Von Angelika Brox

Dominiks vierzigster Geburtstag stand bevor und er wusste nicht so recht, ob das nun ein Grund zur Freude oder eher zum Fürchten sei. Mein armer Mann! Ich beschloss, ihm den Start in das neue Lebensjahrzehnt mit einer tollen Feier zu verschönern. Also lud ich all unsere Freunde ein und bestellte beim Partyservice ein Spanferkel am Spieß und ein großes Fass Bier. Ich wollte es richtig krachen lassen.
Am letzten Freitag war es soweit. Nachmittags, während Dominik im Büro zu tun hatte, brachte ich unsere Töchter zu meiner Schwester Mona. Die beiden durften bei ihr übernachten. Lili ist sechs und Marleen vier. Mona liebt Kinder über alles und die Kinder lieben Mona. Die drei würden eine schöne Zeit zusammen haben.
Wieder zu Hause, bereitete ich die Salate zu. Dann dekorierte ich den Garten mit Girlanden, Ballons und Lichterketten. Am frühen Abend begrüßten die Gratulanten das Geburtstagskind auf der geschmückten Veranda mit Sektgläsern in der Hand und einem Ständchen auf den Lippen. Die Überraschung gelang perfekt. Mein Mann strahlte und ich war glücklich. Das Fest wurde ein voller Erfolg.

Nachdem die letzten Gäste gegangen waren, ließen wir alles stehen und liegen und fielen todmüde ins Bett. Leider schnarcht Nick immer, wenn er zu viel Bier getrunken hat. Diesmal war es extrem, er klang wie eine Holzfräse im Dauereinsatz. Deshalb wanderte ich in Lilis Zimmer aus, rollte mich auf ihrer Matratze zusammen und zog mir die Decke über den Kopf. Dann sank ich in einen tiefen, traumlosen Schlaf.

