Von Heike Weidlich

„Sauerei, ne riesen Sauerei ist das!“ Uwe knüllt seine Vespertüte zusammen und wirft sie zielsicher in den Papierkorb. „Die sahnen ab und wir zahlen die Zeche.“

„Dafür bekommst du doch, na, zum Beispiel schalldichte Fenster. Dann hört ihr auch den Straßenlärm nicht mehr so stark“ versucht Paul ihn zu beschwichtigen.

„Der Lärm stört mich nicht, bin seit bald 30 Jahren dran gewöhnt. Meine Fenster sind grade mal zehn Jahre alt. Die sind doch noch gut. Und dann wollen die mir eine Dusche einbauen. Ich hab ‘ne Badewanne, die reicht mir, ich brauch keine Dusche.“

„Was meinen denn die anderen Hausbewohner?“

„Was denkst du denn? Die sind genauso begeistert wie ich. Die alte Schneider vom Parterre solltest du mal hören. Sie hat keine Ahnung wie sie die Miete nach der Sanierung zahlen soll. Ihre Rente reicht dafür jedenfalls nicht. Die wohnt seit 38 Jahren da, wo soll die denn hin? Muss man sich mal vorstellen.“

Schweigend schauen sie auf den See hinaus. Auf dieser Bank  verbringen sie oft ihre Mittagspause.

Plötzlich braust Uwe auf: „Schweinepack, alle miteinander. Alle in einen Sack und draufhauen. Da triffste immer den Richtigen. Und der Mieter ist immer der Gearschte!“ Wütend schlägt er eine Fliege weg, welche gerade versucht hat, sich auf ihm niederzulassen.

„Schon kacke was die da bei euch abziehen, aber …“ Paul verstummt.

„Was? Hab ich vielleicht nicht recht?“ Uwe springt von der Bank auf und sieht Paul empört an.

„Klar hast du recht. Ich versteh auch nicht, dass so was überhaupt zulässig ist. Dadurch geht’s vielen so wie eurer alten Schneidern. Aber was du gesagt hast, dass immer der Mieter der Gearschte ist, stimmt eben auch nicht.“

„Schon klar. Die haben auch ihre Sorgen und Kosten und blablabla. Trotzdem ist’s eine himmelschreiende Ungerechtigkeit.“

„Um die geht’s mir nicht Uwe. Die sind rein auf Profit aus. Der Mensch interessiert die nicht. Die Kasse muss stimmen.“

„Sag ich doch! Dann sind wir uns ja einig.“ Uwe lässt sich wieder auf die Bank sinken.

„Ich mein die anderen. Weißt du eigentlich, dass der größte Teil der Vermieter aus Privatleuten besteht. Die haben oft nur ein Haus oder eine Wohnung, die sie vermieten.“ Paul räuspert sich kurz: „So wie Hanna und ich.“

„Was, du besitzt eine Mietwohnung?“ Uwe sieht ihn erstaunt an.

„Nein, ein Haus.“

Das muss Uwe erst mal verdauen. „Du bist Vermieter? Echt? Seit wann denn?“

„Jetzt nicht mehr, früher. Aber das ist eine längere Geschichte.“

„Wir haben doch noch Zeit!“

 

2001:

Paul und Hanna hatten vor Jahren ein Gartengrundstück von Hannas Oma geerbt, auf welchem sie Gemüse anbauten. Auch ein paar Obstbäume standen darauf. Ende 2001 wurde von der Gemeindeverwaltung beschlossen, dass das betreffende Areal als Baugebiet umgelegt werden sollte. Somit war der Garten plötzlich Bauland und es galt es zu überlegen, was man damit anfangen konnte.

Sie würden den Platz verkaufen können. Es war eine gute Lage und würde sicherlich einen guten Preis erzielen. Allerdings würde damit ihre Chance, jemals zu etwas Eigenem zu kommen und somit ihren Kindern einmal ein besseres Startkapital mitgeben zu können, gegen Null gehen. Sie waren nicht vermögend und außer dem besagten Garten hatten sie kein großes Erbe zu erwarten.  Der Verkaufserlös würde für eine ausreichend große Eigentumswohnung nicht reichen, soviel stand fest.

