Von Dörte Schmidt
Eine Million? Das kann nicht sein. Ich habe doch keine Drogen genommen, und auch keinen Alkohol getrunken. Da steht’s aber – eine Million. Ganz unmöglich. Wie kommen eine Million Euro auf mein Konto?
Also mal angenommen, das wäre wirklich wahr, was mache ich denn da jetzt? Vielleicht ist der Bank ein Fehler unterlaufen? Sicher mache ich mich strafbar, wenn ich das nicht melde. Aber was wäre, wenn keiner bemerken würde, dass das Geld auf meinem Konto gelandet ist? Gebrauchen könnte ich es ja schon.
Ach, eine Million. Was könnte man damit nicht alles anstellen? Wenn Leute gefragt werden: „Was würden sie machen, wenn Sie eine Million gewinnen?“, dann haben sie meist eine Antwort parat. Ich habe mich das noch nie gefragt. Sonst ärgere ich mich am Ende doch nur, wenn mir klar wird, was ich alles ohne eine Million Euro nicht anstellen kann.
Aber jetzt? Da steht es. Schwarz auf weiß. Eine Million – eins null null null null null null. Verrückt. So viel Geld. Ich kann mir gar nicht vorstellen, wieviel das in Scheinen ist. Ein schöner schwarzer Aktenkoffer voll – so wie im Krimi? Und das gehört jetzt alles mir? Vielleicht merkt es ja wirklich keiner – dann könnte ich damit … Ja, was könnte ich dann?
Als erstes würde ich mal so richtig shoppen gehen, bis ich nicht mehr kann. Mal so richtig – ohne Limit. Ich würde alles kaufen was mir gefällt, ob ich’s brauche oder nicht.
Und dann fein essen gehen. Mit den schicken neuen Klamotten. Da könnte ich vorher eigentlich auch direkt noch zum Frisör und einmal das volle Programm nehmen – Färben, Haarkur, Kopfmassage … Genau. Also mal so richtig auf die Kacke hauen.
Ein Auto würde ich mir eher nicht kaufen. Mir reicht eigentlich mein kleiner Peugeot. Warum wollen alle Leute nur immer ein neues großes Auto? Damit lässt sich schlecht einparken, und es kostet viel mehr Steuern.
Und ein Haus? Wollen ja auch immer alle Leute. Eine neue Wohnung vielleicht. Eine schöne, große Wohnung mit viel Komfort – Fußbodenheizung, Einbauküche, Kamin. Das wäre schon was. Aber das kostet über die Zeit auch sein Geld.
Wie lange reichen eine Million überhaupt? Irgendwann ist die doch bestimmt genauso aufgebraucht, wie mein Gehalt an jedem Monatsende.
Jetzt mal nur rein rechnerisch. Wenn, sagen wir, ein Brot drei Euro kostet, dann entspricht mein Monatslohn ungefähr 600 Broten. Und eine Million? Warte Mal. Eine Million durch drei – dafür bekommt man 333.333,33 Brote. Aha. Naja. Soviel Brote brauche ich im Leben nicht.
Mal anders gedacht – angenommen meine neue Wohnung kostet 1.000 Euro Miete oder sagen wir 2.000, ich möchte ja eine richtig moderne Wohnung in einem tollen Architektenbau, dann kann ich 500 Monate darin wohnen – das sind 41 Jahre. Dann ist die Million alle. Jetzt bin ich 31. Mit 72 wäre ich also wieder obdachlos. Auch doof.
Ich könnte ebensogut in meiner mickrigen Wohnung bleiben und die Miete weiterhin von meinem Gehalt bezahlen, dann hätte ich wenigstens die ganze Million für andere Dinge.
Ich könnte zum Beispiel verreisen. So eine richtig lange, weite Weltreise. Das wäre toll. In dem Fall könnte ich auch glatt meinen Job und meine Wohnung aufgeben. Aber bis zur Rente reisen? Non stop? Da brauche ich doch auch so Einiges an Pinke. Unterkünfte, Fahrkarten, Flugtickets, Essen … Vielleicht habe ich irgendwann auch keine Lust mehr, dann brauche ich das Geld wieder für Miete und muss arbeiten wie vorher. Oder ich lerne unterwegs einen Mann kennen, der nicht mitreisen will, sondern lieber ein Haus und Auto will? Womöglich hat er’s nur auf mein Geld abgesehen, lässt mich alles zahlen und legt sich auf die faule Haut. Nicht mit mir!
Ich will mein Geld ausgeben, wofür ich will. Ich möchte Spaß haben, nicht mehr bei allem so rumknausern müssen wie bisher, wo das Geld hinten und vorne nie richtig reicht. Wo ich immer Äpfel kaufe, obwohl ich lieber Mangos möchte. Ich will das kaufen, was mir gefällt – keine Handtasche von Zara mehr, sondern von Gucci, kein Bed&Breakfast, sondern 5 Sterne-Hotel. Nicht mehr aufs Geld gucken. Ach, ja – das wäre schön.
Aber was mach ich nun mit der Million? Ich kann mir das Geld ja nicht einfach auszahlen lassen. Das könnte auffallen. Wenn ich das Geld allerdings in kleineren Summen hole, werde ich nie fertig. Ach, ich zahle einfach nur noch mit Karte. Da sieht ja niemand, wie prall mein „virtuelles Portemonnaie“ gefüllt ist. Und wenn ich schicke neue Klamotten trage, wundert sich auch keiner über mein Kaufverhalten. Da bemerkt gar keiner, dass ich plötzlich reich bin.
