Von Lea Naum

Cindy`s Gesicht leuchtet hochrot. Ihre Augen blitzen.  Unter Einsatz ihrer Körperfülle drängt sie die Sprechstundenhilfe beiseite und reißt die Tür zu Dr. Stroppels Zimmer auf. »Ich bin total verrückt geworden, Herr Doktor, Sie müssen mir helfen! Bitte, bitte! Ich flehe Sie an! Machen Sie was!«

Dr. Stroppel blickt überrascht von seinem Schreibtisch auf. Cindy steht bereits mitten in seinem Zimmer, während seine Sprechstundenhilfe im Türrahmen gestikuliert. Dr. Stroppel atmet tief durch. Das hat er so noch nie erlebt! Seine Patienten sind für gewöhnlich leise und bedrückt. Und wenn sie einen Wutausbruch bekommen, dann nur, weil er sie bis zu diesem Punkt geführt hat.

Dr. Stroppel fühlt sich überrumpelt. Er bedeutet seiner Sprechstundenhilfe, die Tür zu schließen. Dann lehnt er sich demonstrativ in seinem Sessel zurück und mustert Cindy betont auffällig. Dabei schiebt er bedächtig mit dem Zeigefinger die Brille auf dem Nasenrücken nach oben.

Cindy zupft verlegen ihr hautenges Kleid mit dem großformatigen Blumenmuster zurecht. Plötzlich fühlt sie sich wie ein Kind, das bei einer Unartigkeit ertappt wurde. Prompt fragt Dr. Stroppel mit strenger Stimme: »Wer sind Sie denn überhaupt?« Cindys Hände ringen vor ihrem Bauch um Fassung. Ihr molliger Körper erstarrt zu Eis. Sie stammelt: »Ach Gott, ja, hab` ich ganz vergessen, ich bin Cindy, Cindy Meisegeier!« Schweigen. Cindy atmet schwer. Sie überlegt. Unvermittelt klart ihr Gesicht auf. Sie reißt ihren rechten Arm hoch und zielt mit dem Zeigefinger auf Dr. Stroppel. »Aber ich weiß genau, wer Sie sind! Sie sind der berühmte Dr. Stroppel!« Cindy taut auf, gerät wieder in Fahrt. »Sie sind der aus dem Fernsehen. Sie war` n erst letztens in dieser Talkshow, mit der Schauspielerin. Die mit den Drogen!« Dr. Stroppel schweigt und runzelt die Stirn. Er erinnert sich ungern an diesen dämlichen Auftritt und das oberflächliche Gesülze.

Cindy deutet Dr. Stroppels Mimik auf ihre Weise. »Ja, ich weiß schon, Herr Doktor, Sie haben sonst nur so Promis hier sitzen. Aber ich hab` Geld, ich kann Sie bezahlen, wirklich!« Cindy nestelt an der winzigen roten Ledertasche im Krokodesign, an der ein braunes Bärchen mit einem Plastikgesicht baumelt. Die Minitasche hängt an einem dürren Lederriemchen, quer über dem strammen Blumenkleid. »Hier, ich hab`s gleich.« Cindy fummelt mit ihren molligen Fingern am grazilen Verschluss der Tasche herum. Vergebens. »Mist verdammter! Das teure Scheißding. Keine Ahnung, wer sich so einen unpraktischen Quatsch ausdenkt!« Hektisch versucht sie, den Taschenriemen über den Kopf zu ziehen. Er verhakt sich in einer riesigen goldfarbenen Haarspange. Cindy, die Arme über dem Kopf, gerät ins Wanken. Das knappe Kleid presst Cindys stramme Oberschenkel aneinander. Ein rettender Ausfallschritt ist ihr unmöglich.

Dr. Stroppel erkennt die Gefahr. Er schnellt hinter seinem Schreibtisch hervor, hastet zu seiner Sitzgruppe und greift sich einen der zwei Korbstühle. »Jetzt setzen Sie sich erstmal« sagt er, während er Cindy den Stuhl von hinten in die Kniekehlen schiebt. Cindy lässt sich fallen. Der Korbstuhl knirscht bedenklich. Cindy gelingt es, den Taschenriemen aus der Spange zu reißen. Sie stellt die Handtasche auf ihrem Schoß ab. Geschafft! Ihr ausladender Körper verliert jäh die Spannung und fällt zusammen, wie ein misslungener Brotteig.

