Von Marianne Apfelstedt
„Das ist doch nicht ihr Ernst? Ich soll dieser Wurst auf vier Pfoten ein Zuhause geben. Das ist ausgeschlossen. Er verliert haufenweise Haare, er stinkt und ich bin Vegetarier. Wie kommt meine Tante darauf, so etwas Unsinniges in ihrem Testament zu bestimmen?“
„Sie verzichten auf das Erbe? Auf das Haus in der Lärchenstraße und den Investmentfond, den ihre Tante ihnen hinterlässt. In diesem Fall, …“
„Gibt es denn keine Möglichkeit, dass Erbe anzutreten und diesen Hund in einer Tierpension einzuquartieren? Da lässt sich doch etwas finden, wo das Tier gut untergebracht ist,“ unterbrach ich den Rechtsanwalt mit dem grauen Bärtchen, über das er nachdenklich strich. Er runzelte die Stirn und blätterte in den Papieren, die vor ihm auf dem Nussbaum-Schreibtisch lagen.
„Leider nein Herr Merkur. Ihre Tante hat ausdrücklich festgelegt, dass sie bis zu seinem Ableben zusammen mit ihm in dem Haus wohnen müssen. Sie hat die Einzelheiten, wie der Hund versorgt werden soll aufgesetzt. Montags …“
„Ja ich weiß, am Montag bekommt Heinz am Nachmittag einen Kauknochen aus Rinderhaut. Muss ich mich an diesen Wochenplan halten?“
„Wie sie den Hund versorgen, bleibt ihnen überlassen. Da werde ich nicht kleinlich sein, allerdings weise ich sie darauf hin, dass ich regelmäßig vorbeischauen werde, um das Wohl des Tieres zu überprüfen. Es führt kein Weg daran vorbei. Heinz und das Erbe gehören zusammen. Nehmen sie den Hund in ihre Obhut, oder verzichten sie auf den Nachlass?“ Ich sah auf das braune Tier, das zusammengerollt in seinem Körbchen lag und uns keines Blickes würdigte. Wenigstens war der Dackel schon älter. Mit etwas Glück würde er mir nicht allzu lange mein Leben vermiesen.
***
Einige Wochen später hatte ich mich eingerichtet im Häuschen von Tante Eva. Heinz hatte ich zum großen Teil wegorganisiert. Am Vormittag holte ihn eine professionelle Hundesitterin, die ihn am Nachmittag bei einer Nachbarin abgab, deren Tochter sich um das Tier kümmerte. Mir blieb nur der Abend. Wir ignorierten uns und nahmen nur zur Abendfütterung direkten Kontakt auf. Er war pflegeleicht, schlief in seinem Körbchen, bis er hörte, dass ich sein Futter in den Napf füllte, dann kam er angelaufen und setzte sich erwartungsvoll vor mich.
„Mal sehen, ob wir dich von diesem stinkenden Dosenfutter auf Trockenfutter umgewöhnen können.“ Heinz legte den Kopf schief, das linke Ohr hing jetzt nach unten, dafür zog er die helleren Haare über dem rechten Auge nach oben.
„Du hast ja Augenbrauen wie ich. Schau mal Heinz! Tolles Futter, knackig mit Huhn. Ich kniete mich vor ihn und hielt ihm die trockenen Futterkroketten auf der flachen Hand entgegen. Heinz tapste zu mir und beschnüffelte diese. Er nahm einen der Brocken, setzte sich manierlich und kaute auf dem Hundefutter.
„Na, was sagst du?“ Wie selbstverständlich fraß er die restlichen Kroketten aus meiner Hand, sein seidiges Fell kitzelte meine Handfläche, was sich seltsam vertraut anfühlte. Vage erinnerte ich mich an einen braunen wuscheligen Hund, der sich anschmiegte, als ich meine einzigen Ferien bei Eva verbrachte. Damals war ich sechs, im Jahr darauf trennten sich meine Eltern und Papas Tante besuchten wir nie mehr. Ich füllte seinen Napf mit einer halben Dose Stinkefutter und streute noch eine Portion der Futterkroketten darüber.
