Von Maria Lehner
Zweitausenddreiundzwanzig sitzen irgendwo in Niederösterreich an einem Sonntagvormittag Männer beim Frühschoppen. Sie schweigen, manchmal kommt auch ein kurzes Gespräch auf. Es gibt nicht viel zu sagen, es ist eher das Ritual, das sie verbindet. Im Radio läuft ein Lied. Dieses Lied… man hat es lange nicht gehört. Zu Recht, meinen manche. Und nun hört man „Oh, bitte nein!“ oder „Ach, du meine Güte!“ beziehungsweise „Jessasmarandjosef!“ Manche verziehen das Gesicht, andere lachen. Bei den Männern ist sofort die Erinnerung wieder da: Ah, stimmt, das war ja damals, als mit einem Mal Schwulst und Schmalz des Schlagers fortgefegt worden sind. Sie schütteln den Kopf. Worüber? Ein bisschen auch über sich selbst. Sie beginnen, mit den Schultern zu ruckeln und mit den Beinen zu stampfen, die „Altherren“ der Handballtruppe. Die Männer spielen jetzt nicht mehr aktiv, fallweise sehen sie sich Spiele im Fernsehen an oder gehen zu einem Match, um den Jungen „kluge“ Bemerkungen zuzurufen und sie so anzufeuern. Es ist alles lange her.
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Neunzehnhundertzweiachtzig in einem Keller in Großenkneten im Landkreis Oldenburg in Niedersachsen: Stephan, ein Bandmitglied, nimmt dieses kleine Ding in die Hand und spielt darauf herum. Man hatte es ihm bei einem Fototermin geschenkt, das Mini-Keyboard mit Taschenrechnerfunktion, den „Casio VL-1 Synthesizer“. Stephan stellt das Preset „Rock-1“ in der Tempo-Einstellung „0“ ein und lässt es laufen. Eine simple Sequenz wird erzeugt, von der es später heißen wird,, dass in eben jenem Moment ein musikalisches Fundament für etwas ganz Neues entstanden ist. Kralle spielt Gitarre. Peter ist auch da. Die beiden horchen auf…
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Neunzehnhundertdreiundachtzig und neunhundertfünfzig Kilometer entfernt von Großenkneten, sitzen junge Handballer an einem Samstag im November In einem VW-Bus. Sie sind in Bad Pirawarth ins Auto gestiegen. Es geht nach Linz. Weniger als zweihundert Kilometer. Das dauert damals dreieinhalb Stunden. Normalerweise schlafen sie. Der Fahrer und Platzwart des Teams, Johnny, kennt seine Truppe. Jeden Einzelnen. Der eine ist ein Heißsporn. Der andere ist zögerlich. Der dritte raucht heimlich. Der vierte ist melancholisch. Der fünfte… und so weiter. Der zweite hat eine Musikkassette dabei: „Darf ich die einlegen?“ Natürlich. Das tun sie immer. Aber normalerweise auf der Heimfahrt. Die anderen knurren, weil sie noch nachschlafen wollen.
Da Da Da, so fängt es an. Da da da. Einer hat mitgezählt und sagt: Insgesamt sechsundfünfzig Mal jeweils die drei Silben. Im Text wird unspektakulär darüber berichtet, wer wen liebt oder nicht liebt. Aha aha aha: Auch diese drei Silben werden je neun Mal wiederholt.
Höchste Aufmerksamkeit aller. Auch Johnny der Chauffeur stutzt. Was für ein unglaublicher Blödsinn. Sie passieren die Ortsgrenze. Gefragt wird im leicht dümmlichen Text, was mit dem Schatz los ist und bekanntgegeben, dass es immer nur bergab ginge. Dabei geht es doch grade bergauf. Einer beginnt schon mit dem Knie zu wippen.
Da da da. Da da da.
Jetzt wippen sie alle. Einer reckt rhythmisch das Kinn. Dann tun es ihm alle nach. Johnny lächelt: Ach, die Buben, so viel überschüssige Kraft! Sein Verständnis schwindet, als er ein paar Kilometer weiter daran zweifelt, dass eine Musiknummer so lang sein kann. Gefühlt die Zwölfeinhalb-Minuten-Version der Aufnahme. Altlengbach. Johnnys Lächeln ist längst eingefroren. Dafür albern sie alle.
