Von Daniela Seitz

Der Wald wurde gekauft und muss nun seiner Bodenschätze wegen weichen. Der Eigentümer will es so. Mein Freund und ich verbringen noch eine letzte Nacht im Wald. Auf die Zustimmung des Eigentümers pfeifen wir. Wir wollen uns verabschieden.

Wir haben Äxte dabei, um uns Feuerholz für die Nacht zu hacken. Außerdem Schlafsäcke, Wein, Brot und Käse. Das nicht zwangsweise bereits gefällte Bäume herumliegen, aus denen wir einfach Feuerholz hacken können, hatten wir nicht bedacht.

„Und was machen wir jetzt?“, frage ich missmutig über unsere Arroganz.

„Na, einen umgestürzten Baum suchen, der noch nicht weggeräumt wurde“, lacht mein Freund.

Er hat ein Talent dafür sich nicht bremsen zu lassen und mit seinen Ideen abzuheben um sich lebendig zu fühlen. Er macht aus Fehlern Erfahrungen und ohne Pause macht er weiter bis er sein Ziel erreicht. 

Das stimmt mich nachdenklich. 

Habe ich doch heute den Eigentümern des Waldes vorgeworfen, dass sie in ihrer Gier immer weitermachen ohne sich um die Konsequenzen für unser Ökosystem zu kümmern. Diese Rastlosigkeit des ständigen Weitermachens hat Ähnlichkeit mit unserem Vorgehen.

Allerdings wissen diese gierigen Menschen nichts von meinem Vorwurf. Ich bleibe lieber ungesehen und rege mich nur über Dinge auf. Mich für den Wald an einen Bagger zu ketten ist nicht mein Ding. 

„Schau hier ist einer. Lass ihn uns abwechselnd klein machen“, reißt mein Freund mich aus meinen negativen Gedanken.

Klein machen heißt noch nicht Brennholz zu haben. Wir sind so erledigt von dieser Mammutaufgabe, dass wir lediglich große, aber für uns tragbare Teile vorweisen können. Nach drei Stunden Arbeit. 

Als wir alles zu einer Grillhütte geschafft haben, bin ich einfach nur durch und lasse mich auf den Boden fallen.

„Wir sind noch nicht fertig. Lass uns Karten spielen. Der Verlierer hakt weiter Holz“, schlägt mein Freund vor.

„Na, so haben wir wenigstens eine Pause“, willige ich ein.

Und gewinne! Mein Freund muss den Rest der Arbeit erledigen. Er nimmt es gelassen.

Trotz meiner negativen inneren Stimme wird es ein richtig toller Abend und ich kann richtig gut schlafen. Meine innere Stimme personifiziert sich zu der Sängerin in die ich gerade ein bisschen verliebt bin. Ihr Gesang lässt mich träumen:

Und ich horche dem gleichmäßigen Galopp der Pferde, auf denen wir reiten. 

Wir reiten schnell!

So rastlos wie die vier Reiter der Apokalypse reiten würden.

Es ist kalt, aber das tut unserer Unbegrenztheit keinen Abbruch. 

Wild, frei, brennend und unbeschwert!

Ohne Sicht zwar, aber ich halte mich an der Mähne fest.

Was soll schon passieren, wenn wir so über die Felder galoppieren.

Es fühlt sich nicht wie ein Fehler an.

Auch wenn der Wind meine Augen tränen lässt.

Der Sonnenaufgang ist so wunderschön!

So bösartig sind wir, immer auf uns und unser Wohl bedacht!

Egal wie die Felder weinen und schreien.

Ich wache auf. Und glaube zu halluzinieren. Ist das ein Waldgeist? Ich wecke meinen Freund auf. Auch er sieht sie. Sie sagt keinen Ton und doch hören wir sie.

„Wollt ihr nicht etwas tun? Wenn ihr nicht einverstanden seid, warum handelt ihr nicht?“

Ernsthaft? Jetzt hat sich meine innere Stimme in der Realität materialisiert? Was geht hier ab?

„Ich höre sie auch!“

Mein Freund blickt mich hellwach an und ich glaube ihm. Die Gestalt geht weg und wir stürzen ihr hinterher. Doch unsere Körper bleiben am Boden liegen. Sind wir in der Nacht erfroren?