„Komm mit! Den Rest bekommst du wie immer an deinem Platz.“ Mit einem Glas Merlot und der P.M. setzte ich mich auf das Ledersofa, das mit Evas Häkeldecke und bunten Kissen mein Lieblingsplatz für einen entspannten Abend war. Kurz darauf legte sich Heinz mir zu Füßen.
„Willst du nicht lieber in dein Körbchen? Dir ist nach Gesellschaft?“ Ich tätschelte das Zauselfell, worauf er sich auf die Seite drehte und mit der Pfote meine Hand anstupste.
„Na, wir wollen mal nicht übertreiben. Gut, bleib hier, wenn du magst.“ Kurze Zeit später hörte ich Töne, die ich eher einem Schwein zugetraut hätte. Herzhaft lachend kraulte ich Heinz den Bauch, das Schnarchen verebbte und ging in ein entspanntes Seufzen über.
Der Garten war traumhaft, jetzt im Juni blühten die Rosen und verströmten mit dem Wind ihren schweren Duft. Mit einer Tasse Kaffee begab ich mich in den Garten. So sah ein perfekter Urlaubstag aus. Da klingelte es an der Türe.
„Hast du die Kotbeutel vergessen Tamara?“, fragte ich das Mädchen mit den Flechtzöpfen, das sich jeden Nachmittag um Heinz kümmerte.
„Nein. Ich kann jetzt nicht mehr mit Heinz Gassi gehen, meine Mathe Noten sind mies, ich muss zur Nachhilfe.“
„Aber nicht jeden Tag, dann gehst du halt morgen mit Heinz eine Runde.“
„Nee, Mama hat gesagt, Sie sollen sich mal selber um ihren Hund kümmern.“ Sie drückte mir Hundeleine, Kotbeutel und Leckerchen in die Hand und ging. Mist!
„Hat er denn sein Geschäft schon erledigt?“
„Nein,“ rief sie mir über die Schulter zu und weg war sie. Ich zog an der Leine, in der Erwartung das bisschen Hund ins Haus zu bugsieren. Heinz rührt sich nicht vom Fleck. Das kannte ich ja schon, also klemmte ich mir das zappelnde Tier unter den Arm, enthakte den Karabiner vom Halsband und setzte den Hund in den Garten. Dann musste ich eben nachher das Häufchen entfernen. Jetzt konnte nur die Hundesitterin helfen. Es meldete sich nur ihre Mailbox.
„Sie sind mit Cindy von der Dog Box verbunden. Ich führe gerade die Hunde aus. Hinterlassen Sie eine Nachricht und ich rufe zurück.“
„Hier spricht …“ Ein lauter Signalton beendete meine Ansprache. Auf die Technik war auch kein Verlass. Dann würde ich eben Cindy morgen mitteilen, dass Heinz jetzt den ganzen Tag gesittet werden musste. Kaum saß ich samt Kaffee im Gartensessel, kam er angelaufen. Er stellte sich vor mich und bellte.
„Hör auf! Was soll das? Sonst bellst du nie.“ Er legte den Kopf schief und hörte auf. Kaum lehnte ich mich zurück, begann er wieder. Demonstrativ entnahm ich der Packung auf dem Tisch ein Papiertaschentuch, teilte es in zwei Hälften. Ich formte jedes zu einer Kugel und drückte jeweils eine in jede Ohrmuschel. Sofort war das Bellen wesentlich leiser und ich trank einen Schluck Kaffee und vertiefte mich in die neuen Nachrichten auf dem Handy. Kurz darauf kratzt Heinz mit seiner Pfote an den nackten Beinen. Ich schnellte aus dem Liegestuhl hoch, der Kaffee ergoss sich über mein Poloshirt und das Smartphone, das mir vor Schreck aus den Händen glitt, surfte die Terrasse entlang.
