Von Kornelia Kirchhoff

Wieder eine Nacht, in der sich der Schlaf weigerte, in mein Bett zu kommen. Er lümmelte auf dem Sessel herum, grinste hinterhältig und beobachtete mein stundenlanges Wälzen. Die Tiefschläge der letzten Zeit gingen mir nicht aus dem Kopf. Meine Eltern hatten gejammert, dass ihr Lieblingswein so teuer geworden ist. Ich sagte ganz locker, es sei kein Problem für mich und ich würde ihn günstig besorgen können. Nun find ich die Plörre nirgendwo. Dann noch die Sache mit den Theaterkarten. Nika verlässt sich darauf, dass ich sie für uns besorge. Jetzt ist die Vorstellung sicherlich längst ausgebucht. Ich habe es viel zu lang vor mir hergeschoben. An dem interessanten Projekt im Büro werde ich wieder mal nicht beteiligt, obwohl ich dafür absolut geeignet wäre. Niemand sieht, was ich kann. Wie immer lassen sie mich nur die Präsentation für die langweilige Statistik erstellen. Eigentlich total einfach, aber ich kann mich nicht dazu aufraffen. Ich bekomme sie sicher nicht mehr rechtzeitig fertig. 

Mühsam quäle ich mich aus dem Bett. Als ich die Füße auf den Boden stelle, höre ich sofort das vertraute Platschen. Aus dem Spiegel glotzt mich mein großmäuliges Froschgesicht an. Vorsichtshalber suche ich mir meine größte Hose mit Gummizug heraus und den Schlabberpulli. Ist mir doch egal, ob anderen meine Kleidung gefällt oder nicht. Hauptsache, ich habe es an so einem Tag nicht auch noch unbequem.

Nika ist natürlich wieder vor mir aufgestanden und überschwemmt mich mit einem Tsunami guter Laune. Ein Blick auf den Tisch genügt mir. Es kann nicht so schwer sein, richtig zu decken. „Also, wenn ich den Tisch decke, achte ich auf ein Mindestmaß an Ästhetik. Die Tassen und Teller passen gar nicht zusammen. Und wozu haben wir eigentlich Eierbecher? Den Marmeladenlöffel hol ich uns noch schnell. Ich finde es eklig, wenn wir immer mit den verschmierten Messern ins Glas gehen.“ Ich weiß, ich sollte mein Froschmaul halten. Zum Glück scheint Nikas Geduldsfaden heute eher ein armdickes Stahlseil zu sein. Trotzdem ist es wohl besser, wenn ich mich so schnell wie möglich auf den Weg zur Arbeit mache. Geübt falte ich die Schwimmhäute an meinen absurd langen Quanten zusammen und quetsche sie in die Schuhe. 

 

Wie jeden Morgen bleibt mir nichts anderes übrig, als an dem Restaurant vorbeizugehen. Die stellen schon früh morgens ihren Kunden-Stopper auf den Gehweg und ich habe keine Chance wegzusehen. Darauf dokumentiert ein Mitarbeiter jeden Tag in Kreidezeichen das hoffnungslose Versagen des Bildungssystems. Manchmal kann ich mich ja darüber amüsieren, dass es ein „gefühltes“ Schnitzel gibt oder ein „Hautgericht“. Um meiner selbst willen versuche ich den Stopper an Froschtagen zu ignorieren. Aber als ich näherkomme, springt mich eine „Pilzpanne“ an. Ich reiße die Tür auf und brülle in den noch leeren Gastraum: “Pfanne! Das heißt Pfanne!“ Das war jetzt tatsächlich etwas peinlich. Ich spiele mit dem Gedanken, demnächst lieber ein Stück rote Kreide dabei zu haben. 

 

Mit erhobenem Kopf und leider bereits jetzt schon deutlich anschwellender Brust versuche ich, so schnell wie möglich ins Büro zu kommen. Aber die nächste Herausforderung erwartet mich noch, bevor ich im Gebäude abtauchen kann. Ich versuche nicht hinzusehen, aber das eindeutige Motorengeräusch fängt meine Blicke wie mit einem Lasso ein. Dieses unfähige Vor und Zurück. Die Parklücke ist groß genug für einen Lkw, da sollte es mit einem Kleinwagen nicht so schwer sein. Ich kann nicht anders, bleibe stehen, gebe Zeichen und sage, wann das Lenkrad links, wann es rechts eingeschlagen werden muss. Zum Abschluss noch ein erhabenes “Na also, war doch gar nicht so schwer.“ Mist, der Schlabberpulli beginnt zu spannen.

