von Gabriele Lengemann

                                                                        

Ein paar Jahre hat die Ehe dann doch gehalten, wenngleich es keine guten Jahre waren. Lena erzählte es mir, als ich sie neulich nach meinem Konzert in Kassel traf. Sie sagte, dass nie ein Hochzeitstag vergangen sei, ohne dass Carl und Sie sich stritten und einer dem anderen vorhielt, sich auf dem Hochzeitsfest völlig daneben benommen zu haben.

Ich sagte Lena, dass alles meine Schuld gewesen sei, und so war es ja auch.

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Carl hatte mich und die anderen Jungs gebeten, auf seiner Hochzeitsfeier für Musik zu sorgen. Ursprünglich gehörte er auch zu unserer Band, aber dann hatte er Lenas Herz gewonnen. Die sah es nicht gern, wenn er dreimal die Woche bei mir im Keller zum Üben war und bis in die frühen Morgenstunden mit uns abhing. Ohne Carl waren wir zu fünft und wollten ordentlich abräumen im Musikgeschäft. Unsere Musik war nicht gemacht für zartbesaitete Seelen. Louis und Till ließen mit ihren E-Gitarren den Raum erbeben, Joe bearbeitete das Keyboard rau und aggressiv und Abi hämmerte auf seinem Schlagzeug, als gäbe es kein Morgen.

Dazu schrie ich, mehr als ich sang, unsere selbstverfassten Texte. Es sollte wummern in den Köpfen der Zuhörer, wir wollten sie wachrütteln mit unseren Stücken. Plätschernde Melodien und sanfte Töne waren nicht unser Ding. Leider ging es mit der Karriere eher zögerlich bergauf. Das Musikvideo, das wir auf You Tube eingestellt hatten, kam nach einem Monat gerade mal auf vierundzwanzig Likes.

Aus der Not heraus und um die Kosten zu decken, spielten wir auf runden Geburtstagen, Betriebsausflügen, Oktoberfesten, Hochzeiten und mussten viel trinken, um ihn auszuhalten, den ganzen musikalischen Schrott von Schlager bis Volksmusik. Getränke waren immer frei und sattessen durften wir uns auch. Erbärmlich war das alles.

Auf Lenas und Carls Hochzeit mogelten wir, nachdem die Leute sich müde getanzt hatten, ein paar von unseren Stücken unter. Wir waren so froh, endlich gute Mucke zu präsentieren, dass wir das Murren der Gäste nicht registrierten, die sich wegen der lauten Musik nicht mehr unterhalten konnten. Schließlich reichte es dem mittlerweile schon stark angetrunkenen Brautvater, der direkt vor der Bühne saß:
„Schluss jetzt!“, brüllte er. „Spielt, verdammt noch mal, was von Roland Kaiser. Oder von Helene Fischer.“
Als wir nicht sofort reagierten, schlug er mit der Faust so fest auf den Tisch, dass eine Cola umfiel und eine schmutzig braune Landschaft auf die weiße Tischdecke malte.

Mit einem Sprung war Lenas Vater dann bei uns auf der Bühne. Lena schrie ihn an, er solle doch um Himmels willen nicht ihre Hochzeit verderben und konnte ihn gerade noch davon abhalten, die Kabel des Verstärkers herauszureißen.

„Schon gut“, sagte ich, „also Roland Kaiser“.
Wir spielten zwei, drei Hits von ihm und die Tanzfläche füllte sich wieder. Vor der Bühne stand Lena, wiegte sich zu den Songs in den Hüften und lachte mich an. Wir hatten mal was miteinander in der Oberstufe. Keine Ahnung, ob Carl davon wusste, aber in Lenas Augen sah ich, dass sie es nicht vergessen hatte.

