Von Martin Fiß

Jetzt stehe ich hier schon eine gefühlte Ewigkeit blöde rum, keine Menschenseele weit und breit zu sehen. Wie bestellt und nicht abgeholt, nur weil der Typ hinter der Tür umgefallen ist – wenn ich die Geräusche richtig gedeutet habe. Hoffentlich rappelt der sich bald wieder auf, damit ich endlich reinkomme.
Ob es dann einen Sektempfang gibt? Oder vielleicht ein Herrengedeck? Ne, bestimmt nicht. Vermutlich nur Wasser und Brot. Oder Wein. Da haben die ja Erfahrung mit. Es ist wie es ist.

«Hallo? Sind Sie noch da? Alles in Ordnung? Nun machen Sie doch mal endlich die Tür auf!
Ach, warum beklage ich mich eigentlich? Mein ganzes Leben war doch geprägt von Pannen und Pech. Selbst als ich zermatscht im Sarg lag und selbiger auf den Boden knallte. Nur – war es meine Schuld? Ich konnte mich schließlich nicht selbst getragen haben. Na ja, was soll’s. Und der Pfaffe musste dann auch noch seinen unqualifizierten Senf dazu abgeben. Aber so war es halt immer.
Ich erinnere mich noch genau an die Geschichte mit dem Rauch. Das war auch so ein Ding.
Mensch, war das damals ein Theater! Konnte doch nicht ahnen, dass es nur Baustaub war. Da will man nur helfen und wird anschließend blöd angemacht. Aber das sage ich Ihnen: Wenn es dann mal wirklich brennt und sie kriegen den Löscher einfach nicht von der Wand, dann möchte ich Sie mal sehen. Leben retten geht doch wohl vor! Da kann es halt ab und zu schon mal zu Kollateralschäden kommen. So eine dämliche Befestigung.  Ja gut, vielleicht habe ich ein wenig überreagiert, als ich anschließend schreiend mit dem Mistding durch die Gänge gelaufen bin.
Na ja, was soll’s. Ist jetzt eh egal.
War natürlich Wasser auf die Mühlen meiner Alten. Die hat mir ja ständig vorgeworfen, alles verkehrt zu machen. Noch schlimmer: Kaputt zu machen. Das war ihre größte Sorge – weil man den Schaden dann ersetzen musste. Trotz meiner Stellung galt das eben auch für mich. Wo es möglich war, habe ich deswegen Handwerker beauftragt oder habe die Arbeit schlichtweg liegen lassen.
Man muss schon Lust darauf haben. Wenn man die nicht hat: Einfach befreit den Tag genießen.
Mir konnte ja keiner was. War ja sozusagen der Chef vom Ganzen. Ohne mich lief nichts.
Wenn ich mal Lust hatte, selbst Hand anzulegen, tat ich das auch. Ich meine, wenn man schon quasi am Arbeitsplatz wohnt…
In dem kleinen Geräteraum in der 1. Etage hatte ich alles, was man so für kleinere Reparaturen benötigt. Auch Ersatzteile, wie Glühbirnen und so. Sogar Leitern. In mehreren Größen. Mit 1,63 m kommt man halt nicht überall problemlos dran.
Zum Beispiel beim Glühbirnenwechsel. Wenn ich dann so auf der höchsten Sprosse stand und auf meine Marie runterschaute, die in ihrem leicht transparenten Frauenkittel mit beiden Händen die Leiter fixierte…
Holla die Waldfee, von da oben sah sie immer noch verdammt gut aus für ihr Alter.
Aber sie hatte auch ordentlich Haare auf den Zähnen. Ich meine, die hat sie noch immer.
Sie lebt ja noch. Ganz im Gegensatz zu mir.
Gestern, bei unserem letzten, gemeinsamen Frühstück, redete sie so sehr auf mich ein, dass ich abgelenkt war und aus Versehen die Kaffeekanne umhaute. So eine aus Edelstahl. Fiel natürlich auf Teller und Tasse – alles zerdeppert. Der gesamte Inhalt der Kanne lief über ihren Rock und ihre Beine. Was war ich froh, dass der Kaffee nicht mehr heiß war! Wäre sonst noch übler für mich gewesen. Rumgemeckert hat sie trotzdem ordentlich. Wie eine Ziege. Und alles nur wegen so einer blöden Kaffeekanne und ein bisschen Porzellan. Bin dann erstmal in die kleine Kneipe, gegenüber am Pollmann-Eck. Frust wegsaufen. Auf dem Rückweg zum Haus kam mir dann der Nachtexpress in die Quere und es war Schicht im Schacht für mich. Leider.
Den Rest kennen Sie ja.»Der reagiert überhaupt nicht. Dem geht mein Gequatsche bestimmt auf den Senkel. Mit Sicherheit hat er eine andere Definition von Totenruhe, als ich. Wann macht der Kerl endlich diese Tür auf? Kann doch alles nicht wahr sein. Wie lange soll ich denn noch warten?
Oh, es tut sich was. Na also, geht doch. Die Tür öffnet sich endlich! Mach‘ Platz, Schlappenträger!
Herr im Himmel, ist das auf einmal hell um mich herum. Ist das da hinten etwa…
«Mein Gott!»
«Walter!»