Von Mahdis Najafi Mofidi
Der Regen prasselte mir ins Gesicht. Durch die Kälte konnte ich den Hauch meines Atems sehen. Der Herbst konnte in Amrum auf der Nordsee Insel sehr kalt werden. Ich dachte, dass es nicht besonders klug wäre, alleine im Wald zu joggen und musste zugeben, dass der neue Waldweg mir Angst machte. Was musste ich auch rechts abbiegen, hätt ich doch den gewohnten Weg genommen! Naja, nur noch paar Meter, dann habe ich es geschafft. Meine Motivation siegte über die Angst. Plötzlich hörte ich ein Bellen und drehte mich beim Joggen reflexartig um, in diesem Augenblick stolperte ich über etwas und fiel mehrere Meter nach vorne. „Scheiße“ schrie ich! Ich war überall mit Matsch voll und meine Hände waren blutig aufgeschrammt. Was war das denn? Ich ging ein paar Schritte zurück, um mir das verantwortliche Ding anzusehen, das mich zum Sturz brachte. Eine schwarze Kante aus Leder schaute aus dem Boden. Ich grub und zog es heraus – ein schwarzer Aktenkoffer. Seltsam dachte ich und drückte auf die Knöpfe – Klick! Als ich den Deckel aufklappte, blieb mir die Luft weg – Oh mein Gott! So viel Geld. Mein Herz raste. Oben klebte ein handgeschriebener Zettel: „Bitte geben Sie mir meine Tochter zurück, Michael Trautmann“. Ich spürte eine Gestalt hinter mir und drehte mich schnell um. Doch da war nichts. Ohne groß zu überlegen packte ich den Koffer und lief so schnell ich konnte. Mensch war ich glücklich, dass ich mit dem Auto am Waldrand geparkt hatte. Ich schmiss den Aktenkoffer hinten auf dem Sitz und fuhr los. Der Regen hatte nicht aufgehört und donnerte mir auf die Windschutzscheibe.
Zuhause angekommen legte ich den Koffer auf den Tisch und setzte mich auf den Stuhl. Während ich nervös an meine Fingernägel kaute, beobachtete ich den offenen Koffer 5 min lang. So viel Geld habe ich noch nie gesehen. Ich fing an zu zählen und konnte es kaum glauben – 1 Million Euro reicher!!! Was mach ich jetzt damit? Voller Glück sprang ich vom Stuhl, ging in meine kleine dunkle Mietwohnung hin und her und malte mir aus, was ich alles damit machen könnte. Als erstes kündige ich meinen schlecht bezahlten Job, wofür ich vor 2 Jahren hergezogen bin. Draußen wurde es dunkel und ich merkte wie mir langsam die Augen zufielen, die ganze Aufregung hat mich müde gemacht.
Am nächsten Morgen wurde ich von einer inneren Unruhe geweckt. Vorsichtig streckte ich mein Kopf aus der Bettdecke und blinzelte zum Wohnzimmer Richtung Tisch mit dem Aktenkoffer. Da lag er. Doch kein Traum! Nach dem Zustand des Koffers zu urteilen, muss es mindestens 10 -12 Jahre unter der Erde gelegen haben. Bestimmt sucht niemand mehr danach, soll ich trotzdem damit zur Polizei? Mein Gefühl sagt „Nein, warte“. Ich ging, wie jeden Morgen, zum Briefkasten, um meine Briefe abzuholen. Rechnungen, Rechnungen, Werbung und wieder Rechnungen. „Was für eine Überraschung“ murmelte ich. Als ich den Briefkasten schließen wollte, fiel mir ein kleiner Zettel auf, den ich übersehen hatte. Ich faltete es auf und las: „DU HAST ETWAS, WAS MIR GEHÖRT“! Ich ließ den Zettel fallen und schaute wie verrückt um mich herum.
