Von Helmut Blepp

 

Als ich an diesem Morgen aufwachte, lag ich seltsamerweise auf der Bettseite meiner Frau. Weshalb hatten wir wohl gestern unsere gewohnten Schlafplätze getauscht? Ich konnte mich nicht erinnern.

Es wird schon eine Erklärung dafür geben, dachte ich mir. Zunächst aber musste ich dringend auf die Toilette, denn es war heftiger Harndrang, der mich geweckt hatte. So schnell es mir im dämmrigen Licht des Morgens möglich war, verließ ich das Schlafzimmer und stand alsbald breitbeinig vor dem Klosettbecken. Eilig klappte ich Deckel und Brille hoch. Meine Hand fuhr in den Slip und griff – ins Leere. Da war nichts!

Durch den Schock bekam ich weiche Knie, drehte mich langsam um und ließ mich auf das Becken plumpsen. Ich atmete einige Male tief durch und versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen. Plötzlich plätscherte es unter mir. Meine Blase entleerte sich. Aber nicht wie gewohnt. Vorsichtig schob ich meine rechte Hand nach unten, tastete zwischen meinen Beinen und erfühlte – nur eine Spalte.

Mir wurde regelrecht schlecht vor Angst. Was war nur geschehen?

Ich erhob mich und machte das Licht an. Aus dem Badezimmerspiegel starrten mich die fassungslos aufgerissenen Augen meiner Frau an. Als ich den Mund öffnete, tat es auch der ihre. Als ich mir verzweifelt die Haare raufte, griff sie sich zeitgleich an den Kopf. Ich hatte mich tatsächlich in meine Frau verwandelt!

Aber wenn dem so war, wer hatte da eben neben mir geschlafen?

Ich schlich zurück ins Schlafzimmer und schlüpfte ins Bett. Die Sonne ging gerade auf und schien durchs Fenster. Vorsichtig drehte ich mich auf die rechte Seite. Der Anblick erschreckte mich, obwohl ich damit gerechnet hatte, denn mir gegenüber lag – ich.

Wie konnte ich nur so seelenruhig schlafen und mich zur selben Zeit im Körper meiner Frau befinden? War ich eigentlich dieser Mann?

Er erwachte mit einem kleinen Grunzen, streckte wohlig seufzend seinen Leib und leckte sich die Lippen. Dann wandte er sich mir zu.

„Guten Morgen, Liebes. Schon wach?“

„Ich musste aufs Klo“ stammelte ich, völlig überfordert von der Situation. Er schaute mich aus meinen Augen an, sprach mit meiner Stimme, nannte mich Liebes. Dieser Mann war offensichtlich ich.

„Heute ist Sonntag“, sagte er nun. „Keine Pflichten. Niemand wartet auf uns. Wollen wir es uns nicht ein bisschen gutgehen lassen?“

„Bitte?“ Meinte er das, was ich meinte?

Er grinste wie ein Satyr und schob sich näher an mich heran.

„Aber …“ Das konnte doch nicht wahr sein. So etwas durfte es gar nicht geben.

„Kein Aber, Liebes!“ Mit größter Selbstverständlichkeit strich er mit der Linken über meine Brüste. Ich hatte Brüste!

Was, um Himmels Willen, sollte ich tun?

Schon wühlte seine Hand in meinem Slip, drückte fordernd meine Schenkel auseinander. So ein Rüpel, dachte ich noch empört. Dann rollte er sich auf mich.

 

Ich verbrachte den halben Morgen in der Badewanne, um das Erlebnis einigermaßen zu verdauen.

Schon zweimal hatte er durch die geschlossene Tür gefragt, wann ich endlich fertig sei. Bald klopfte er wieder und säuselte: „Liebes, wann bist du denn soweit? Dein stolzer Held ist hungrig.“

Von wegen, Held! Ein rücksichtsloser Rammler, das war er! Ich fühlte mich noch immer wie gerädert.

Leider hatte ich nicht die geringste Ahnung, was ich machen sollte. Abhauen? Aber wohin? Jemanden um Hilfe bitten? Ein jeder hätte mich verrückt gehalten.

Also fügte ich mich drein, schlüpfte in einen Hausanzug und ging zu ihm in die Küche. Er saß am Tisch und strahlte mich an.

„Da bist du ja, meine Liebesgöttin! Ich habe dich vermisst.“

Mach´s dir selber!

Als ich an ihm vorbei zum Kühlschrank ging, kniff er mich in den Po. Das sollte wohl liebevoll gemeint sein!

„Autsch!“, rief ich lauter als nötig.

Er lachte nur. „Seit wann bist du so empfindlich?“

„Ach, mir ist heute nicht nach Scherzen.“

„Was ist denn, Liebes? Kriegst du deine Tage?“

Das war der Spruch zu viel. Ich rastete aus.

