Von Maria Monte

Gestern kamen die Kinder aus Australien zurück. „Hallo, Mama, hallo Papa, wir sind wieder gut in Berlin angekommen. Wir haben viele Fotos geschossen. Stellt Euch vor, neben den vielen Kängurus, den Wallabys und den Kookaburra haben wir hier auch Rotrückenspinnen gesehen.

Wollen wir uns in dieser Woche zum Essen und Erzählen treffen?“ „Gerne, wir sind gespannt auf eure Fotos und Berichte.“

Noch lange saß ich mit meinem Mann nach dem Telefonat bei einer Flasche Rotwein. Wir googelten die australische Tierwelt nach und machten unsere Witze dazu. Am meisten amüsierte sich mein Angetrauter über die unbekannte Spinnenart. „Eigentlich haben die Männchen der Rotrückenspinne, die ja nach der Begattung aufgefressen werden, ein tolles Ende. Jeder ältere Mann wünscht sich doch insgeheim, wenn es schon ans Sterben geht, dann am liebsten nach einem erfüllten Sexabenteuer.“ Und lachend fügte er noch hinzu: „ Du endest bestimmt einmal als alte, buckelige Brotspinne, wenn du mich weiter so ärgerst.“

In dieser Nacht schlief ich unruhig. Ich träumte merkwürdiges Zeug zusammen. Überall sah ich Spinnen, die an ihren Netzen spannen und diese argwöhnisch bewachten. Ein Heer und Meer aus Fäden, fast undurchdringlich wie ein Dschungel und in jeder Ecke saßen diese dicken, grauen Krabbeltiere. Immer, wenn ich versuchte, durch dieses Labyrinth zu kommen, blieb ich in den Fäden hängen. Sie klebten fürchterlich. Ich kämpfte gegen die Eindringlinge und wachte irgendwann entsprechend gerädert auf.

Beim Frühstück gab es nur das eine Thema: Spinnen. Die nächsten Tage bis zum Besuch unserer Kinder unterhielten wir uns überwiegend über die Ordnung der Gliederfüßer, googelten und phantasierten alberne Geschichten. Selbst in der Politik entdeckten wir Ähnlichkeiten zur Natur der Spinnentiere. „Die spinnen doch“, war unser beliebtester Kommentar.

Das Zusammensein mit unseren weitgereisten Kindern gestaltete sich vergnüglich und recht australisch. Zu Kängurusteaks in pikanter Pilzsauce reichten wir Papayabällchen und selbstgebackene Scones. Ein Festessen für die Heimkehrer und für uns als Eltern, die froh waren, dass Sohn und Frau gesund und erholt wieder zuhause sind. Die Fotos der Handys ließen wir über den Fernseher laufen. Bei den Tierfotos gab es einiges zu staunen. Uns fiel noch eine wichtige Frage ein: “ Sagt mal, wer hat sich eigentlich um eure Schlange gekümmert?“ „Ach, die haben wir doch noch vor der Reise an einen Freund weggegeben. Hatten wir das nicht erzählt?“ Es war ein sehr gelungener, ausgefüllter Tag. Nachdem die Kinder gegangen waren, räumten wir ein bisschen auf, tranken zufrieden den Rest des „Jammy Red Roo“ aus und ließen dabei noch einmal alle Gespräche Revue passieren. Etwas angesäuselt fanden wir irgendwann doch in unser Bett.

Beim Wachwerden am nächsten Morgen strecke ich wie immer meine Glieder, räkele mich und versuche ein „Guten Morgen, Schatz“ zum Nebenbett zu säuseln. Ich höre weder meine Stimme, noch erhalte ich eine Antwort. Als ich lachend die Bettdecke zurückschlagen will, gelingt mir das nicht. Nanu, meine Arme und Beine reagieren nicht so wie sonst! Das Bett neben mir ist leer. „Schatz, bist du schon auf“? probiere ich wiederholt meine Stimme einzusetzen. Ganz leise spüre ich sie, meine Beine vibrieren. Mühevoll komme ich irgendwann zum Flur. Im Spiegel gegenüber der Schlafzimmertür erblicke ich eine Kugel mit acht Beinen. Ich kann in meinem Gesichtsfeld acht Punktaugen erkennen. Klar und deutlich. „Träume ich noch oder war der Rotwein mit Halluzinogenen durchsetzt?“ Mein Körper fühlt sich dick und prall an, fast, als wenn ich mich überfressen hätte. Dabei hatten wir doch gar nicht so spät und so viel gegessen. Von meinem Mann höre ich keinen Ton. Es ist mucksmäuschenstill um mich herum. Gespenstisch still.