Da sie jung und zupackend veranlagt waren, sowie beide ein robustes Naturell besaßen, entschlossen sich Paul und Hanna schließlich ihre Chance beim Schopf zu packen und zu bauen.

Was folgte, waren harte Jahre. Paul, Handwerker durch und durch, konnte vieles in Eigenleistung ausführen. Aber eben nicht alles. Dafür mussten sie einen hohen Kredit bei der Bank aufnehmen. Sie arbeiteten oft bis spät in die Nacht. Zum Glück hatten sie beide rüstige Eltern, die ihnen oftmals die Kinder abnahmen oder ihnen, wenn’s mal wieder knapp wurde, ein Scheinchen zusteckten.

Als das Haus endlich fertig war, waren alle unendlich froh. Paul und Hanna waren ausgelaugt.

 

„Ja, und dann mussten wir einen Mieter suchen.“

„Wieso das denn, nach der ganzen Plackerei?“ Uwe kann es nicht fassen.

„Es war von Anfang an klar gewesen, dass wir im Anbau meiner Tante wohnen bleiben würden. Zumindest noch für längere Zeit. Das war zwar alles alt und viel zu beengt für uns. Aber wo von hätten wir denn sonst den Kredit zurückzahlen sollen? Dafür musste die Miete herhalten.“

„Schade, eigentlich. Da habt ihr alles so schön gemacht, und dann ziehen Fremde ein.“

„Du sagst es. Aber wir hatten keine Wahl. Um alles richtig zu machen, haben wir die Sache einem Makler übergeben. Uns kam es gar nicht auf höchst mögliche Mieteinnahmen sondern hauptsächlich darauf an, einen Mieter zu haben, der pfleglich mit unserem Haus umgeht und pünktlich die Miete zahlt, weil wir sonst in riesen Schwierigkeiten geraten würden. War ja alles auf Kante genäht.“ Paul nimmt einen Schluck aus seiner Sprudelflasche und schweigt eine Weile. Dann gibt er sich einen Ruck:

„Nach beinahe acht Jahren  wurde unser Mieter nach Frankreich versetzt und zog aus. Zur Übergabe haben wir uns im leergeräumten Haus getroffen. Uwe, ich kann dir sagen, uns hätte bald der Schlag getroffen, als wir sahen wie die unser schönes Haus zugerichtet hatten. Es war zum Heulen.

Ich will jetzt nicht alle Einzelheiten aufzählen. Aber bereits auf den ersten Blick hatten wir gesehen, dass das in die Tausende gehen würde, um die Schäden zu beheben. Als Hanna dann noch die völlig verdreckten und verbohrten Fliesen sah, die wir nach Feierabend, oft bis spät in die Nacht, verlegt hatten, liefern ihr die Tränen übers Gesicht.“

Paul fährt sich mit einer Hand über die Augen. Noch immer versetzt es ihn in höchsten Aufruhr, wenn er an diese Zeit und an Hannas fassungsloses Gesicht, zurückdenkt. Wie hatten sich seine Frau und er geschunden. Auf wie vieles hatten sie und die Kinder verzichten müssen, was für andere selbstverständlich war. Urlaub war jahrelang mangels Zeit und Geld überhaupt nicht drin gewesen. Später konnten sie wenigstens einmal im Jahr zum Campingurlaub nach Italien fahren.

Wie gern würden Hanna und er einmal nach Amerika fliegen, die Route 66 entlangfahren oder nach Ägypten und sich die Pyramiden ansehen. Na ja, vielleicht in ein paar Jahren wenn der Kredit endlich getilgt sein würde. Er will nicht jammern. Er ist froh, dass sie die Chance bekommen haben sich ihren Traum von was Eigenem zu erfüllen. Aber mit Privilegien hat das nicht das Geringste zu tun. Es war verdammt harte Arbeit.