„Meine Tage! Du, mein Tag fing heute an mit einem Zwergwal, der seine hundert Kilo auf mich gewälzt hat, um seine Morgenlatte wegzuarbeiten. Von wegen empfindlich!“

Er schaute mich so entgeistert an, als hätte ich ihm gerade eine gescheuert.

„Aber …“, setzte er an.

„Kein Aber! Und glaubst du denn wirklich, es macht mir Spaß, jeden Donnerstag mit blauen Flecken am Hintern zur Wassergymnastik zu gehen, weil mein Mann es lustig findet, dass ich wie ein Schwartenmagen herumlaufe?“

Wer sprach da plötzlich aus mir? War das wirklich noch ich? Und welches Ich, verdammt? Schrie ich mich selbst an? Oder war ich jetzt doch die Frau dieses tumben Tors, der da wie ein Häufchen Elend vor mir saß?

Ich atmete tief durch.

„Wenn du Hunger hast – der Kühlschrank ist voll. Ich mache mich jetzt langsam fertig. Denk dran, heute Nachmittag sind wir bei meinen … deinen Eltern zum Kaffee eingeladen. Und vorher müssen wir noch irgendwo Blumen besorgen.“

Damit verzog ich mich wieder ins Badezimmer.

 

Der Besuch bei meinen Eltern ging dann doch recht angenehm über die Bühne. Nachdem der Erdbeerkuchen mit Sahne weggeputzt war, gingen Vater und Sohn zum Cognac über. Erst stritten sie, nicht ganz ernst gemeint, über die Qualitäten ihrer Lieblingsfußballvereine, dann erzählten sie sich lautstark zotige Witze. Ich half Mama derweil in der Küche und übte mich im Gespräch von Frau zu Frau.

„Du wirkst ein wenig abwesend heute“, stellte die alte Dame fest. „Ist irgendwas mit euch?“

Fast war ich versucht, ihr alles zu erzählen. Doch was hätte das geändert?

„Aber nein“, beruhigte ich sie. „Es ist alles in Ordnung. Ich bin nur müde, habe wohl zu lange Fernsehen geschaut gestern Abend.“

„Schön! Dann lass uns ein paar Schnittchen machen für die Raubtiere da drinnen. Schnaps macht hungrig.“

„Heute nicht, Mama! Ich bin wirklich nicht so gut beisammen. Und ich muss doch den ollen Suffkopf nach Hause kutschieren.“

„Na, dann …“

 

Die Heimfahrt verlief ruhig. Ich konzentrierte mich auf den Verkehr. Er starrte stumm geradeaus.

Ich vermutete, dass er verärgert war, weil wir uns heute so früh verabschiedet hatten, aber plötzlich sagte er: „Weißt du was? Wir fahren jetzt nicht gleich heim. Wir könnten doch noch essen gehen. Ganz gemütlich, bei Enzo!“

Ach, wie ich dieses Lokal liebte! Wir waren schon lange nicht mehr dort gewesen.

 

Als ich am Morgen erwachte, strahlte mir die Sonne ins Gesicht. Ich drehte mich weg auf meine rechte Seite. Da lag meine Frau und schlief ganz entspannt.

Was für ein verrückter Traum! Die Erinnerung daran war ebenso verwirrend wie unangenehm. War ich tatsächlich so ungehobelt? Der Gedanke erschreckte mich. Gewiss wollte ich ihr nie weh tun. Ich liebe sie doch und habe meine Späße immer für ganz harmlos gehalten. Wenn sie das wirklich so ganz anders empfunden hat …

Von einem spontanen Impuls geleitet, wollte ich sie an mich ziehen und küssen, doch konnte ich mich rechtzeitig bremsen. Nein, sollte sie nur in Ruhe ausschlafen. Ich würde heute das Frühstück machen. Vorsichtig stieg ich aus dem Bett.

Nach dem Duschen ging ich in die Küche. Frisch gepressten Orangensaft sollte es geben, geröstetes Brot, Eier im Glas und ihre selbst eingekochte Erdbeermarmelade.

Am Nachmittag würden wir dann, wie jeden ersten Sonntag im Monat, zu meinen Eltern fahren. Und am Abend würde ich sie in der Tat wieder einmal zu Enzo einladen; ein schöner Ausklang fürs Wochenende.

 

Sie kam herein, als der Kaffeeautomat noch röchelnd seine Arbeit verrichtete.

„Was machst du denn hier?“, fragte sie, noch verschlafen, und rieb sich die Augen. „Warum bist du nicht im Büro?“

„Aber Schatz, heute ist doch Sonntag, und ich mache dir gerade das beste Frühstück der westlichen Welt.“

„Spinner! Heute ist Montag. Du hattest wohl gestern bei Enzo ein Viertel Roten zu viel, was?“

„Gestern“, stammelte ich. „Aber mein Traum …“

„Ausgeträumt, mein Lieber! Also, zieh dich schnell an und ab in die Firma! Unterwegs solltest du dir eine gute Ausrede für dein Zuspätkommen überlegen.“