücke zerfallen, vermutete ich.
Also weiter die Ochsentour.
Ich habe also Holz gehackt. Und dabei ist es passiert. Durch mein feines Gespür für meine körperlichen Grenzen, nahm ich die Enge in meinem Brustkorb wahr. Ich hatte das Gefühl, ich sollte sofort aufhören. ‚Zumindest für heute. Werde ich auch machen! Nur noch dieses letzte Monstrum, zwei Minuten, dann höre ich auf‘. Nach dem ersten Hieb wurde mir flau im Magen, dann im Kopf und schließlich auch in den Beinen. Ich setzte mich, lehnte gegen die Garagenwand, bevor sich eine schwere graue Decke über mir senkte und mich einlullte.
„Heinz kommt wieder zu sich“, hörte ich eine weibliche Stimme, kurz bevor ich das Gesicht der dicken Clara, meiner Nachbarin, erkannte. Am liebsten hätte ich die Augen wieder zugemacht, aber ich wollte wissen, was sie auf meinem Grundstück zu suchen hatte. Und was, bitte schön, machten die anderen Nachbarn hier? Ich schaute verzweifelt zu meiner Frau, die hektisch heraneilte.
„Der Krankenwagen kommt gleich!“, rief sie mir zu. Oder sagte sie es zu den Nachbarn? Was ging hier vor?
„Ich habe Holz gehackt. Plötzlich ist mir übel geworden, weiter nichts. Mir geht es gut.“ Der Sanitäter schien nicht überzeugt, wollte mich ins Krankenhaus bringen. ‚Dabei habe ich wahrlich Wichtigeres zu tun, oder will er etwa mein Holz spalten?‘
Aber ich ließ mich überreden; überzeugt war ich nicht. Nach drei Tagen wurde ich wieder aus dem Krankenhaus entlassen, pünktlich zu Weihnachten. Jetzt liege ich zuhause auf dem Sofa, der Ofen prasselt und ich schaue aus dem Fenster. Meine Frau hackt das Holz. Wie leicht das doch aussieht! Grazil! Zuschauen ist wesentlich angenehmer als es selbst zu machen.
Und so hat mein Gespür für meine körperlichen Grenzen doch auch etwas Gutes für andere. Meiner Frau wird die Arbeit an der frischen Luft guttun. Sie hat sowieso zu wenig Bewegung und neigt etwas zum Fettansatz. Bestimmt ist sie mir sehr dankbar. Jetzt holt sie das Holz vom letzten Jahr aus der Garage und zerhackt das auch noch.
Ich schließe selig die Augen: Alles wird gut. Letztes Jahr habe ich das mit dem Holz nicht ganz geschafft und es deshalb in der Garage aufgeschichtet, damit die Nachbarn es nicht sehen. Leider ist diese ziemlich eng und ich bin mit dem Auto an dem Holz entlang geschrappt. Aber die Kratzer werden die Nachbarn nicht entdecken, weil das Auto ab jetzt wieder drinnen stehen kann.
Den Weihnachtsbaum hat meine Frau in diesem Jahr übrigens alleine gekauft. Und aufgestellt. Und geschmückt. Überhaupt: Sie hat so viel von mir gelernt!
Ich lehne mich wieder zurück und mache Pläne für das nächste Frühjahr, dann werde ich die Fassade unseres Hauses streichen! Das Gerüst aufzubauen ist für mich ein Klacks! Die Nachbarn werden Augen machen!
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