Da da da. Da da da.
Er versucht es mit Na na na!
Da da da, begleitet von glucksendem Gelächter. Und erst recht im Tankstellencafé. „Was darfs sein?“ Da da da. Die Kellnerin tippt sich an die Stirn, das Da da da nimmt kein Ende. Erwachsene brauchen jede Menge Alkohol oder anderes, um so auf Touren zu kommen. Den Pirawarthern genügt Da da da. Aha aha aha. Austoben lassen. Die werden schon noch müde werden.
Vor der Weiterfahrt nimmt Johnny die Tonbandkassette an sich. Aber es ist zu spät: Sie kennen den Text schon auswendig. Dazu gehört nicht viel. Auch die Melodie ist eher stupid. Sankt Pölten: Sie singen vor sich hin und es fällt ihnen bei der Weiterfahrt gar nicht auf, dass mittlerweile die Kassette verschwunden ist. Sie singen lauter, als Johnny das Radio aufdreht: „Slavko Avsenik und seine Original Oberkrainer“ erscheint ihm als gerechte Strafe. Aber das Brüllen aus den stimmwechselgeplagten Kehlen übertönt alles.
Da da da. Da da da.
Melk an der Donau, Baustelle. Dreißig Kilometer hinter einem Panoramafahrer herfahren. Noch so weit. Blindenmarkt. Sankt Valentin.
Da da da. Da da da. Da da da.
Linz, endlich. Rund um die Halle, in der das Turnier ausgetragen wird, sind alle Parkplätze besetzt. Johnny bleibt stehen, weil er nach einer Parkmöglichkeit fragen will und kurbelt das Fenster herunter. Ein Ordner sieht die Buben, hört das Da da da und fragt eilfertig „Behindertentransport?“ Johnny schweigt müde. Die Buben tun alles, um die Annahme zu rechtfertigen: Aha aha aha. Der Mann dirigiert sie auf einen entsprechenden Parkplatz in der unmittelbaren Nähe der Halle. Sie steigen aus und bewegen sich im Rhythmus des Liedes, das nun auch ohne Singen schon im Hirn weiterläuft: Da da da. Unermüdlich. Ihre Art zu gehen ist roboterhaft.
Da da da. Da da da.
„Na, es wird Zeit. Wo sind die Pirawarther?“ fragt einer vom Organisationsteam. Leider, denn:
Da da da. Da da da.
Es wird ein blamables Spiel. Einer ruft dem Kreisläufer panisch zu: „Der Ball!“ Der meint: Da da da und zeigt eifrig dorthin, wo gerade die schönste Chance vertan worden ist. Das Turnier endet mit der größten Schmach, die die Pirawarther sich denken konnten. Aha aha aha.
Johnny sieht seine Chance gekommen. Als alle um ihn herumstehen bei der Siegerehrung (natürlich weit weg vom Treppchen) zeigt er nach oben zum Pokal und sagt mit Blick auf die Pirawarther Handballer bedeutungsschwer und etwas boshaft: Da da da!
Die Burschen fallen ein, zeigen wechselweise auf den Johnny, auf sich selbst, die Kollegen, die Zuschauer und die Gegner: Da da da. Da da da. Da da da. Da da da.
Ein großes Lachen breitet sich aus. Da da da. Da da da. Und noch so weit bis nach Hause.
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Viele Kilometer entfernt sitzen Stephan Remmler, Peter Behrens und Kralle Krawinkel, genannt „Das Trio“. Sie wissen nicht, dass sie die Ergebnisse eines Handballturniers beeinflusst haben. Da da da oder eher: dort, dort, dort. Deshalb werden sie auch keine Tantiemen fürs Absingen einfordern – letztlich doch noch ein Glück für die Pirawarther Handballer.
Aber das hätte “Das Trio“ (das zuletzt nur mehr aus Stephan Remmler bestand) ohnehin nicht nötig gehabt, denn etliche Jahre später, 1997, wird die Musik in einem amerikanischen Werbespot für Volkswagen verwendet werden. Aha aha aha.
Version 3