Aber halt. Der Hausstätter würde was auffallen. Wenn auf einmal Möbelwagen vorfahren und Möbelträger riesige Kisten in meine Wohnung im dritten Stock tragen würden – vorbei an ihrer Tür, da würde sie misstrauisch werden. Die Hausstätter hält doch bei jeder kleinsten Bewegung im Haus ihre Nase in den Flur, damit ihr ja nichts entgeht. Sobald sie etwas „Verdächtiges“ hört, ist sie zu sehen und tut, als müsste sie zum Briefkasten oder den Müll rausbringen. Und dann verwickelt sie einen in ein Gespräch und haste nicht gesehen, weiß sie über alles Bescheid.
Nicht mal Hertha, meine Schildkröte, konnte ich im durchlöcherten Karton unbemerkt in meine Wohnung schaffen, obwohl ich wirklich versucht habe, die Stufen ganz leise hochzusteigen. Just als ich ihre Wohnungstür mit dem gefährlichen, kleinen Spion passiert hatte, öffnete sich diese – und Erika Hausstätter hatte mich in ihren Fängen. Ich war ihr im Hausflur, den braunen Karton mit Hertha in den Händen, ausgeliefert und musste mich schließlich irgendwann belehren lassen, dass eine Schildkröte 100 Jahre alt wird, und Hertha mich daher lange überleben wird. Ich musste Rede und Antwort stehen, ob ich mir denn schon Gedanken darüber gemacht habe, was nach meinem Tode aus dem Tier wird.
Also, das mit neuen Möbeln, Klamotten oder anderen teuren Anschaffungen ginge nicht. Erika Hausstätter würde sofort bemerken, wenn ich mit Geld um mich würfe. Es würde sich im Handumdrehen herumsprechen, und ich würde auffliegen. Eine Million. Das schöne Geld – es wäre futsch. Und was noch schlimmer wäre, ich müsste es bestimmt zurückzahlen und wäre damit den Rest meines Lebens beschäftigt.
Die Hausstätter darf unter keinen Umständen Wind von meinem unverhofften Reichtum bekommen. Ich muss es geschickter anstellen. Vielleicht sollte ich mir eine zweite Identität zulegen. Ich könnte einen Künstlernamen annehmen, mir ein kleines Appartement im Musikerviertel nehmen und ein Doppelleben führen. Ist ja irgendwie aufregend. Aber nein, viel zu umständlich und kostspielig.
Vielleicht sollte ich lieber einfach wegziehen – weg aus dem Haus, weg von der Hausstätter. Aber wie sollte ich ihr das dann erklären? Dass ich mal Lust auf was Neues hatte? Die weiß doch ganz genau, dass ich mir sogar diese Wohnung nur mit Ach und Krach leisten kann und nirgends eine günstigere finde.
Oder sollte ich lügen? Dass ich einen neuen Job angefangen habe? Doch dann wird’s gefährlich. Dann muss ich aufpassen, dass ich mich nicht verheddere. Nee. Das geht schief. Ich vergesse, was ich schon erzählt habe, und am Ende fliegt alles auf, weil die Hausstätter zufällig jemanden trifft, der was ganz anderes über mich weiß. Meine Eltern zum Beispiel.
Genau. Meine Eltern. Die würden überhaupt nicht verstehen wovon die Hausstätter spricht. Ich könnte ihnen allerdings von der Million erzählen und besser noch – einen anständigen Teil abgeben. Das haben sie echt verdient, haben ja auch nie genug Geld. Und meine Schwester und meine Oma, meine Tante und meine Nichte kriegen auch was. Ob das eine gute Idee ist? Nachher streiten alle noch, weil jeder glaubt, ihm stünde mehr zu. Und was soll ich ihnen sagen? Ich habe im Lotto gewonnen? Das glauben sie mir nie. Ich habe noch nie Lotto gespielt. Papa würde wahrscheinlich sogar darauf bestehen, dass ich das Geld zurückgebe. Er ist immer so korrekt.
Ich werde wohl erst einmal unauffällig weiterleben. So wie immer. Und dann gucke ich mal. Vielleicht gönne ich mir hier und da was außer der Reihe – eine Massage oder einen Last Minute Kurztrip ins Warme. Das kriegt keiner mit. Dann muss ich eben Sonnencreme mit Lichtschutzfaktor 50 mitnehmen. Oder ich sage, die Bräune ist vom Solarium. Allerdings könnten die anderen da auch mißtrauisch werden. Ich bin ja keine von denen, die in Fitnessstudios geht und die Sonnenbank drückt.
Oder ich lege das Geld an. In Aktien oder sowas. Doch darin kenne ich mich nun überhaupt nicht aus.
Vielleicht sollte ich das Geld einfach spenden. Und zwar alles. Für einen guten Zweck. Dann bin ich’s los und keiner kann mir was. Ich könnte zum Beispiel dem Behindertenhilfswerk was spenden oder einem Umweltverein oder der Kriegsgräberfürsorge. Es gibt ja mehr als genug, die dringend Hilfe nötig haben. Oh nein. Quatsch, dass geht gar nicht. Woher soll ich soviel Geld zum Spenden haben? Ich wäre sofort verdächtig.
Vielleicht könnte ich das Geld auch in meine Weiterbildung stecken und mir einmal ein Seminar für Persönlichkeitsentwicklung leisten. Das kriegt garantiert niemand mit. Oder ich besuche ein Existenzgründerseminar und lasse mir erklären, wie man eine neue Existenz gründet. Ein solides Grundkapital von einer Million hätte ich ja, das ist bestimmt sehr hilfreich dabei. Moment mal, wie ist das eigentlich – müsste ich dann etwa erklären, wie ich an die Mittel für mein neues Leben gekommen bin?
Verdammt, was mache ich nur? Aber was ist das denn? Steht dort ein Komma zwischen den Nullen? Wo ist meine Brille?