Von Rosa Pessl

Wie bin ich denn hierher gekommen? Ich liege auf dem Rücken, strecke mich, doch mein Körper ist viel zu kurz. Meine Beine, aaaah …, ich kann sie nicht durchstrecken und wo sind meine Hände geblieben? Meine Finger? Ich versuche aufzustehen, aber ich kann mich nicht auf meinen Beinen halten. Autsch! Ich knalle mit der Schnauze in den Boden. Ein weiterer Versuch, doch ich kann mich nur kurz auf den Füßen halten. “Prinzessin?!”, ertönt eine Sopranstimme untermalt mit einer Mischung aus Ermahnung und Verwunderung. Ich sehe mich um. Alles ist riesig! Der Tisch, die Sessel und das Bett, aus dem ich geplumpst bin, alles ist überdimensional. Ist es in der Nacht gewachsen? Oder bin ich geschrumpft? Endlich stehe ich allerdings auf vier Pfoten. Wie bitte! Vier? Ja, eins, zwei, drei vier … Ich weiß nicht, wo und vor allem, was ich jetzt bin.

 

Überall an mir sind Haare, weiße Locken. Igitt, igitt, ich habe sogar Haare an und zwischen meinen Zehen, dabei mag ich unbehaarte Körper. Mir fällt nichts besseres ein und versuche mir mit den Zähnen die Haare an den Zehen auszureißen. Sie müssen weg. Ich knurre und zerre wie wild an den Haaren. “Prinzessin!”, jetzt ist der Sopran eindeutig eine Ermahnung. Ich höre, dass ich damit aufhören soll und irgendetwas von der Salbe. Aber bin ich überhaupt gemeint? Ich fühle mich mit “Prinzessin” nicht angesprochen, doch es ist sonst niemand anderer im Raum. Weiterdenken kann ich nicht, denn schon klebt eine Salbe an meinen Pfoten. Aaaah, Enthaarungscreme, denke ich erleichtert und strecke meine Pfoten aus. 10 Minuten, dann müsste sie wirken. Die Zeit rinnt dahin wie ein zäher Schleim. Nachdem ich überzeugt bin, dass sie um ist, stopfe ich meine Pfote in den Mund und versuche, die Haare auszuzupfen. Oh mein Gott, das zerstört meine Geschmacksnerven für den Rest meines Lebens. Ich spucke, bruste und huste … Bitte gib mir einen Gin, schreit es in mir, einen Gin, ich muss diesen ekligen Geschmack loswerden. Doch zu meinen Entsetzen bekomme ich eine Wasserschüssel vorgesetzt. Egal, ich stürze mich darauf, in der Hoffnung mit irgendetwas diesen Geschmack dämpfen zu können. Ich schlürfe so viel Wasser in mich hinein, dass ich es kurz danach wieder erbrechen muss. Eine große Pfütze breitet sich vor mir aus.

 

Während Frau Sopran ein Wischtuch holt, ruft sie unwirsch: „Susi, geh Platz!“. Wieder fühle ich mich nicht angesprochen. Also schiebt sie mich einfach auf das Bettchen, das eher einen rosaroten Kindermatratze gleicht. Aha! Susi, das bin ich dann wohl ich.

 

Von meinem Bettchen starre ich auf ein Foto im rosa Glitzerherzrahmen auf der Kommode. Das Malteser-Hündchen auf dem Foto starrt mit riesigen Kulleraugen zurück. Vor lauter Starren beginnen meine Augen zu tränen. Dann betrachte ich meinen Körper, meine Beine, meinen Bauch, meinen Rücken, mein Schwänzchen. Das auf dem Foto, dieses Malteser-Hündchen, das bin dann wohl auch ich. Ich erhebe meine Stimme, um zu protestieren. Doch herauskommt nur ein gequältes „Wuff. Wuuuuff. Wuff.”. Verflucht, ich bin doch gar nicht so einsilbig. Mir wird schwindelig, alles beginnt sich zu drehen, ich werde ohnmächtig. Das ist viel zu viel. Schlafen, wegschlafen, einfach nur schlafen … Es ist alles sicher nur ein böser Traum, hoffe ich.

 

„Susi, Prinzessin, Susilein ….” werde ich im säuselnden Ton geweckt. Schlaftrunken hebe ich meinen Kopf und schon habe ich ein rosa Halsband umgeschnallt. Frau Sopran zerrt und zupft an meinen Locken und bald danach sind sie mit einer Masche fixiert. In Rosa, versteht sich!

 

„Prinzessin, es ist Zeit für die Gassi-Runde!”. Jeder Widerspruch ist zwecklos, denn ich hänge bereits an einer Leine, mit der sie mich hinauszerrt. Aber, wenn ich so nachdenke: Meine Blase drückt tatsächlich. Auf dem ersten Grünstreifen hocke ich mich nieder und lasse Wasser. Mache ich das jetzt tatsächlich? Ich pinkle in der Öffentlichkeit auf einem Grünstreifen und hebe dabei noch stolz mein Hinterfüßchen. Ich schäme mich bis auf die Knochen. „Prinzessin“, höre ich sie ganz verzückt rufen, „du kleine Rüdin, du bist so selbstbewusst!” Oh mein Gott, bitte gib mir ein großes Loch im Erdboden, in dem ich einfach verschwinden kann, oder beame mich weg. All mein inneres Flehen hilft nichts, nur Frau Sopran steht verzückt da, so als sehe sie das Christkind. Wenn sie mich noch einmal Prinzessin nennt, werde ich tollwütig und beiße! Übrigens selbstbewusst sein, das fällt mit dem vielen rosa Zeugs mächtig schwer. Hoffentlich zieht sie mir nie ein Tutu an.

