Von Monika Heil

»Hast du schon gehört? Emma ist tot. Einfach auf der Parkbank am Dorfteich eingeschlafen und nicht wieder aufgewacht.«

»Ja. Traurig, oder?«

»Finde ich nicht. Ein schöner Tod für den Betroffenen. Schließlich war sie ja schon hundertundzwei. Stell dir vor, sie wäre in ihrem Bett gestorben. Wer weiß, wann man sie gefunden hätte.«

»Auch wieder wahr. Ich war gestern Abend noch mit dem Pfarrer in ihrem Haus. Alles zwar picobello aufgeräumt, aber Staub wurde da eindeutig lange nicht gewischt.«

»Typisch Emma.«

»Auf dem Nachttisch lag ein Testament voller Flusen. Das liegt jetzt mit den Haustürschlüsseln dort im Safe.« Bürgermeister Hansen weist auf den Tresor hinter seinem Schreibtisch.

»Hättest du die Tür nicht versiegeln müssen?«

»Theoretisch schon. Aber irgendwer muss ja nochmal rein, ein Sterbekleid holen oder so. Frag mal die Pietät, was man da so braucht. Das Versiegeln hat Zeit. Wer soll bei der schon was klauen?«

»Ist auch wieder wahr«, murmelt die Gemeindesekretärin.

»Der Pfarrer kümmert sich um die Beerdigung. Da ich als Bürgermeister auch Ortsgerichtsvorsteher bin, sollte ich für das Nachlassgericht nach Erben suchen und die gegebenenfalls benachrichtigen.«

»Emma hatte zwei Nichten«, sagt Frauke. »Das weiß ich von meiner Oma. Die war eng mit Emma befreundet. ´Die verrückten Zwillinge` nannte man sie. ´Sind beide gleich` zischt Oma stets, wenn die Sprache auf sie kommt. Irgendwas ist da mal vorgefallen. Ich glaube, die eine hat sich mal an Opa rangemacht. Oder so.«

»Das muss doch mindestens fünfzig Jahre her sein, oder? Wie alt sind die denn?«

»So alt wie meine Mutter, denke ich, also Anfang Siebzig. Waren die Töchter von Emmas verstorbener Schwester Jule. Vor der Wende haben sie ihre Tante oft besucht. Danach nie mehr, sagt Oma. ´Ist auch besser so`, knurrt sie jedes Mal, wenn die Rede darauf kommt. ´Ich habe einen langen Atem. Meine Rache hat Zeit`, hat sie mal zu mir gesagt. Keine Ahnung, was das bedeutet.«

»Weiß sie, wo die heute wohnen?«

»Ja, irgendwo im Alten Land. Ich rufe sie gleich an. Wahrscheinlich weiß Oma noch gar nicht, dass Emma tot ist.«

 

Das Telefonat verläuft überraschend kurz.

»Entschuldige, Bürgermeister, die Nachricht hat Oma ziemlich getroffen. Ihr ist ganz schwindelig sagt sie und sie findet ihre Tropfen nicht. Ich fahre schnell mal rüber. Bin bald wieder da.« Hastig verlässt Frauke das Büro. Das Gespräch mit ihrer Großmutter dauert dann doch länger als gedacht. Danach geht es der alten Frau wieder besser.

 

»Die Müller-Zwillinge wohnen in Stade im Alten Land und sollen von der Fürsorge leben, sagt Oma. Pitter Lang hat sie mal zufällig getroffen, als er mit den Landfrauen einen Ausflug dorthin machte.«

»Was macht Pitter Lang bei den Landfrauen?«, wundert sich der Bürgermeister.

»Der ist doch Busfahrer.«

»Ach so. Such´ mal die Telefonnummer raus. Ich rufe sie an und bringe ihnen die traurige Nachricht schonend bei.«

»Und sag ihnen, dass sie wahrscheinlich das Haus erben. Das ist dann die gute Nachricht, wenn die von Sozialhilfe leben«, überlegt Frauke laut.

»Und dann?«, stöhnt der Bürgermeister. »Wenn die hierher ziehen, haben wir noch zwei Mittellose am Bein.«

»Sie können es ja verkaufen.«

»Die Hütte ist doch nix wert und das Grundstück auch nicht. Wer will denn hier in unserem kleinen Dorf noch wohnen?«

Frauke schiebt ihm die Telefonnummer hin. »Ja, ich werd´ ihnen sagen, wie´s ist«, murmelt er und wartet auf das Freizeichen.

