Von Alfred Giesen
Er hatte Erfolg und grenzenloses Vertrauen in sich und die Menschen. Das Vertrauen eines Kindes! Viele nannten es gutgläubig und leichtsinnig. Es war noch nie mißbraucht worden. Um seinen Erfolg zu krönen, musste er jetzt nur noch ein Haus bauen und einen Baum pflanzen. Alle Vorzeichen waren positiv.
Sie, seine Frau Hanna und er, bewohnten mit ihren beiden Kindern ein schönes großes Haus in guter Wohnlage. Die Vermieterin wollte das Haus verkaufen, das sie vor Jahren gemietet hatten, in dem Glauben, so lange darin wohnen zu können, bis die Kinder aus dem Haus waren. Sie bot es ihnen zu einem sehr stolzen Preis zum Kauf an. Zu viele Gründe sprachen gegen das Angebot, sie mussten ablehnen.
So beschlossen sie, selbst zu bauen. Ernst gedachte, seine Steuerlast fast vollständig zu mindern. Die geltenden Steuergesetze ermöglichten dieses für selbstgenutztes Wohneigentum mit Einliegerwohnung. Seine Mutter mit ihrem Lebensgefährten sollte darin wohnen. Beide hatten finanzielle Unterstützung zugesagt. Wenn sie ein günstiges Grundstück fanden, konnten sie es bar kaufen und mit Glück blieb auch noch ein kleines Sümmchen für offene Wünsche übrig.
In einem kleinen Nachbarort fanden sie ein Grundstück, das ihnen zusagte. Jetzt ging es darum, einen guten Architekten zu finden, der ihnen ein schönes, individuell geplantes Haus auf diesem Grundstück erstellte.
Freunde empfahlen ihnen einen Architekten. Mit diesem wurde das Haus nach ihren Vorstellungen geplant und die Rahmenbedingungen für die Bauausführung festgelegt. Sie verließen sich vollständig auf ihn, da sie selbst keine Ahnung von den Aufgaben, die ein Bauvorhaben mit sich brachte, hatten. Ausschreibung, Auftragsvergabe, Handwerker und Rechnungskontrolle übernahm der Architekt. Er würde ihnen die sachlich geprüften Rechnungen zur Bezahlung weiterreichen.
Aus dem Kostenplan des Architekten wurde ein Finanzierungsplan erstellt, der durch die Banken mit einem Gutachten geprüft und bestätigt wurde. Ernst vertraute den Banken, wenn diese ihm das Darlehen gewährten, musste sein Finanzierungsplan richtig sein. Er bekam eine günstige Finanzierung und es konnte pünktlich, wie geplant, zum 1. April mit dem Bau begonnen werden.
Die Fertigstellung des Rohbaus ging rasend schnell. Die Hypotheken wurden nach Baufortschritt ausgezahlt. Anfang August konnten sie Richtfest feiern. Das Dach wurde gedeckt. Die Kosten für Dachstuhl und Dachdeckung überschritten die geplanten Kosten. Sie waren vom Architekten falsch eingeschätzt worden. Seine Argumente dafür waren fadenscheinig. Er war auch immer seltener zu sprechen und auf der Baustelle zu sehen. Ernst und Hanna glaubten die unvorhergesehenen Kosten anderweitig einsparen zu können. In ihrer Unerfahrenheit übersahen sie die Fakten. Mit allen Gewerken bis zur Fertigstellung des Hauses verhielt es sich ebenso, sie wurden fast doppelt so teuer. Die Rechnungen kamen stark verzögert und zeitversetzt. Die Rohbauphase glaubten sie schon lange abgeschlossen, aber immer wieder kamen Rechnungen. Langsam wurde ihnen ihre prekäre Situation bewußt. Alles Rechnen half nichts, die Kosten explodierten.
Der Filialleiter der Bank rief Ernst an, er müsse ihn dringend sprechen. Eine Revision hatte sich wieder angemeldet. Ernst schwante nichts Gutes. Der Filialleiter hatte eigenmächtig seine Saldokompetenz überschritten und Ernst sollte nun die überzogenen Salden dringend auf ein vertretbares Maß zurückführen.
Das Kartenhaus der Gutgläubigkeit und des Vertrauens entpuppte sich als purer Leichtsinn und brach zusammen. Ernst musste versuchen zu retten, was noch zu retten war. Etliche Handwerkerrechnungen standen zur Bezahlung an und auch die Auszahlung eines Teils der Hypotheken war gefährdet. Die Bank sperrte ihnen das Konto. Ernst musste sich seinem Arbeitgeber offenbaren um Auswirkungen, durch Gläubiger und Bankmaßnahmen, auf seinen Arbeitsplatz abzumildern.
Es half alles nichts, das Haus ging in die Zwangsversteigerung. Ein Gläubiger beantragte über einen kleinen Betrag die Eröffnung der Insolvenz gegen Ernst. Nach Kenntnis des Sachverhaltes äußerte der Richter, „ich wickele gerade mehrere Strafverfahren gegen diesen Architekten ab‟. Er lehnte die Eröffnung des Insolvenzverfahrens ab, weil Ernst zahlungsunfähig und die Masse aus welcher der Gläubiger befriedigt werden konnte, sich schon in der Zwangsversteigerung befand.
Nach einem Gespräch mit einem Anwalt erstattete Ernst Strafanzeige gegen den Architekten, um sich an schon eingeleitete Strafverfahren gegen diesen anzuhängen. Sein Verfahren wurde eingestellt, mit der Begründung: „Es ist noch kein Schaden entstanden, der Gegenwert für die Schuldsumme ist in Form des Hauses ja vorhanden‟. Erst nach erfolgter Zwangsversteigerung könne über die verbleibende Schuldsumme ein erneutes Strafverfahren eingeleitet werden. „Sie haben sich wie ein kleiner dummer Junge verhalten‟, kommentierte der Anwalt das von Ernst gezeigte Vertrauen. Was ihn nachhaltig erschütterte.
Durch Einsicht in die Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft erhielt Ernst Kenntnis von dem im ursprünglichen Bankgutachten ermittelten Fakten. Aus diesen ging hervor, dass der Kostenplan des Architekten nur die Hälfte der zu erwartenden Kosten auswies und als nicht nachvollziehbar bezeichnet wurde. Die zu erwartenden Gesamtkosten wurden für das Bauvorhaben mit weit über einer Million beziffert.
Ernst war im Besitz eines Hauses im Wert von einer Million. Es war nicht sein Eigentum, weil nicht bezahlt, aber er besaß es. Sein großes Vertrauen und seine fehlende Kontrolle hatten ihn zum Schulden-Millionär gemacht.