Von Sabine Esser

„I’m sorry. So sorry“, entschuldigt sich Marty McFly bei Professor Emmet L. Brown. Er hätte 2050 eingeben sollen.

„Can’t stop’em now”, brüllt der Alte mit den langen, dünnen, weißen Haaren.

Feuerspeiend düst der windkanaldesignte DeLorian los und stoppt nach einigen Minuten jählings.

„One two zero five one six one nine“ und “one seven : two four” zeigt das Display an. Die Landung auf der matschigen Kuhweide ist heftig.

Ein schneller Blick reicht Marty: „There’s nothing that‘s keeping me here.”

„This is not America“, bestätigt der Professor.

“Don’t worry, be happy”, startet er den Motor, der auch sofort anspringt. Im tiefen Klei aber fressen sich die Reifen fest. Meterweit fliegen Gras und Lehm. Das macht die Kühe neugierig. Sehr interessiert beschnobern sie mit ihren weichen Sabbermäulern das Gefährt. Eine besonders mutige hebt ihren Schwanz, und die warmdampfende, grünbraune Masse klackst genau auf den rechten Scheinwerfer.

Jetzt beginnt es auch noch zu regnen. Was heißt regnen? Aus Kübeln schüttet es. Ohne Hilfe bekommen sie den Wagen niemals frei.

„I can’t stand the rain“, mosert der Alte.

„Looking for someone.“ Die Kühe beglotzen die bunten Outfits, als die beiden sich aus dem flachen DeLorian quälen.

 

Mühsam stapfen sie den glitschigen Ackerweg entlang. Ihre Schuhe sind ganz und gar nicht für diese Art Boden und Nässe geeignet, sie bleiben ständig kleben, und nach jedem Schritt wird der bleischwere Klumpen Lehm an den Sohlen dicker. Lieber gehen sie barfuß.

 

Ganz plötzlich hört der Regen auf, und vor den noch dunklen Wolken spannt sich ein schimmernder Bogen über das weite, flache Land. Mühlenräder drehen sich, und in der Ferne ist sogar ein Ort zu erkennen. Es riecht nach Salz und Meer.

„Ain’t it beautiful“, summt Emmet zufrieden beim Stapfen. Die Luft duftet so frisch, und das Gehen ist die reine Medizin. Er atmet tief ein:

„I feel like paradise.“

 

Graue Streifen am Horizont kündigen den nächsten Schauer an. Es dunkelt bereits. Bei einem stockbetrunkenen Wassermüller hoffen sie auf Unterschlupf. Der hält sie für eine Halluzination und brüllt:

„Black moet je dragen! Deze kleur is ontzag voor de Heer. Wat je dragt, is de kleur van de duivel!“

So jagt er sie vom Hof in die nasse Nacht und lässt die Hunde los.

 

„Lonely, so lonely“, stöhnt Emmet, während sie versuchen, sich in einer kalten Scheune ohne Stroh oder Heu ein Bett zu schaffen. Schon vor dem Morgengrauen machen sie sich auf den Weg zu der Stadt – es war zu kalt, um schlafen zu können. Eigenartigerweise sind schon um diese frühe Stunde viele Menschen unterwegs, alle schwarz gekleidet.

 

Mit ihrer bunten Kleidung fallen sie auf. Man dreht sich um nach ihnen und ganz schnell wieder weg, sie sind wie aussätzig. Ein verstohlenes Raunen ist unüberhörbar: Jan van Oldenbarnevelt, der soll heute geköpft werden „vanwege de politiek“. Mühsam mogeln sie sich aus der Mitte des Menschenstromes an deren Rand.

 

„Bent je gek! Weg je gaan van dar, maar snel. Eigentlijk is gesloten, te veel zwarte mensen“, zieht sie eine Wirtin mit freizügig entblößtem Busen hastig in eine leere Gaststube und knallt die Tür hinter ihnen zu. Die niedrige Balkendecke ist dunkel vom Rauch des offenen Kamins, der sogar um diese frühe Stunde mit einem dicken Kloben den Raum wärmt. Gardinen gibt es nicht.

„Sit je da beneeden“, drängt sie Marty und Emmet an einen Tisch, der von draußen nicht gesehen werden kann.

„Alles moet de zwarten controleren“, schimpft sie und holt Bier, Schwarzbrot, Butter, Speck und Gouda.

„Mijn naam is Griet. Blijft je daar, eet en drink“, befiehlt sie, schlägt ein schwarzes Umschlagtuch um Kopf und Schultern und verschwindet in der düsteren Masse.

Das lassen sich Emmet und Marty nicht zweimal sagen. Sie essen und trinken mit größtem Vergnügen, bis der Prof sich zurücklehnt und rülpst: „This is not America“.