Dr. Stroppel ist angespannt. Jetzt wird es schwierig, die pummelige Blumenfrau loszuwerden. Er entschließt sich zum Frontalangriff. »Hören Sie, Frau Meisegeier. Ich kann verstehen, dass es Ihnen nicht so gut geht, aber Sie haben hier keinen Termin. Und in den nächsten Monaten wird das auch nichts. Sie müssen sich einen anderen Therapeuten suchen!«

Cindy schaut ihn entgeistert an. Ihre Unterlippe sackt herunter, die Mundwinkel beginnen zu zittern. »Seh`n Sie, Herr Doktor, genau das isses! Keiner will mich mehr. Seit ich dieses Scheißgeld hab`, will keiner mehr was mit mir zu tun ham. Alle glotzen mich nur noch blöde an!« Cindys massiger Körper erbebt. Sie beginnt zu schluchzen.

Doktor Stroppel ist verdutzt. Er hat schon viele Klagen gehört. Die ist ihm neu. Interessant! Er schnappt sich den anderen Korbstuhl und setzt sich Cindy gegenüber: »Also was ist denn genau passiert, Frau Meisegeier?« Cindy sieht ihn mit feuchten Augen an. »Wissen Sie, Herr Doktor, ich habe mir das so schön vorgestellt! Ich war ja immer nur putzen. Mein ganzes Leben lang. Und wie mir der Professor … also bei dem hab` ich ganz, ganz lange geputzt, müssen Sie wissen. Also wie der mir, kurz vor seinem Tod, das viele Geld geschenkt hat, da hab` ich gedacht, jetzt wird alles richtig schön.« Dr. Stroppel nickt. »Ja, seh`n Sie Herr Doktor. Das denken Sie auch! Genau! Das denkt doch jeder! So `ne ganze Million, das ist echt ein Batzen. Ich bin dann auch gleich mal los, in so `nen Laden, so `ne teure Butikke, wegen was zum Anziehen. Aber die Weiber da drin, die waren so etepetete. Dann ham` die noch so getuschelt und gegackert. Da hab` ich ganz schnell dieses furzenge und schweinsteure Kleid hier gekauft, nur damit ich da wieder raus konnte! Und so isses fast überall!«

Dr. Stroppel hakt nach. »Wie ist es denn überall genau?« Cindy seufzt. »Das weiß ich auch nich` so richtig. Ich bin irgendwie so … so fremd eben. … Beim Essengehen in so `nem Nobelschuppen mit den Sternen, Sie wissen schon, die haben so Namen, so ähnlich wie Autoreifen, da war`s auch so. Das viele Besteck! Die Massen an Gläsern und Tellern für ein einziges Essen! Das ist doch ein Riesenabwasch! Die Kellner ham` mich immerzu beobachtet und gegrinst, so als wär` ich doof oder voll Pickel. Dabei hat`s mir nicht mal richtig geschmeckt und wenig war`s auch. Ich ess` ja lieber `ne ordentliche Kohlroulade oder auch mal `n richtig gutes Eisbein. Und dann war da noch so viel Salatkram bei. Den vertrag` ich überhaupt nich. Da krieg ich nämlich immer so dolle Blähungen von.«

Dr. Stroppel überhört die Blähungen und fragt: »Gab es denn eine Sache, die Sie mit dem Geld gemacht haben, an der Sie Spaß hatten?« Cindy polkt an ihrer Tasche herum. »Da muss ich echt nachdenken, Herr Doktor. Warten Sie mal. Na, in dem guten Hotel, da ging`s noch irgendwie. Da hab` ich mich besser gefühlt. Aber nur, weil ich da immer sofort gesehen habe, wo die beim Putzen geschlampt haben. Ich hab` aber nix gesagt. Ich wollt` ja niemanden in die Pfanne hauen.«

»Hm.« Dr. Stroppel nimmt seine Brille ab und hält sie gegen das Licht. »Die muss auch mal wieder geputzt werden, Herr Dokor«, sagt Cindy. Dr. Stroppel nickt.

