Von Antonia Ivanic
Wahnsinn, was für ein Anblick. Das türkis glitzernde Meereswasser ergießt sich, begleitet von einem leisen Rauschen, in kleinen Wellen über den feinen Sandstrand.
Ich sehe zufrieden an mir herunter. Meine Haut glänzt bronzefarben im Schein der warmen Sonnenstrahlen und das tägliche Schwimmen hat mir einen jugendlich straffen Körper beschert. Lange habe ich mich nicht mehr so attraktiv und lebendig gefühlt. Ich streiche mir eine meiner aufgehellten Strähnen aus dem Gesicht und rücke meine teure Sonnenbrille zurecht.
Und während ich mit lässig überkreuzten Beinen auf meinem Bambushocker sitze und mir an der Strandbar noch einen leckeren Cocktail bestelle, wandern meine Gedanken zurück zu diesem Abend; dem Abend, der alles verändert hat.
„…und die Zusatzzahl ist die Neun.“ „Neun, Neun!“, hämmerte es in meinem Kopf, „oh mein Gott, wir haben gewonnen! Wir haben eine Million Euro gewonnen!“ Meine Hände fingen unkontrolliert an zu zittern. Sofort sprang ich auf, um zum Telefon zu rennen. Ich musste Georg Bescheid sagen. Mist, das Handy war aus. Das Meeting, ja richtig, er hatte doch heute dieses wichtige Meeting. Ich würde wohl warten müssen, bis er nach Hause kommt. Ich musste mich beruhigen. Also goss ich mir erst einmal ein Gläschen Schnaps ein. Bah, was für ein Teufelszeug. Alkohol mochte ich noch nie sonderlich. Oder sollte ich ihn nicht mögen? Nein, es gehörte sich für eine Frau nicht, Alkohol zu trinken. Das sagte Georg jedenfalls immer. Egal, er war gerade nicht da. Das Telefon klingelte.
„Ja hallo?“
„Hier auch: Ja hallo! Um Himmels Willen Nina, melde dich doch anständig!“
„Entschuldige bitte Rosemarie. Ich bin nur gerade etwas durcheinander.“
„Ist etwas passiert?“
„Es ist nur, Georg und ich …“
Sie unterbrach mich. Wie immer interessierte es meine liebe Schwiegermutter kein Stück, was ich zu sagen hatte.
„Hör zu Nina. Sag Georg bitte, er soll mich sofort anrufen, wenn er von der Arbeit kommt. Er muss sich unbedingt darum kümmern, dass ich einen Platz in dieser neuen Seniorenresidenz bekomme. Die liebe Helga sagt, es sei einfach herrlich dort. Ein eigener Park, geschmackvoll eingerichtete Einzelzimmer und eine überaus kompetente Betreuung.“
Jetzt unterbrach ich sie: „Natürlich, ich sage ihm Bescheid.“
Ich legte einfach auf. Was dachte sich diese alte Schreckschraube eigentlich? Dass wir in Geld schwimmen? Hatte die gute Frau überhaupt eine Vorstellung davon, was ein Platz in diesem Luxusaltenheim monatlich kostet? Ich goss mir noch einen Schnaps ein und ging zurück ins Wohnzimmer. Sicherheitshalber musste ich noch einmal die Zahlen kontrollieren. Ja, Volltreffer. Wir hatten tatsächlich gewonnen. Es klingelte an der Tür. Was denn nun schon wieder. Ich fühlte mich schon ein wenig benommen, marschierte aber geraden Schrittes zur Eingangstüre.
„Hallo Nina!“ Roberta schob sich ohne meinen Gruß abzuwarten an mir vorbei.