Oben angekommen schloss ich schnell hinter mir die Haustür ab. Mist, was hat das zu bedeuten? Hat es was mit dem Aktenkoffer zu tun? Ist mir jemand gefolgt? Tausend Fragen schossen mir durch den Kopf. Plötzlich erinnerte ich mich an der Gestalt im Wald. Der stämmige Körper, den ich wahrgenommen hatte, musste ein Mann gewesen sein. Jemand hatte mich beobachtet und jetzt ist er hinter mir her. In diesem Augenblick klingelte das Telefon. Ich zuckte kurz zusammen und nahm den Hörer ab „Anna Schulz“ sagte ich leise … „Schatz ich bin’s Mama!“ „Oh Mama“ sagte ich laut mit einer freudigen Stimme und mein Herz machte einen Freudentanz. „Schatz geht es dir gut?“ fragte Sie mich nach einer Weile besorgt. Kurz hielt ich an und überlegte, ob ich ihr das erzählen soll. Dann sagte ich „Nein alles Okay Mama“. Bevor ich auflegte, sagte ich „Mama … sagt dir der Name Michael Trautmann etwas?“ Sie überlegte kurz „Ja ein wohlhabender Geschäftsmann aus der Gegend. Vor ungefähr 10 Jahren wurde seine Tochter entführt. Es wurden 1 Million Euro Lösegeld verlangt für die Freilassung, die er zahlte. Seine Tochter hat er trotzdem nie wieder gesehen. Ein Bildhübsches Mädchen, intelligent und sehr beliebt. Man hat die Schuhe des Mädchens im Teich gefunden, doch die Leiche wurde nie entdeckt. Die Suche wurde aufgegeben. Seitdem ist der Mann nicht mehr der Selbe. Eine sehr traurige Geschichte.“ „Danke, muss jetzt auflegen“ sagte ich aufgeregt. „Ich liebe dich, Mama.“ Ich setzte mich schnell an den Rechner und begann zu recherchieren. Schnell tippte ich die Wörter „Entführung“ … „Michael Trautmann“ … „Amrum“. Dann erschien der Zeitungsartikel, ein Foto eines 16-Jährigen bildhübschen Mädchens auf meinen Rechner. Blonde Haare, blaue Augen, trotz ihres süßen Lächelns wirkten Ihre Augen leer. Sie hieß Julia, Julia Trautmann.
Ergriffen druckte ich den Zeitungsartikel aus, steckte es mir in die Hosentasche und setzte mich ins Auto. Soll ich zur Polizei? Ja, Nein? Automatisch lenkten meine Hand nach links Richtung Wald. Wieso hat der Entführer das Geld vergraben? Das macht doch alles keinen Sinn. Je näher ich in den Wald fuhr, desto schneller klopfte mein Herz. Ich fuhr an die gleiche Stelle wo mein Auto gestern gestanden hat und entschied noch tiefer reinzufahren, bis ich nicht mehr weiterkam. Die Bäume wurden immer dichter und leichter Nebel machte sich breit. Plötzlich hörte ich wieder ein Bellen. Mein Herz fing wieder an stärker zu schlagen. Das Bellen war gedämpft und kam von hinter dem Hügel. Ich bin total bescheuert, sagte ich und stieg aus dem Auto. Langsam bewegte ich mich vorwärts und schob die Sträucher zur Seite, um voran zu kommen. Dann konnte ich aus der Ferne eine Hütte sehen. Rauch stieg aus dem Kamin, es war belebt. Ich ging noch näher ran. Das Bellen wurde immer lauter. Langsam nahm ich die Kontur eines Mannes wahr, der draußen vor der Hütte Holz hackte. Ein Hund sprang spielend herum. Ich ging näher und versuchte keinen Krach zu machen. Die Äste knisterten unter meine Füße. Die Tür zur Hütte öffnete sich, eine große schlanke Frau mit langen blonden Haaren kam mit einem großen Eimer heraus. Ihre Klamotten waren alt und schmutzig. Trotzdem war Sie sehr sinnlich und anmutig, einfach wunderschön. Schon aus der Ferne konnte man sehen, dass der Trottel gar nicht zu Ihr passte. So ein ungleiches Paar hatte ich noch nie gesehen. Wer war sie? In dem Augenblick sprangen zwei Kinder aus der Hütte und spielten mit dem Hund. Sie sind 5 und 9 Jahre alt. Einer ist blond und der Jüngere hat dunkelbraune Haare.