»Soll ich Ihnen mal was verraten, Herr Doktor, was echt total Verrücktes?« Dr. Stroppel setzt die ungeputzte Brille wieder auf die Nase. »Bitte, Frau Meisegeier, bitte, tun Sie das.« Cindy atmet tief ein: »Also es iss so, Herr Doktor! Früher war ich durch das viele Arbeiten immer so kaputt, dass ich schon beim Gehen hätte einschlafen können. Und jetzt? Jetzt kann ich überhaupt nich mehr richtig schlafen! Dauernd muss ich an dieses blöde Geld denken! Früher hab` ich immer ans Geld gedacht, weil`s so schnell alle war und dauernd welches fehlte. Jetzt isses da und nun muss ich dauernd dran denken, was ich damit machen soll! Das begreift doch kein Schwein, Herr Doktor! Das ist doch total irre, oder?«

Dr. Stroppel reibt sich das Kinn. »Hmm….in der Tat. Was sagt denn überhaupt Ihre Familie zu der Sache?« Cindy`s Augen leuchten auf. »Ach, meine zwei Jungs, meinen Sie? Die sind ja nun schon erwachsen. Die ham` sich natürlich total gefreut. Wir ham` auch `n paar Sachen gekauft, die sie so brauchen konnten. Neuen Kühlschrank, `n Sofa und so Zeugs! Aber dann ham` sie gesagt, ich soll mit dem Geld endlich mal was Schönes für mich machen. … Was Schönes für mich, Herr Doktor! Stellen Sie sich das mal vor! Ich weiß nicht mal richtig, was sein sollte!«

»Kohlroulade zum Beispiel oder Eisbein«, sagt Dr. Stroppel und lächelt. »Jetzt wollen Sie mich verscheissern Herr Doktor, oder?« Dr. Stroppel hebt abwehrend die Hände. »Nein, überhaupt nicht! Sie haben selbst gesagt, Sie mögen Kohlroulade und Eisbein. Was käme denn sonst noch so infrage?« »Meinen Sie zu Essen?«, will Cindy wissen. »Nicht nur! Es können ja auch andere Sachen sein, Kino vielleicht? Oder mal ein Ausflug oder eine schöne Fußmassage?« Cindy sieht Dr. Stroppel ungläubig an. »Denken Sie denn, sowas reicht zum Reichsein?« Dr. Stroppel lächelt. »Jeder ist halt anders reich! Jeder auf seine Art!«

Cindy wiegt bedächtig den Kopf hin und her. Dann schaut sie an die Zimmerdecke, als warte sie auf eine höhere Eingebung. Dr. Stroppel schlägt die Beine übereinander und wartet.

Nach einer Weile lässt Cindy den Kopf wieder sinken. Sie schaut Dr. Stroppel direkt in die Augen. »Ich hab`s, Herr Doktor. Jetzt weiß ich`s! Ich kauf mir endlich diese Katze! So eine puschlige Rasse, eine mit so langem Fell. Die wollt` ich schon immer, schon als Kind! Unsere Nachbarn hatten so eine. Die hieß Rita. Ich hab` damals gebettelt und gebettelt, aber da ging nix. Zu viele Haare, hat meine Mutter gesagt. Aber jetzt! Ich bin ja Putzfrau, jetzt kann ich ja selbst …!« Cindy klatscht vor Freude in die Hände! Dann springt sie auf, beugt sich zu Dr. Stroppel runter und umhalst ihn mit ihren runden Armen. »Sie sind ein echter Schatz, Herr Doktor, ach, was sag ich, ein Genie sind Sie!«

Dr. Stroppel windet sich aus der Umarmung. Er steht auf und rückt sein verrutschtes Jackett zurecht. Cindy strahlt über`s ganze Gesicht. Plötzlich schlägt sie sich mit der Hand an die Stirn. »Menschenskinder, das hätt` ich jetzt glatt vergessen! Was kostet denn das hier jetzt überhaupt?« »Das macht 250€ inclusive Steuer«, sagt Dr. Stroppel. Cindy reißt die Augen auf. »Du liebe Güte! So teuer? Echt?« Dr. Stroppel nickt. Cindy runzelt für eine Sekunde die Stirn. Dann lacht sie. »Ach, stimmt ja! Scheiß drauf! Ich kann`s mir ja leisten!«