Auf dem “Zissel“ hatte es damals angefangen mit uns beiden. “Zissel“, so heißt das Heimatfest in Kassel, das am ersten Augustwochenende an und auf der Fulda gefeiert und von den wassersporttreibenden Vereinen organisiert wird. In der Achterbahn hatte sich Lena an mich geklammert und in der Gondel des Riesenrades küssten wir uns das erste Mal.  Abends hatten wir am Fuldaufer gesessen, Wein getrunken und weiter geknutscht. Von einem der Bootshäuser wehte Musik zu uns herüber.
Aber dich gibt`s nur einmal für mich“, spielten sie.
„Stimmt“, hatte ich weinselig in mein Glas gemurmelt. Wir hatten gelacht, uns lustig gemacht über die alte Schnulze und sie doch in Endlosschleife gesungen, als wir im Morgengrauen engumschlungen nach Hause liefen.

All das kam mir wieder in den Sinn, als ich Lena vor der Bühne stehen sah. Wie schön sie doch war. Warum nur trug sie dieses bescheuerte Hochzeitskleid, das mir schmerzhaft klarmachte, dass sie für mich verloren war.

Hätte ich es doch nur gelassen! Hätte ich mich doch mit einem Bier zu Carl an den Tisch gesetzt und mit ihm angestoßen. Aber nein, in meiner nostalgischen Gefühlsduselei stimmte ich das Lied an, das ich mit Lena und unserem verliebten Sommerabend am Fluss verband. Die Band hasste den Song, wir spielten ihn manchmal zu vorgerückter Stunde auf goldenen Hochzeiten und Geburtstagsfeiern von Menschen, die die Siebzig hinter sich gelassen hatten. Ich aber legte mein ganzes Herz hinein:

Es gibt Millionen von Sternen,

uns´re Stadt, sie hat tausend Laternen,

Freud und Leid gibt es zu jeder Zeit,

aber Dich gibt`s nur einmal für mich.

Carl war weit und breit nicht zu sehen, und Lena sicherlich etwas angetrunken. Jedenfalls sah sie mich verliebt an und ich genoss es. Vielleicht wollte sie auch Carl eins auswischen, weil der schon viel zu lange nicht an ihrer Seite war. Sie zupfte sogar eine Rose aus einer Vase und hielt sie mir entgegen. Ich beugte mich zu ihr herunter, nahm die Blume und gab ihr einen Kuss auf die Stirn.

Als ich mich umdrehte, um zum Mikro zurückzugehen, war Carl auf einmal neben mir. Er sagte nichts, schlug mir einfach mit der Faust ins Gesicht. Ich fiel um wie ein nasser Sack und blieb liegen. Die Jungs zogen den tobenden Bräutigam zurück. Lena war mit einem Satz auf der Bühne, setzte sich neben mich auf den Boden und tupfte mit Servietten das unaufhörlich aus meiner Nase strömende Blut ab.

Was soll ich sagen, das Fest war gelaufen, das Nasenbein gebrochen, da war sich Abi, unser Medizinstudent, hundertprozentig sicher. Die Jungs packten die Sachen zusammen. Abi und Louis bestellten ein Taxi, um mit mir ins Krankenhaus zu fahren. An der Tür sah ich mich noch einmal um. Die meisten Gäste hatten die Feier verlassen. Lenas Vater saß immer noch an seinem Platz, er hatte den Kopf zwischen seine Arme auf die Tischplatte gebettet und schlief. Lena stand weinend im Kreis ihrer Freundinnen, das weiße Tüllgewitterkleid an der Taille rot gesprenkelt von meinem Blut. Ja, und Carl stand an der Theke und kippte einen nach dem anderen mit seinen neuen Kumpels aus dem Fußballverein. Angewidert drehte ich mich ab. In diesem Moment hasste ich alles und jeden, am meisten aber mich selbst.                                                                            

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Acht Jahre ist es jetzt her. Seit jenem Abend, an dem ich zudem noch an einen schlecht gelaunten Chirurgen geriet und seither mit einer schiefen Nase durchs Leben gehe, ist erstaunlicherweise allerhand gut gelaufen. Mit der Musik ging es stetig bergauf. Auch heute war das Konzert ausverkauft und ich sah viele bekannte Gesichter. Wo war jetzt Lena hin? Die Jungs waren startklar für eine kleine Nachfeier, sie warteten bereits am Ausgang der Halle und riefen nach mir.

Als ich sah, dass Lena zwischen ihnen stand, wurde mir ganz warm ums Herz.

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