 

Ich plumpse schon jetzt total erschöpft auf meinen Schreibtischstuhl. Die Mail von X hat mir heute noch gefehlt. Kenne nur ich mich hier mit den Formularen aus? Bevor auch noch nachgefragt wird, wie es auszufüllen ist, nehme ich gleich schon mal die Eintragungen vor. Ich brauche ziemlich lange, bis ich „Anbei das erbetene Formular“ mit einem geeigneten Begleittext garniert habe, ohne direkt zu schreiben, dass ich von ermüdender Inkompetenz umgeben bin. Wahrscheinlich sollte ich heute alle Kontakte meiden. Nicht nur die persönlichen, sondern auch die per Mail. Zum Kopierer muss ich jedoch noch schnell. Aber ich hätte darauf wetten können: Natürlich fummelt Y mal wieder am Papierfach rum. Papier einlegen ist doch kein hochtechnisch komplexer Vorgang. Anscheinend muss ich einsehen, nicht jeder kann sich die drei bis vier Handgriffe merken. „Darf ich mal?“ Ruckzuck erledigt. „So schnell geht das.“ Y trollt sich. 

 

Meine Brust ist schon sehr gespannt, der Bauch hat ebenfalls unübersehbar an Umfang gewonnen. Als ich in den Kalender blicke, stelle ich mit Entsetzten fest, dass heute noch ein Teammeeting ansteht. Das fehlt mir noch. Wenn ich nur daran denke, dass ich mir bis zur völligen Erschöpfung die inkompetenten Ausführungen von Z anhören muss, fühle ich schon jetzt, wie es in mir zu brodeln beginnt. Aber davor drücken kann ich mich nicht, ich muss dabei sein. Bei dieser „Wir-sagen-Du-Bande“, weil wir auf unserem wunderbaren Teambuilding-Seminar so wunderbar aufeinander zugehen konnten. Es bleibt mir nichts anderes übrig, als hinter ihnen her zu platschen. Springen geht jetzt schon nicht mehr. Eure Kuhglocken schallen laut in meinen Ohren. Lasst euch doch abführen, ihr Ochsen. Im Besprechungsraum ist für mich nur noch ein Stuhl mit Armlehnen frei. Also sollte ich mich erst recht beherrschen. Z beginnt zu reden und in meinem Kopf kreischt Kreide auf einer Tafel. Meine Lieblingssätze für diese Gelegenheiten fangen an, in mir zu gären, wie der Inhalt einer Biotonne in praller Sonne. Das kann keiner von mir verlangen, sie müssen aus mir heraus, ich muss die Sätze aus mir herauswürgen: 

Ich würde das differenzierter sehen – wir müssen noch finale Details evaluieren – wir sollten den Abstimmungsprozess auf Augenhöhe gestalten – ich kann deine Ausführungen sehr wertschätzen – für mich hat jetzt maximale Prio – Effektivität als auch Effizienz  – Synergieeffekte nutzen -Transparenz herstellen – wir stehen vor großen Herausforderungen – wir müssen Compliance konform vorgehen – ich würde an dieser Stelle rückkoppeln wollen – da ist noch Luft nach oben – unbedingt auf die Agenda setzen. 

Ha – mit den eigenen Waffen geschlagen. Wie ich es liebe, wenn ihnen die Gesichtszüge entgleiten und ihre Augen immer glasiger werden. Aber es war ja klar, dass mir die Freude daran zum Verhängnis wird. War ich am Anfang des Meetings noch mit Müh und Not zwischen die Armlehnen gerutscht, stecke ich bei Sitzungsende im Stuhl gefangen wie in einer Falle. Mir bleibt heute aber auch gar nichts erspart. Ausgerechnet X und Y muss ich bitten zu bleiben und mich aus dem Stuhl zu ziehen. Als ich mich endlich mühsam zu meinem Büro quäle, spüre ich ihr hämisches Grinsen in meinem Rücken brennen. 

Hose und Pulli sitzen mittlerweile enger als die teuerste Shapewaer und sind zum Bersten gespannt. Bevor ich auch noch aufgeplatzte Nähte riskiere, mache ich heute vorzeitig Feierabend. Mühsam robbe ich nach Hause, krame den Schlüssel hervor und mit dem Kopf voran schiebe ich mich durch die Tür. Nika hat heute im Homeoffice gearbeitet und hört, dass ich schwer schnaufend im Flur stehe. 

„Na, bist du heute mal wieder zum aufgeblähten Ochsenfrosch mutiert?“

„Ich konnte nichts dagegen tun. Bitte, komm her und erlöse mich.“

 

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