 

„Aber es kam noch schlimmer. Unsere Mieter wollten eine Bestätigung von uns, dass alles in Ordnung sei, und wir ihre Kaution innerhalb von zwei Tagen zurückzahlen würden. Das musst du dir mal vorstellen. Als wir auf den katastrophalen Zustand unseres Hauses hingewiesen haben, bekamen wir zur Antwort, dass sie laut Auskunft ihres Anwalts zu nichts verpflichtet seien. Eine Woche später hatten wir eine Klageandrohung im Briefkasten.

Empört, aber noch immer in der Annahme, dass die Sachlage klar sei,  suchten wir nun ebenfalls einen Anwalt auf. Und was uns dieser dann erklärte, war echt der Hammer: Kurz nachdem wir den Mietvertrag geschlossen hatten, hatte der BGH die Regelung von starren Fristen bei Schönheitsreparaturen als ungültig erklärt. Bei Mietverträgen, mit diesem bis dahin rechtlich einwandfreien und üblichen Text, wurden nun überhaupt keine Schönheitsreparaturen mehr geschuldet.

Im Klartext hieß dies für uns: Unser Mietvertrag war nichts mehr wert. Alle Beschädigungen wurden abgestritten und  als nicht zu leistende Schönheitsreparaturen dargestellt. Unser Anwalt machte uns wenig Hoffnung. Sehr schwierig sei es, da etwas zu machen. Wir sollten froh sein, dass diese Mieter draußen seien und nicht noch mehr Schäden verursachen könnten. Er hätte schon Fälle gehabt, da hätten Mieter sogar Waschbecken rausgerissen und der Vermieter hätte ihnen noch eine Prämie gezahlt, damit sie ausgezogen seien, weil er sie ansonsten kaum losgeworden wäre. Von Mietnomaden ganz zu schweigen.“

„Das glaub ich jetzt nicht.“ Uwe sieht Paul entsetzt an.

„Ist aber so. Und, auch das wirst du kaum glauben: Die hatten tatsächlich die Stirn uns auf Rückzahlung der Kaution zu verklagen, obwohl diese bei weitem nicht zur Behebung der ganzen Schäden gereicht hat. Beinahe zwei Jahre haben wir uns vor Gericht herumgestritten. Die hatten eine Rechtschutzversicherung, wir nicht.“ Erschöpft schließt Paul kurz die Augen.

„Ich bin jetzt bald 50. Von außen betrachtet sind wir privilegierte Eigenheimbesitzer. Aber dass uns das nicht in den Schoß gefallen ist, wie hart wir uns das verdient haben, das will keiner wissen.

Er greift nach seinem Kaffeebecher und nimmt einen Schluck: „Aber was ich eigentlich damit sagen will: Es ist leicht, einfach eine Einteilung vorzunehmen: Das sind die Guten oder die Opfer und das sind die Schlechten oder die Täter. So einfach ist es aber oft nicht.“

Mich macht es so wütend, dass Leute wie du und ich – Mieter, Vermieter, Arbeiter, Angestellter oder Chef, Menschen die einfach nach dem Grundsatz: Leben und leben lassen, verfahren, die, die noch an Recht und Ordnung glauben, einfach so von anderen über den Tisch gezogen werden dürfen und der Staat schaut zu.“

Uwe nickt zustimmend: „Wir  bekommen goldene Wasserhähne die kein Mensch braucht. Wer das nicht zahlen kann, fliegt. Euch hat man euer Eigentum verrammelt, läuft weg wie die Sau vom Trog, und all das völlig legal. Verträge gelten plötzlich nicht mehr. Man kann sich auf nichts mehr verlassen.“ Er runzelt die Stirn.

„Weist du, oft hält man alles für so klar, wähnt sich auf der einzig richtigen Seite. Wenn man die Sache jedoch mal aus einem anderen Blickwinkel betrachtet…“ Er zuckt mit den Achseln und verstummt.

Über den See hinweg hören Sie die Kirchturmuhr schlagen. Paul steht auf und hält Uwe die Hand hin:

„Auf Uwe, hoch die müden Glieder. Dass der Chef unseren Blickwinkel einnimmt und Verständnis dafür hat, dass wir am liebsten in der Sonne sitzen bleiben würden, glaub ich dann doch nicht.“

Grinsend steht Uwe auf: „Worauf du einen lassen kannst.“