 

Im Park darf ich endlich von dieser Leine. Gott sei Dank, denn das Gezupfe macht mich irre. Ich stolziere auf die Wiese zu und werde gesehen. “Rex hierher, hierher…”, höre ich eine tiefe Bassstimme. Offensichtlich situationstaub hetzt ein Schäferhund auf mich zu. Oh nein, der wird doch nicht … Nein, weg mit deiner Schnauze! Mein Hintern, das ist sexuelle Beläst… In diesem Moment spüre ich meine Hormone. In 14 Tagen werde ich läufig, hat sie gesagt. Oh, welch ein strammer Bursche. Schnell hebe ich mein süßes Schwänzchen und lasse es zu. Wir tauschen unsere Duftmarken, also quasi unsere Handynummern, aus und rrrrrr…

 

“Rex, Fusss, Fusss”, höre ich den Bass argwöhnen. Aber Rex steht doch auf seinen Füßen. Ich verstehe die Befehle nicht und werfe Rex einen heißen Kulleraugenblick zu. Rex, rrrrrrrr, rrrrrrr … Er hat mich verstanden. Kurz bevor der Bass ihn an die Leine nehmen kann, rennt er los und ich hinter ihm her. Oh! Pfützenwetthüpfen! Juhu! Schön, dass es vor einigen Stunden geregnet hat. Platsch! Ich hüpfe mitten hinein und robbe mit dem Bauch heraus. Rex, mein stolzer Rex, bei ihm bleibt kein Wasser mehr in der Pfütze. Wir wälzen uns im Schlamm. Ich möchte, dass jedes meiner weißen, fein getrimmten Härchen eingesuhlt ist. Meinem menschlichen Restgehirn hat es vor Entsetzen der Sprache verschlagen. Es schweigt.

 

Rex und ich tragen nun Partnerlook: Schlammbraun. Wir spielen verstecken. Dann höre ich die Frau Sopran keuchen, auch der Bass hat uns erreicht.

 

„Was machen Sie überhaupt hier mit ihrer Töle?”, fährt der Bass Frau Sopran an.

„Warum lassen Sie Ihren wilden Köder überhaupt von der Leine?” keift Sopran zurück. Es folgt ein lautes Wortgefecht. Wenn zwei sich streiten, freut sich bekanntlich die Dritten. Rex und ich lassen die beiden Streithähne stehen und rocken noch eine Runde durch den Park. Nach einer gefühlten schönen Ewigkeit erreichen sie uns wieder. Sopran nimmt mich fassungslos an die Leine und zerrt mich weg von Rex. Ich werfe ihn noch einen letzten heißen Blick zu. Rrrrrr, rrrrrr.

 

Am Nachhauseweg lasse ich keine Gelegenheit aus, an den Grashalmen zu schnuppern. Ich bin völlig konzentriert und im Hier und Jetzt. Zu Hause steckt mich Frau Sopran angewidert in die Badewanne. Sie hat mich seit über einer Stunde nicht mehr Prinzessin genannt. Die Baderei dauert ewig. Danach ist keines meiner Härchen mehr so, wie es war. Sie musste mir den Dreck teilweise herausschneiden. Mein Fell hat nun Ecken und Kanten, die mir egal sind. Sie heult; ich verkrieche mich lieber in mein rosarotes Bettchen.

 

Wenige Stunden später erwache ich, weil mir der Magen knurrt. „Essen, Prinzessin, essen …”, ruft sie verheißungsvoll. Oje, sie ist wieder die alte, aber Essen klingt gut. Schnell laufe ich in die Küche und starre entsetzt auf das, was vor mir auf dem Tellerchen liegt. Brei? Ich bin zu hungrig, um genauer nachzudenken, hoffe nur, dass es nicht schon mal gegessen war. Mit geschlossenen Augen verschlinge ich das mir Vorgesetzte. Es schmeckt gar nicht mal so schlecht, bloß haben sie die Würze vergessen. Naja, billige Convenience-Küche eben.

 

„Meine Prinzessin, du bekommst nur das Beste!”, pflichtet mir Frau Sopran bei, bevor sie sich auf die Couch setzt und den Fernseher anmacht. Nach dem Essen geselle ich mich zu ihr, stupse sie mit meinen Näschen an, dann zeige ich ihr mein Bäuchlein. Sie lächelt und schon krault mein wohl gefühltes Bäuchlein. „Ach, meine Prinzessin“, seufzt sie, während sie durch die Kanäle zappt. Ich drehe mich um, schaue sie an. Es reicht mit der Prinzessin! Ja, immer schön mit dem Schwänzchen wedeln. Jetzt besonders viel Wind damit machen. Sie rümpft die Nase, hält sie zu, nicht ohne dabei ein entsetztes „Prinzessin!” von sich zu geben. Danach schubst sie mich von der Couch und reißt das Fenster auf. Verächtliche Blicke streifen mich.

 

Ich ziehe mich auf mein Hundebettchen zurück und beobachte sie aus den Augenwinkeln. Ihr Handy klingelt. Das Telefonat verläuft ihrerseits ziemlich wortkarg. Sehr ungewöhnlich für Frau Sopran. Nachdem sie auflegt, bricht sie in Tränen aus. Ken 5.0 hat gerade mit ihr Schluss gemacht. Ich seufze und denke mir, wie kompliziert es sich die Menschen machen! Dabei ist das Leben so einfach. Essen, trinken, spielen, schnüffeln, Spaß haben im Hier und Jetzt – und freie Liebe mit Rex, rrrrrr ….

 

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