„Ihr seid beide eingeschlafen und das Feuer ging aus. Ja, ihr seid erfroren“, hallt es in unseren Köpfen wider.

„Also sind wir tot?“, frage ich.

„Nein, ihr habt noch etwas zu erledigen. Also wurdet ihr zu Geistern“

„Ja, wir sind tot“, stellt mein Freund fest.

Nicht mehr lachend, aber irgendwie noch amüsiert sucht er weiterhin nach der Gestalt, die wir aus den Augen verloren haben. Es scheint ihn nicht zu kümmern, dass wir tot sind.

„Komm schon, der Drops ist gelutscht. Mach weiter“, sagt er zu mir.

Ich bin fassungslos. Das geht mir zu schnell. Ich suche Halt. Der Drops ist gelutscht. Das sagte er immer, wenn er sich keine Zeit für irgendwas nahm. Weitermachen. Die Kröte schlucken. Nicht stehen bleiben. Dafür braucht man doch ein Ziel. Welches Ziel sollen wir denn jetzt noch haben ohne unser Leben?

„Du sagst, wir haben noch etwas zu erledigen“, fragt mein Freund.

Er redet mit einem Baumstamm. Doch auf seine Frage hin, erscheint die Gestalt genau dort wieder.

„Ihr wollt den Wald retten. Ich hätte da was für euch.“

„Zeig uns den Weg“, beschließt mein Freund für uns beide.

Ich folge. Vielleicht träume ich ja immer noch. Erfroren im Wald trotz Feuer. Wie wahrscheinlich ist das schon. Dann kann ich auch nachsehen, was der Wald da für uns haben will.

Wir finden einen Würfel. Er ist hohl und leer.

„Und wie soll uns das jetzt helfen?“, frage ich.

„Der Würfel füllt sich durch euch. Er nimmt auf, was ihr ihm gebt und wandelt es um“, hören wir noch in unseren Köpfen.

Aber die Gestalt ist bereits weg. Verschwunden, als wäre sie nie da gewesen. Mit ihr ist auch das Vogelgezwitscher verschwunden. Wir hören die Bagger herannahen. Sehen Rehe mit ihren Kitzen vor der herannahenden Baustelle fliehen. Wildschweine bringen ihre Frischlinge tiefer in den Wald.

Mein Freund probiert mit dem Würfel herum. Versucht ihn zur Waffe zu machen. Doch der Würfel bleibt was er ist. Ein Würfel.

Er drückt ihn mir in die Hand.

„Vielleicht ist der Drops doch nicht gelutscht“, sagt er.

„Und was soll das jetzt heißen“, frage ich.

„Na lutsch doch mal dran“

Entgeistert starre ich ihn an. Ich setzte zu einer empörten Rede an, da beginnt der Würfel zwischen meinen Händen zu schweben.

„Sieh mal an, ist doch voll dein Ding“, lacht er und gibt mir einen Klaps auf meinen Po.

„Was soll das“, rufe ich jetzt wütend.

Freund oder nicht. Dieser Körperkontakt ist zwischen uns nicht üblich und unwillkommen. Doch der Würfel beginnt sich heftig zu drehen. Immer schneller und schneller. Als nährte er sich von meiner Wut.

„Ich provoziere dich. Ist doch klar. Und es funktioniert. Provozier mich“, fordert er.

Wie zum Teufel, soll ich den absolut entspanntesten Typen der Welt provozieren?

„Na los, dir wird doch wohl was einfallen“, macht er weiter Druck.

Ich kann mit Druck nicht gut umgehen. Da ist meine Zündschnur ganz kurz. Und ich explodiere. In dem Moment verschwindet der Würfel und die Erde bebt. Plötzlich und völlig aus dem Nichts. Ohne Vorwarnung tut sich die Erde auf und verschluckt die Baustelle, alle Maschinen und die Menschen, die dort gearbeitet haben. Und das, obwohl es hier nie Erdbeben gibt.

Der Wald hat vorerst nichts mehr zu befürchten. Die Gefahr ist gebannt.