 

Außerordentlich schnell kommt Griet mit einem schwarz verhüllten, sehr dünnen, pickligen Jüngling zurück, der sogar geringe Kenntnisse der englischen Sprache hat.

„Dat is een student van de fals theologie, ook en Jan. Met de kan je praten, en hij zal je helpen“, stellt sie ihn vor, und höchstpersönlich füllt sie den Bierkrug erneut.

 

„Help, we need somebody“, findet der Professor endlich einen Anhaltspunkt. Help, kar, water versteht Jan sofort. Probleme gibt es mit „modder“ bzw. „moeder“. Nein, nicht die Mutter sitzt im Dreck, sondern das kar. Bevor Jan sich auf seinen gefährlichen Weg begibt, bekommt er klare Aufträge von Griet: Zwei Ochsen, ein Joch, Zaumzeug, Seile, Holzschuhe und vor allem schwarze Kleidung.

„Lantaarns hebt wijzelf“, schneidet sie ihm jedes Aber ab.

 

Allein mit Emmet und Marty gönnt auch sie sich jetzt einen großen Humpen Bier und entrüstet sich mit gedämpfter Stimme: „Geen goede dag vandaag en den haag. En al vanwege de religie, de verdoemde calvinisme! Geen kleur – geen genoegen – geen verkoop! Ik will hier niet blijven.“ Beide Männer schlafen unbestimmt nickend auf der harten Holzbank ein. Zu kalt war die Nacht und zu deftig das Essen.

 

Griet schimpft unermüdlich weiter über die „verdoemde religie en politiek“, über Remonstranten und Contraremonstranten, über Johan van Oldenbarnevelt und Mauritz van Oranje. Am meisten aber über Jan Calvin, der das schwarze Übel in die Welt gebracht hat. Dann schläft auch sie ein.

 

„Ik heb Kleren voor je“, weckt Jan sie viel zu früh und breitet die schwarze Pracht aus. Dann bespricht er sich lange und heimlich mit der Wirtin.

„This is not America“, flüstert Emmet erneut.

Jan nickt heftig: „Ja. Nederland. Neem ze met mee! Dat is‘ keen Blijven hier!“

Auch Griet will lieber in der Neuen Welt leben: Keine Farbe, keine Freude, kein Verdienst.

 

Heimlich schleichen sich die Vier im Dunkeln aus der Stadt. Die schwarze Kleidung ist hierfür genau richtig. Das Joch für das Gespann hat der Knecht, wie verabredet, auf dem Hof vergessen, und die zwei Ochsen brummen nur schlaftrunken, als sie zur Nachtarbeit aus dem ebenso zufälligerweise unverschlossenen Stall geholt werden.

 

Mühsam ziehen sie den DeLorian aus dem Dreck auf einen halbwegs fahrbaren Weg und nehmen ihre Plätze ein. Griet und Jan nach gutem Zureden auf den zwei hinteren Sitzen; Griet hätte zu gern vorn gesessen.

 

Der Professor startet den Motor. Ja, er springt ohne Probleme an. Emmet drückt die „Home“-Taste. Funkensprühend und modderspritzend prescht der flache Wagen den Ackerweg entlang und hebt mit einer weiten Kurve ab. Zieldatum 16.05.2016, Zielort: San Francisco, Kalifornien, USA.

 

„Home, sweet home“, brüllt Emmet, während Griet laut kreischt. Sie hat das Gefühl, ihr Magen sei noch in Den Haag, wohingegen ihr Busen aus dem Dekolletee quellen will. Der dünne Jan ist auffallend blass und schweigsam. Marty reicht ihm eine Plastiktüte, Erfrischungs- und Papiertaschentücher. Während einer abrupten Linkskurve abwärts begreift Jan, wofür diese Gegenstände gedacht sind. Griet kreischt noch immer und verpasst ihm eine Kopfnuss wegen des Gestanks. Das riesige, bunte Lichtermeer unter ihr bringt sie endlich zu staunendem Verstummen.

 

Marty dreht sich zu den beiden um: „Tried to hitch a ride to San Francisco“.

Der DeLorian zieht eine weite Kurve und geht in einen starken Sink- und Bremsflug. Jan krallt sich am Sitz fest, Mageninhalt hat er nicht mehr.

 

Immer näher düsen sie der Stadt entgegen, Emmet brüllt lauthals: „California Dreamin“, Marty stimmt ein und nach kurzer Zeit auch Griet, zumindest lautmalend. Nur Jan bleibt still und würgt.

 

Ein kleiner Aufsetzer, Funken sprühen, dann steht der DeLorian.

„We’re back again“, triumphiert Emmet, und Marty drückt den Türöffner. Schnell raus aus dem Gestank. Endlich können sie die schwarze Verkleidung abwerfen, nur für Jan findet sich nichts Passendes.

 

„The times they are a changin‘“, holt Marty erleichtert tief Luft.

 

 

Version 3