„Ist Georg schon da?“
„Nein.“
„Wann kommt er?“
„Ich weiß es nicht. Er hat heute ein wichtiges Meeting.“
Sie breitete theatralisch ihre Arme aus. „Du musst ihm sagen, dass ich ihn ganz dringend brauche. Wir haben doch dieses schicke Reihenhaus gefunden. Die Bank gibt uns aber keinen Kredit. Angeblich hätten wir nicht genug Eigenkapital. Ach, was erzähle ich dir überhaupt davon. Sag Georg einfach, dass er sich unbedingt noch heute Abend bei mir melden muss.“
So wie sie hereingeschneit gekommen war, so rauschte sie auch wieder an mir vorbei und verschwand. Ich schlug die Türe zu. Natürlich, das liebe Schwesternlein brauchte mal wieder Geld. Und wer sollte es beschaffen? Na klar, ihr Bruder. Wir haben es doch. Ich setzte mich wieder vor den Fernseher. Irgend eine Doku. Geld, so viel Geld. Ich konnte es immer noch nicht fassen. Erst 19.00 Uhr. Es konnte noch dauern, bis Georg nach Hause kommen würde. Ich dachte darüber nach, wie er wohl reagieren wird und klatschte unbewusst in die Hände. Er wird sich endlich dieses Auto kaufen, einen Lamborghini. Er hatte schon immer davon geträumt. Ich konnte seine Vorliebe für teure Autos nicht teilen. Aber zuerst wird er natürlich seiner Schwester Geld geben. Wie so oft schon. Vielleicht wird er ihr auch einfach dieses Reihenhaus schenken. Oder ein noch viel schöneres und größeres. Er hatte immer schon eine Schwäche für seine jüngere Schwester. Und Rosemarie wird natürlich einen Platz in dieser edlen Seniorenresidenz bekommen. Oder besser noch, Georg wird ihr eine schicke altengerechte Eigentumswohnung kaufen und sie rund um die Uhr von privaten Pflegekräften betreuen lassen. Sicher wird er das tun. Er liebte seine Mutter abgöttisch. Und dieses alte Monster wird bestimmt nichts dagegen haben. Sie wird alles dafür tun, damit das Geld bloß nicht für irgendeinen unnützen Kram vergeudet wird, den ich mir wünsche. Meine Wünsche fand sie schon immer unangebracht. Überhaupt konnte sie mich von Anfang an nicht leiden.
Nach einem weiteren Schnaps kam mir der Gedanke, Georg nichts vom Lottogewinn zu erzählen. Aber dann würde ich mir nichts anmerken lassen dürfen. Konnte ich das? Wollte ich eine Million auf dem Konto liegen haben und mir nichts gönnen dürfen? Und konnte ich wirklich Georg so etwas verheimlichen? Wir hatten doch nie Geheimnisse voreinander. Na gut, bis auf dieses eine Mal. Aber das war schon über zwei Jahre her. Hübsch war sie schon, diese Lea, seine Sekretärin. Sie habe einen schwachen Moment ausgenutzt, hat er später gesagt. Später, als ich ihm ganz zufällig auf die Schliche gekommen war. Er habe auf der Betriebsfeier eben ein wenig zu viel getrunken und wir beide hatten uns kurz vorher gestritten, da sei es passiert. Nicht der Rede wert. Es hatte nicht zu bedeuten, das musste ich ihm glauben und ich könne doch wegen so einer Lappalie nicht alles wegschmeißen. Habe ich nicht. Und es ist auch nie wieder etwas Ähnliches passiert. Glaubte ich. Obwohl, diese vielen Überstunden, die Geschäftsreisen, die Abende mit seinen Kumpels und sein Sport … Ja, der war ihm ganz besonders wichtig. Wichtiger als ich. Eigentlich war ihm doch alles wichtiger als ich. Ich beschloss ins Bett zu gehen. Es wurde eine unruhige Nacht.
„Mein lieber Georg,
ich habe beschlossen, dich zu verlassen. Suche bitte nicht nach mir. Ich kann die Sache mit Lea einfach nicht vergessen. Es ist zu viel kaputt gegangen. Ich werde dir nie wieder vertrauen können. Es ist besser, wenn wir getrennte Wege gehen. Ich wünsche dir alles erdenklich Gute.
Deine dich liebende Nina“
Ich muss grinsen. Mein Abschiedsbrief ist ein wahres Meisterstück. Zu gern hätte ich Georgs Gesicht gesehen, als er ihn gelesen hat. Nur leider saß ich schon im Flieger.
„Lady? Bitte schön, ihr Cocktail.“
Ich erhebe das Glas mit dem fruchtigen Inhalt, aus dem frech ein grüner Strohalm und ein buntes Schirmchen ragen, und proste den Wellen zu.
„Auf dein Wohl mein Schatz!“