Der Würfel fällt zu Boden. 

Ein Sog zieht uns weg. Mich in einen Pavillon und meinen Freund vor ein Tor. Eine Berglandschaft umgibt uns, das Tor, den Pavillon und einen Brunnen. Und eine Frau, die neben meinem Freund steht.

Ich versuche zu meinem Freund zu gelangen, doch ich kann den Pavillon nicht verlassen.

„Was soll das. Wo sind wir?“, rufe ich.

„Ihr seid am Brunnen vor dem Tor. Dort wo ich als Feuerwächter die Seelen der Toten in Empfang genommen habe und entweder durch das Tor in ein wiedergeborenes Leben geleitet habe oder durch den Brunnen als Geister zurück auf die Erde geschickt habe“, beginnt die Frau zu erklären.

„Ach wirklich? Mich hast du jedenfalls nicht in Empfang genommen. Davon weiß ich nichts“ unterbreche ich vorwurfsvoll.

„Du bist ein Sonderfall. Du erinnerst dich nur an ein Mal. Aber du hast den Wald viele Male gerettet. Indem du die Erde hast erbeben lassen. Dafür bist du oft durch den Brunnen gegangen. Nun glauben die Menschen, der Wald sei verflucht und haben von ihm abgelassen. So etwas kann kein normaler Geist tun. Das kann nur der nächste Wächter der Seelen. Der Erdwächter.“

„Bitte was? Was ist ein Erdwächter?“

„Das hat sie dir schon so viele Male erklärt, dass ich es jetzt mittlerweile auswendig kann“, sagt mein Freund zu mir.

„Und warum weißt du noch alles, während ich es vergessen haben soll?“, schnauze ich ihn an.

„Die Kraft der Wächter ist so groß, dass der Pavillon zum Schutz der Seelen den Wächter nicht mehr herauslässt. Das ist der Normalfall. Du hast aber den Pavillon verlassen. Hast die Kraft des Pavillons immer wieder überwunden. Das und der Brunnen scheinen zusammen eine Wechselwirkung auszuüben und dich vergessen lassen.“

„Dann erkläre es halt so, dass ich es jetzt verstehe“, fordere ich.

Mein Freund überlegt nicht lange.

„Was glaubst du warum ich dich so schnell provoziert habe? Weil ich wusste, wie der Würfel funktioniert. Und weil ich mehrmals erlebt habe, welche Kräfte du mit dem Würfel wecken kannst! Der Wald war deine Aufgabe. Meine Aufgabe bestand nur darin, dir zu helfen, dass hier besser zu verstehen.“

Es war wirklich merkwürdig, wie locker er seinen Tod sofort verkraftet haben sollte.

„Und wie lange soll ich jetzt hier im Pavillon sitzen und Tote empfangen?“, frage ich. 

„Die Asche des Feuers wird zur Erde, in der Erde entsteht Metall, Metall kann durch Schmelze flüssig gemacht werden, Wasser lässt Holz wachsen und Holz nährt das Feuer. Es gibt einen Hüter für jeden Zyklus. Sobald ein Geist die Kraft des Metalls nutzten kann, um in das Leben einzugreifen, geht deine Zeit der Erde zu Ende. So wie meine Zeit des Feuers nun endet, weil du einen Wald gerettet hast. Im Übrigen kannst du die Landschaft hier mit deinem Element Erde so gestalten wie du möchtest. Vielleicht ist dir ja ein Strand angenehmer als die Berglandschaft?“

Das ist es allerdings. Kaum denke ich an einen Strand befinden sich der Pavillon, der Brunnen und das Tor bereits in einer Strandlandschaft. Das entspannt mich.

„Und was befindet sich hinter dem Tor?“, frage ich.

„Unsere Wiedergeburt. Ich warte auf dich“, antwortet mein Freund.

Beide gehen durch das Tor.

Ich bleibe nicht lange alleine. Die Seelen, der auf der Baustelle Gestorbenen stehen vor mir.

„Ist das hier der Himmel?“

Leise Schuldgefühle werden in mir wach. Ohne mich würden sie noch leben.

„Ja“, antworte ich.

 

V1    Z 9893

 

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