Nun brummt mein Kopf doch. Was ist passiert? Ich versuche, mich an unser Gespräch zu erinnern. Mit einem meiner vielen Beinchen kratze ich mich am Kopf. Mein Rücken zeigt eine rötliche Färbung.

Wenn heute Nacht eine Transformation stattgefunden hat, wie auch immer, dann mit mir und meinem Mann. Aber warum? Alles ist ziemlich unklar. Klar ist nur, natürlich hatten wir noch ein bisschen Spaß. Und danach? Wann ist was wie passiert? Nun fällt mir ein, dass es sich ja bei den Rotrückenspinnen um nachtaktive Tiere handelt, die in ihrem Spaßzwang über sich herfallen. Im Tierreich nennt man das Sexualkannibalismus. Mein Mann als Festmahl, wie apart! Furchtbar! Dann ist es auch kein Wunder, dass diese außergewöhnliche Nährstoffzufuhr mir genug Kraft gibt, mich bis in die äußerste Ecke des Flures zu schleppen. Hoch oben an der Decke probiere ich meine neuen Fähigkeiten aus. Und siehe, ich kann mir ein Netz spinnen, das mich trägt und mich vorläufig beschäftigt. So bin ich erst einmal abgelenkt. Irgendwann kommen dann doch Gedanken und Ängste. Ich recherchiere. Also, ich bin noch klar im Kopf, nur mein Körper scheint diese Verwandlung mitgemacht zu haben. Was könnte ich tun, was sollte ich machen? Hier oben nur herumhocken, das entspricht nicht meiner Mentalität. Sicher wird mein Sohn heute anrufen, um sich nach unserem Befinden zu erkundigen und uns mitzuteilen, dass er und Sarah wieder gut zuhause angekommen sind. Wenn dann keiner ans Telefon geht oder zurückruft, wird er spätestens morgen nach dem Rechten sehen kommen. Er wird also im Flur die Tür aufschließen und nach uns rufen. Ich sollte deswegen direkt über und vor der Tür eine Mitteilung hinterlassen. Als Spinne bleibt mir nur zu versuchen, ein sehr auffälliges Netz zu spinnen. Das wird ihn stutzig machen. Ich sollte probieren, ob ich eine Kurzinfo spinnen kann, etwa: „Ich bins, Mama.“ Gesagt, getan. Ich mache mich an die Arbeit.

„Hallo Mama, hallo Papa“, meldet sich unser Kind am nächsten Nachmittag. Beim Hereinkommen bleibt er in dem klebrigen Netz hängen. Er nestelt an sich herum, entfernt die Fäden und stutzt. Hier gab es ja noch nie Spinnweben! Die Fadennachricht ist nur leicht beschädigt. Er biegt seinen Kopf mal nach links, mal nach rechts, unschlüssig, ob er richtig sieht und liest. Da die Wohnung leer ist, außer ihm keine menschliche Seele vorhanden scheint, holt er tief Luft und atmet besonders laut ein und aus. Die Spinnweben erzittern. Ich lasse mich an einem Faden direkt vor seinem Gesicht herunter. „Igitt, was ist das denn?“ erschreckt er sich hörbar. Ich versuche, ihm mit meinen Beinchen Zeichen zu geben. Eine nicht so leichte Aufgabe, ungewohnt dazu. Ich hebe mal ein Bein in seine Richtung an, mal knicke ich ein Gliedmaß so ein, dass es auf mich zeigt. Mein Sohn starrt mich an. Ich weiß leider nicht, mit welchem der acht Augen ich ihm zublinzeln soll. Jetzt scheint er darüber nachzudenken, warum ich vor ihm herumzappele und dass ich keine Angst zeige. Mein Sohn hält seinen Handrücken unter meine zappelnden Gliedmaßen und ich fühle endlich wieder festen Boden unter mir. Ich setze mich und versuche, mich zu entspannen. Seine Hautwärme tut mir gut. Nun redet er mit mir, wie er es sonst mit seiner Schlange tat. „Ich weiß zwar nicht, was passiert ist, aber ich nehme dich mit und du darfst in dem Terrarium unserer Schlange wohnen. Vielleicht ist ja alles nur ein verflixter Traum und es löst sich irgendwann auf.“

Nun, ich bin zwar noch immer im Körper einer Spinne, aber ich lebe bei den Kindern. Und gut geht es mir dort. Sie reden mit mir, geben mir Brotkrümel und kleine Insekten und ich habe sogar einen kleinen Teich für mich, also Pool inclusive. Früher hatte ich Angst, in ein Altersheim zu kommen. Das hat sich damit ja geklärt.

 

Variante 2

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