Als ich aufwachte, hatte ich einen dicken Schädel. Vorsichtig blinzelte ich mit einem Auge. Die Sonne schien grell durchs Fenster, es musste bereits Mittag sein. Schnell kniff ich das Auge wieder zu.
Doch was nutzte es? Bald würde Mona mit den Mädchen kommen und es wäre gut, vorher wenigstens das Nötigste aufzuräumen. Ich räkelte mich, streckte Arme und Beine … und stutzte. Was für ein seltsames Gefühl war das denn? Anscheinend steckte mir noch der Restalkohol in den Knochen. Wieder reckte ich mich und gab dabei ein wohliges Stöhnen von mir – zumindest sollte es eines werden, in Wirklichkeit klang es eher wie ein heiseres Grunzen. Und meine Arme und Beine, normalerweise lang und schlank, erschienen mir irgendwie … kurz und dick!
Jetzt war ich vollends wach. Ich strampelte die Decke von mir und blickte ungläubig auf meinen Körper. Dann kreischte ich los. Ich schrie und quiekte so laut, dass mir die Ohren schmerzten, doch ich konnte einfach nicht aufhören. Dazu hatte ich allen Grund: Ich war nackt, mollig, rosa, hatte Borsten, vier Beine und einen Ringelschwanz! Wenn ich schielte, konnte ich sogar meinen Rüssel sehen!
Verschlafen und verstrubbelt stürzte Dominik ins Zimmer.
„Was ist passiert?“
Er starrte mich zwei Sekunden lang an, dann lief er wieder hinaus und rief durch den Flur: „Lisa, wo bist du? Wie kommt dieses Schwein in Lilis Bett?“
Leise röchelnd hörte ich zu, wie er das Haus nach mir absuchte. Mein Herz hämmerte wie ein Specht bei der Arbeit an einem hohlen Baumstamm. Jede Menge Gedanken sausten durch mein Hirn, doch keinen konnte ich festhalten und zu Ende denken.
Mein Mann kam zurück, warf mir einen bösen Blick zu, schaute hektisch umher und rief: „Wo ist die versteckte Kamera? Es reicht, Leute! Schluss mit lustig!“
Als nichts geschah, packte er mich grob und warf mich aus dem Bett. Unsanft landete ich auf meinen vier krummen Beinchen. Spontan wollte ich ihn in die Wade beißen, aber im letzten Moment beherrschte ich mich. Wenn ich jetzt auch noch zum Problemschwein würde, wäre mein Schicksal endgültig besiegelt. So quiekte ich nur jämmerlich. Zwei Tränen tropften auf den Boden.
Nick ging vor mir in die Hocke.
„Sorry, Miss Piggy“, murmelte er, „du kannst ja nichts dafür.“
Er tätschelte meinen dicken Hals – und stutzte.
„Woher …?“ Hastig griff er nach meinen Ohren und zog daran. Es zwickte.
„Wiiiek!“
„Die gehören doch Lisa!“
Anscheinend waren mir meine Ohrringe geblieben. Natürlich erkannte er sie sofort, denn er selbst hatte sie mir zur Geburt unserer zweiten Tochter geschenkt. An jedem hing eine kleine goldene Maus. Lili und Marleen.
Nick sprang auf, drehte sich einmal um die eigene Achse und rief: „Hör auf mit dem Blödsinn, Lisa! Du hast deinen Spaß gehabt! Das ist echt nicht mehr witzig!“
Von dem Geschrei bekam ich Kopfschmerzen. Außerdem spürte ich ausgerechnet jetzt, dass meine Blase drückte. Auch das noch! Die Toilette konnte ich vergessen, da käme ich niemals alleine hinauf. Schwankend setzte ich mich in Bewegung. Es war gar nicht so einfach, die Hufe in der richtigen Reihenfolge aufzusetzen, ohne zu stolpern. Ich stupste mit der Nase gegen Nicks Bein, dann wackelte ich los zum Wohnzimmer. Vor der Verandatür blieb ich stehen und wandte mich um. Zum Glück war er mir gefolgt. Mit meinen unscharfen Äuglein blickte ich flehend zu ihm hoch. Mein Mann war schon immer ein Schnellmerker, darauf konnte ich mich verlassen. Als er die Glastür aufschob, hätte ich ihn am liebsten geküsst.
„Wiiiek, wiiiek“, bedankte ich mich und stapfte auf die Terrasse. Dort stand der Drehspieß mit den traurigen Überresten des Spanferkels. Plötzlich fühlte ich mich dem armen Tier seltsam verbunden. Was, wenn mir das passiert wäre? Beschämt schlich ich hinter einen Hortensienbusch.
In diesem Augenblick stürmten unsere Kinder zum Gartentor herein, gefolgt von meiner Schwester. So schnell wie möglich verrichtete ich mein Geschäft und trippelte ihnen entgegen.
Okay, dachte ich, nicht die Nerven verlieren! Immerhin lebe ich noch und meine Familie ist bei mir.
„Gehört das Schwein uns?“, fragte Lili. „Darf ich es streicheln?“
Da niemand es verbot, begann sie, meinen Rücken zu kraulen. Ich grunzte gerührt.
„Ist das ein Geburtstagsgeschenk, Papi?“, erkundigte sich Marleen.
„Ähm …“ Dominik grinste unsicher. „Ich weiß nicht so genau …“
Mona mischte sich ein.
„Wo steckt denn Lisa?“, fragte sie. „Schläft sie etwa noch?“
„Keine Ahnung. Ich hab sie schon überall gesucht. Aber da war nur Miss Piggy.“
Mona betrachtete mich genauer.
„Sag mal, sind das nicht Lisas Ohrringe?“
„Wiiiek“, bestätigte ich und nickte.
Wie sollte ich mich nur verständlich machen?
Auf der Veranda stand ein Eimerchen mit Malkreiden. Mit den Zähnen zog ich eine heraus – zufällig war es die pinkfarbene – und klemmte sie mir zwischen die mittleren Zehen meiner rechten Vorderpfote. Dann schrieb ich auf die Terrassenplatten: „Ich bin Lisa.“
Stille.
Mona presste die Hände vor den Mund. Dominik machte ein Gesicht, als hätte er ein Gespenst gesehen.
Marleen klatschte in die Hände.
„Es kann schreiben! So ein kluges Schweinchen! – Was steht denn da?“
Lili las vor: „Ich bin Lisa.“
„Oh, es heißt genauso wie Mami“, freute sich Marleen.
„Ich bin Mami“, schrieb ich.
Stille.
„Bist du verzaubert?“, fragte Lili zaghaft. „Geht das wieder weg?“
Ich hob die Schultern und ließ sie wieder sinken.
„Das gibt’s doch gar nicht!“, rief Nick. „Das ist irgendein Trick!“
„Wie denn?“, fragte Mona. Ihre Stimme zitterte. „Und wieso überhaupt?“
„Strafe für Spanferkel?“, schrieb ich. Eine bessere Erklärung fiel mir nicht ein.
Lili sah zum Grillspieß hinüber und brach in Tränen aus.
„Das arme kleine Ferkel!“, schluchzte sie. Marleen weinte gleich mit.
Durch meine Schwester ging ein Ruck. Sie nahm die Mädchen in die Arme und schlug vor: „Wir drei machen für das Ferkel eine richtig schöne Beerdigung. In der Zeit überlegt sich euer Papi, wie wir die Mami zurückzaubern können.“
Nick und ich saßen nebeneinander auf dem Rasen und schauten zu, wie Mona mit den Kindern eine Grube aushob. Ein paarmal schien er etwas sagen zu wollen, er holte Luft, doch dann schnaufte er nur und schüttelte den Kopf. Ich hätte ein wenig Trost gebrauchen können, aber das war im Moment wohl zu viel verlangt.
Behutsam legte Mona die sterblichen Überreste des Spanferkels in das Grab. Lili und Marleen bedeckten es mit Erde, Blumen und einem Herz aus Kieselsteinen. Anschließend stellten wir uns im Kreis auf, um uns zu verabschieden.
„Leb wohl!“, sagte Lili. „Ich will nie mehr Tiere essen. Versprochen.“
Sie stupste ihre Schwester an.
„Tschüs, liebes Ferkel!“, sagte Marleen.
Mein Mann warf mir einen nachdenklichen Seitenblick zu.
„Mach`s gut, kleines Schwein! Ich esse auch keine Tiere mehr“, verkündete er. „Höchstens ab und zu welche aus dem Aktiv-Stall von Bauer Ackermann.“
„Genau. Keine aus dem Mast-Knast“, stimmte Mona zu. „Gute Reise über den Regenbogen, Schweinchen!“
Mit inbrünstigem Grunzen schloss ich mich meinen Vorrednern an.
Auf einmal kribbelte mein ganzer Körper, als würde ich von einer Armee Ameisen überfallen. Meine Beine dehnten sich in die Länge. Ich verlor das Gleichgewicht und setzte mich rasch hin. Rüssel und Ohren schrumpften, der Bauch bekam eine Taille, Ringelschwänzchen und Borsten verschwanden und …
„Mami!“, riefen Lili und Marleen und fielen mir um den Hals. Auch Nick und Mona umarmten mich.
Endlich hatte ich meine richtige Gestalt zurück. Wen störte es da schon, dass ich mit nichts als einem Paar Mäuseohrringen bekleidet war?



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