Sie schien wegzugehen und ich folgte Ihr einige Minuten. Ich sah wie sie sich einem Teich näherte. Ich ergriff die Gelegenheit und war dicht hinter ihr. Sie nahm den Eimer mit Wasser und drehte sich um. Ich stand vor ihr und starrte ihr ins Gesicht. Sie erschrak mit weit aufgerissene Augen und ließ den Eimer fallen. Meine Augen fingen an zu Leuchten, als ich in ihre blauen Augen schaute. Das gleiche Gesicht, wie auf dem Foto. Sie müsste jetzt ungefähr 26 Jahre alt sein. Ich sagte zu Ihr „Julia, Julia Trautmann? Bist du es?“ Sie zögerte zuerst. Dann sagte Sie „Ja“ und Tränen liefen Ihr die Wangen herunter. Sie kniete sich hin und weinte. Ich nahm ihre Hand und sagte zu ihr „Komm schnell wir müssen hier weg!“ Doch Sie sagte mit zittriger Stimme „Ich kann hier nicht weg. Er wird meine Kinder umbringen, wenn ich weglaufe. Seit gestern ist er sehr nervös.“ Sie erzählte mir die ganze Geschichte, wie alles geschah.
Als einzige Tochter einer wohlhabenden Familie war ihr Leben von ihren Eltern bestimmt. Ihr Vater liebte Sie abgöttisch und kontrollierte Sie ständig. Sie hielt es nicht mehr aus und wollte nur raus aus dem Kaff. Und durch Zufall hat sie Goerge kennengelernt. Viel älter, nett, durchschnittliches Aussehen, frei und ungebunden. Er war von Ihrer Schönheit begeistert und besessen. Sie war jung und naiv. Er erzählte ihr von der weiten Welt und dass er sie hier rausholt. Sie empfand keine Liebe für Ihn, sondern vertraute ihm einfach als Freund. Er sorgte für alles, damit es wie eine Entführung aussah. Lösegeld, die Schuhe im Teich, alles durchgeplant. Von dem Ganzem wusste Julia erstmal nichts. Sie sollte nur als Übergangsphase in die Hütte mitkommen, die später zu ihr Gefängnis wurde. Um das Geld ging es ihm nicht, dies hat er begraben. Ausgeben konnte er es eh nicht, sonst wäre er aufgeflogen. Nach einer Zeit merkte Julia, dass alles gelogen war. Sie versuchte immer wieder zu fliehen, jedoch ohne Erfolg. Wochen vergingen und sie wurde Schwanger. Danach konnte Sie es endgültig vergessen hier wegzukommen.
Wir hörten ein Bellen. Schnell nahm ich ihre Hand und versprach ihr „ich werde Dich hier raus holen“ und lief zurück zum Auto. Am nächsten Tag stand ich vor einer großen weißen Villa und klingelte bei „Melanie und Michael Trautmann“. Den Aktenkoffer hielt ich fest in der Hand. Ein großer, gutaussehender Mann mit leicht grauen Haaren öffnete die Tür. Er musste Mitte 50 sein, doch die Sorgen der Vergangenheit hatten Spuren auf seinem Gesicht hinterlassen und ließen ihm älter aussehen. „Hallo ich bin Anna Schulz. Ich habe etwas, das Ihnen gehört“ und hielt ihm den Aktenkoffer vor der Nase. „Darf ich reinkommen?“ Der Mann schaute mich ahnungslos an und sagte „Ja“.
Ich fing an, den beiden alles zu erzählen. Von A bis Z. Immer wieder fingen sie an zu weinen. Das Geld war mir inzwischen egal geworden. Mein Ziel bestand darin Julia zu befreien! Durch meine gute Ortsbeschreibung war die Befreiung keine große Sache. Ein paar Polizisten mit Spürhunden und Hubschrauber und die Sache war geritzt. Goerge leistete keinen Widerstand, als man ihm die Handschellen hinter dem Rücken legte. Als hätte er es erwartet. Glücklich beobachtete ich, wie die Familie sich in die Arme fiel. Wer braucht schon 1 Million Euro? Das ist doch viel mehr wert! „Gut gemacht Anna“ sagte ich zu mir stolz. In diesem Augenblick kam der Vater zu mir und sagte „Ich weiß nicht, wie ich Ihnen danken soll. Sie haben mir das Kostbarste zurückgebracht.“ Er ging zum Auto und kam mit dem schwarzen Aktenkoffer zurück. Er streckte es mir mit einem Lächeln entgegen „Ich bestehe darauf, bitte nehmen Sie es an.“