»Müller.«

 

Eine Viertelstunde später legt Elvira Müller den Hörer auf.

»Wer war das?«

»Der Bürgermeister von diesem Kaff in Meckpo. Tante Emma ist tot.«

»Gott hab´ sie selig. Wie alt war die?«

»Hundertundzwei.«

»Fahren wir zur Beerdigung?«

»Wohl kaum. Wovon sollen wir – bitte schön – die Fahrkarte bezahlen? Das habe ich den Bürgermeister auch gefragt.«

»Und?«

»Niente. Keine Fahrkarte aber ihr Haus erben wir wahrscheinlich. Sind ja die einzigen Verwandten.«

»Um Himmels willen, die alte Kate? Da ist seit hundert Jahren nichts mehr gemacht worden, hat noch Kohleheizung. Und die alten Möbel brauchen wir nicht. Olle Möbel haben wir selbst. Verkaufen kannst du das Zeugs heutzutage auch nicht mehr. Will doch keiner, so´n alten Kram. Nee Frieda, davon könnten wir ja nicht mal die Beerdigung zahlen. Erinnerst du dich an die grauseligen Heiligendrucke in den billigen Holzrahmen? Willst du dir die übers Bett hängen?« Elvira schüttelt sich. »Vor denen hatte ich schon als kleines Kind immer Angst.«

»Hast ja Recht. Also wieder ein Kapitel abgeschlossen.«

 

Für den Bürgermeister ist das Thema Nichten und Haus schnell klar.

»Setz´ bitte einen Brief an diese Schwestern Frieda und Elvira Müller auf«, weist er Frauke an. »Die wohnen zusammen, haben also dieselbe Adresse. Bezug auf das Telefonat, Beileid, pipapo und prophylaktisch die Verzichtserklärung für das Nachlassgericht. Und geht das Haus doch an die Gemeinde, bestellen wir den Entrümpler und haben noch einen Leerstand mehr.«

»Was machen wir mit Emmas Katze?«, fragt Frauke.

»Ach, die hat sich von ihrer Nachbarin, der Margot Gerster, schon vor mindestens einem Jahr zwangsadoptieren lassen. Emma hat das Vieh zwar geliebt, aber in letzter Zeit nicht mehr gefüttert. Margot wird Mila sicher behalten.«

 

Die Beerdigung findet vierzehn Tage später statt. Jeder im Dorf hat die alte Frau gekannt. Fast alle sind gekommen. Nur ihre beiden einzigen Verwandten nicht. Pfarrer Lorenz spricht rührend und salbungsvoll.

 

Fraukes Oma humpelt mit Hilfe ihres Rollators am nächsten Tag allein zum Friedhof. Schwer atmend steht sie vor dem frischen Grab.

»Ach Emma, du kannst ja nichts dafür. Und dir bin ich auch nicht böse. Aber dass die beiden Gören meinen Otto derart in Versuchung geführt haben und wir uns beinahe hätten scheiden lassen, das kann ich ihnen nicht verzeihen. Gut, dass sie nicht bei deiner Beerdigung waren. Ich hätte ihnen den Marsch geblasen, glaub´ mir. Ach Emma, wir waren doch Freundinnen, haben uns alles erzählt. Warum hast du das damals nicht verhindert? Ich habe deine Eskapade mit dem Gutsbesitzer aus Ostpreußen ja auch nie an die große Glocke gehängt. Und euer großes Geheimnis um seine Geschenke habe ich auch niemanden verraten. Doch, entschuldige Emma, Frauke weiß es jetzt. Das musst du verstehen, das ist meine Rache an den Zwillingen. Mach´s gut Emma, ich komme bald nach. Versprochen.«

Die alte Frau bekreuzigt sich und verlässt langsam den Friedhof. Dass sie nur eine Woche später selbst das Zeitliche segnen wird, kann sie nicht ahnen.

 

Die Testamentseröffnung findet im Büro des Bürgermeisters statt. Frauke Mai führt Protokoll, Pfarrer Roth fungiert als Zeuge.