„Spinnst du! Du hast mir die Wade zerkratzt“, grollte ich das Monster an. Heinz, sich meiner Aufmerksamkeit sicher, setzte sich brav und blickte mir direkt in die Augen. „Wo kommt denn die Leine her?“ Er platzierte sie zu meinen Füßen.
„Nein, jetzt nicht!“ Dieses Mal stupste er mich nur sanft mit der Schnauze an, setzte sich und streckte mir eine Pfote entgegen und legte wieder den Kopf schief.
„Oh Mann! Also gut, eine kurze Runde in den Park. Wenn du mich so anschaust und mit der Augenbraue wackelst, kann ich nicht wütend sein.“ Die Spaziergänge wurden zur täglichen Routine, die nach der Büroarbeit schnell von der Pflicht zum Vergnügen avancierten.
Eines Tages im Herbst nahm ich Heinz im Park die Leine ab, damit er entspannt die vielen Duftspuren verfolgen konnte. Ich schlenderte ihm hinterher an den Hartriegel- Sträuchern entlang über die Wiese. Das Handy forderte meine Aufmerksamkeit. Ich nahm das Gespräch an.
„Hallo Fred! Ich bin grad auf meiner Runde mit Heinz! Ja, hört sich gut an. Klar bis heute Abend.“ Als ich mein Handy verstaut hatte, konnte ich den Hund nirgends entdecken. Es sah ihm gar nicht ähnlich, so weit vorauszulaufen. Ich hastete den Weg entlang, mit der Leine in der Hand die leer an meiner Seite baumelte. Vor mit teilte sich der Weg. Rechts ging es zur Hauptstraße, unser Heimweg. Meine Schritte beschleunigten sich, schon fast am Ausgang des Parks hörte ich sein unverkennbares Bellen. Ich drehte mich um. Wo kam das jetzt her? Ich rannte den Weg zurück, nahm den unbekannten Weg, der zu einer Wiese führte. Mitten auf dem Grün sah ich eine Frau mit kurzen schwarzen Haaren und einem wuscheligen weißen Hund.
„Hey, das ist Heinz. Der tut nichts. Er ist friedlich,“ sprach ich die Fremde an, die sich zu mir drehte.
„Kann schon sein, aber Trixi ist läufig. Nehmen Sie ihn lieber an die Leine.“
Als ich wieder zu den Hunden sah, färbten sich mir die Ohren rot und ein Hitzestrom überzog mein Gesicht. Heinz hatte den Moment genutzt, in dem Trixis Frauchen abgelenkt war und Trixi in eindeutiger Absicht bestiegen.
„Oh nein! Das ist ja eine schöne Bescherung. Jetzt können wir nur abwarten, bis er sie loslässt.“
„Soll ich ihn von Trixi runternehmen?“
„Bloß nicht? Sie könnten sie verletzen.“ Wir vermieden uns anzusehen und inspizierten beide die Büsche hinter den Hunden. Kurz darauf legte sich Heinz mit heraushängender Zunge neben seine Angebetete ins Gras und ich hatte den Eindruck, dass er mich angrinste.
„Was machen wir denn jetzt?“, frage ich die Unbekannte und sah ihr in die Augen, die mich anlächelten.
„Abwarten! In zwei Monaten werden wir sehen, ob wir Eltern werden. Trixi ist noch nicht in der Standhitze, vermutlich hat der Zusammenstoß mit Heinz keine Folgen. Ich bin Vera.“ Sie reichte mir ihre sonnengebräunte Hand.
„Ich bin Andreas. Darf ich Sie auf einen Kaffee einladen?“
15 Monate später.
„Hallo Vera! Was hat unsere Rasselbande heute wieder angestellt?“ Ich lege Vera die Hände von hinten über den gerundeten Bauch und küsse sie in den Nacken.
„Sie waren lange im Garten. Ein Huhn ist ausgebüxt und hat einige Federn gelassen, als der Kleine hinterherjagte, dafür haben sie heute keine Schuhe erbeutet. Manchmal glaube ich wir hätten den Welpen lieber nicht behalten sollen.“
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