 

»Mein Haus soll derjenige bekommen, der sich meiner Katze Mila annimmt. Ich hoffe, das wird die liebe Margot sein. Möbel, Hausrat und die beiden Heiligenbilder bekommen meine Nichten Frieda und Elvira. Sie haben die Bilder schon als Kinder immer bewundert. Und dem Pfarrer vermache ich für einen guten Zweck das gesamte Bargeld, das ich besitze.«

»105 Euro und dreißig Cent«, murmelt Pfarrer Roth.

»Der Bürgermeister hat mir mal gesagt, ich solle mir keine Sorgen um meinen Tod machen. Die Gemeinde würde meine Beerdigung bezahlen. Also soll er es auch tun.«

 

»Wie geht es nun mit Emmas Haus weiter?«, fragt Frauke den Bürgermeister Wochen später bei ihrer Dienstbesprechung.

»Na ja, wie wohl? Margot hat das Erbe auch ausgeschlagen. Ich kann es ihr nicht verdenken. Sie behält aber Mila. Die beiden Schwestern, also Emmas Nichten, haben die Erbverzichtserklärung geschickt und damit fällt das Haus an die Gemeinde. Ich werde einen Haushaltsauflöser bestellen.«

»Darum kümmere ich mich gern«, bietet Frauke an. »Gernot Loose erledigt das schnell und preiswert.«

»Danke, das ist gut. Und hör dich mal um, ob jemand jemanden kennt, der Haus und Grundstück will.«

»Mach´ ich. Aber ich befürchte, hier am A… der Welt wohl kaum.«

Einvernehmliches Seufzen hängt im Raum.

Während der Bürgermeister zur Gemeinderatssitzung geht, holt sich Frauke den Schlüssel zu Emmas Haus aus dem Safe. Sie hat versprochen, eine Bestandsaufnahme des Inventars durchzuführen, damit der Gernot eine Vorstellung bekommt, was ihn erwartet.                                       

                        ***

Ein paar Monate später steht Frauke in ihrem Hotelzimmer in London und kann nicht fassen, dass bis jetzt alles derart reibungslos geklappt hat. Gernot hat ihr die beiden Bilder ganz billig verkauft. Für eine Nacht mit ihm waren sie fast geschenkt. Der Bürgermeister war über ihre Kündigung ziemlich überrascht.

»Jetzt, wo Oma tot ist, hält mich hier nichts mehr. Ich ziehe zu meiner Mutter nach Köln«, hatte sie ihm erklärt und das konnte er letztendlich verstehen. »Bald ist unser Dorf entvölkert«, seufzte er theatralisch.

 

Sie wirft einen letzten Blick in den Spiegel und verlässt beschwingt das Hotel in Richtung Auktionshaus.

 

                        ***

»Zum Aufruf kommen Los Nr. 103 und 104 zwei Heilige –  der Schule Rafaelle Sanzios Anfang 15. Jahrhundert zugeordnet – zum Gebot von jeweils 250 Tausend Euro.«

Verstohlen schaut sich Frauke um.

»250 Tausend sind geboten. – 280 Tausend – 300 Tausend – 500 Tausend Euro zum ersten, zum zweiten und zum Dritten. Und nun zu dem zweiten Engel, gleiches Anfangsgebot. Wer bietet mehr?«

 

Eine Millionen Euro reicher! Frauke läuft aufgeregt zurück in ihr Hotel. Eine Million. Was man damit alles anfangen kann. Sie zieht ihr Handy aus der Tasche.

»Frauke Mai. Ich rufe wegen der Villa Breezy Palms an. Ja, ich bin definitiv interessiert. Wenn Sie den Kaufvertrag schon mal vorbereiten. Ich werde für Dienstag den Flug, Ankunft 12.15 Uhr buchen. Passt Ihnen 15.00 Uhr? – Wie schön. Bis dann.«

 

Noch einmal greift sie in ihre Tasche und zieht zwei gerollte dünne Drucke heraus, die sie wie einen Talisman seit Wochen bei sich trägt. Es war leicht gewesen, sie aus dem billigen Rahmen zu lösen und so die heute Morgen versteigerten Bilder freizulegen. Die Drucke hat sie mit der Adresse der ´verrückten Schwestern` beschriftet.

»Ein letzter Gruß« steht auf einem kleinen Zettel und

die Rezeption ist gern bereit, den Postversand für Frauke zu übernehmen.

 

Version 2