Von Florian Ehrhardt
„Sie nennen dich den Wut-Wolf von Wangen!“, schreit Susanne durch den Hörer.
Ich halte die Hörmuschel etwas weiter von meinem Ohr weg. „Wer tut das?“
„Na, die BILD-Zeitung!“ Da ist es wieder, dieses Augenrollen mit der Stimme, das mich jedes Mal sofort an Scheidung denken lässt.
„Die BILD? BILD-Leser wissen nicht mal wo Wangen liegt!“ Langsam werde ich wirklich wütend. Der Wachmann tippt auf seine Uhr. Ich werfe einen erschrockenen Blick auf meine eigene Uhr. Zum Glück durfte ich die behalten. Diese korrupten Apparatschiks hätten sich die Rolex sicher gern gekrallt. Aber ich kenne meine Rechte! „Schatz, ich habe nur noch 90 Sekunden! Keine Zeit für dein Palaver! Du musst Teuchert anrufen, der wird mich schon hier rausboxen.“
Sie scheint sich etwas beruhigt zu haben. „Okay.“, kommt es zaghaft durch die Leitung.
„Schatz?“
„Ja?“
„Eine Sache noch.“ Mir stockt der Atem.
„Was?“
„Ich liebe dich.“
Lange Pause. Dann höre ich ihre Stimme wieder. „Ich dich auch.“ Ihre Antwort kommt zaghaft und leise, fast schon geflüstert.
Ohne ein weiteres Wort lege ich auf.
Nach diesem ernüchternden Telefongespräch führt mich der Wärter zurück in die Zelle. Ich hätte mein Gespräch nicht so verschwenden dürfen. Wenn ich es direkt bei Teuchert versucht hätte, wäre ich jetzt schon draußen. Und diese Möchtegern-Polizisten, die brave Bürger verhaften, wären längst suspendiert. Aber ich musste ja den guten Ehemann spielen. Ich bin so in meinen wütenden Gedanken versunken, dass ich meinen Zellengenossen erst jetzt bemerkt habe. Eigentlich unmöglich, denn der 2-Meter-Fleischberg ist kaum zu übersehen. Ich blicke den Riesen wortlos und etwas erschrocken an.
Das scheint ihn zu belustigen. „Moin!“
„Ähm…ja. Hallo…Herr…?“
„Uwe! Einfach Uwe!“
Uff. Was für ein ungehobelter Klotz. „Hallo…Uwe.“
„Und du?“
„Was?“
„Dein Name!“ Fleischberg Uwe kommt mir gefährlich nahe. Speichel saust an meinem linken Ohr vorbei.
„Ach so. Heller. Wolfgang Heller.“
Uwe Fleischberg streckt mir seine Pranke entgegen. „Na also! Geht doch, Wolfi!“
Ich muss mich beherrschen. Wolfi. Nicht einmal Sabine nennt mich so.
„Und? Was haste gemacht?“
„Nix was erwähnenswert wäre.“
„Das sagen hier alle! Sogar ich hab das mal gesagt.“
„Bei mir ist es aber die Wahrheit. Mein Anwalt hat mich bis morgen hier rausgeholt.“
„Pah, Scheißdreck! Wenn die dich einmal auf dem Kieker haben buchten die dich auch für Falschparken ein!“
Na toll. Zeit für den Angriffsmodus. „Und du?“
„Was?“
„Naja, Uwe, was hast du gemacht, dass du hier drin bist?“
„Ne!“
„Was ne?“
„Der Frischling muss zuerst!“
„Vergiss es!“
Uwe kommt mir gefährlich nahe. „Junge, das is‘ kein Spiel!“ Wieder fliegen Spucketropfen. Erst jetzt bemerke ich Uwes Fahne, die mir ins Gesicht weht.
Ich weiche einen Schritt zurück. „Ähm…“
„Wird’s bald?!“
Ich sehe mich verzweifelt nach einem Wärter um, doch Uwe hat seine Attacke perfekt getimt. „Na gut.“
Uwe lässt – fürs Erste – von mir ab. „Geht doch!“, schnauft er mir entgegen.
„Also.“, beginne ich meine Geschichte, aber beginne sofort zu stocken. „Also…ähm…“, verdammt, wo soll ich anfangen? Wie weit soll ich ausschweifen?
„Sach‘ mal, brauchst du eine schriftliche Einladung?!“ Wieder kommt Uwe gefährlich nahe.
Also dann, die Kurzfassung. Mehr hat der Fleischberg auch nicht verdient. „Also gut. Ich bin im Supermarkt von drei so Flüchtlingen, Syrer oder sonst solche Gestalten müssen das gewesen sein, drangsaliert worden. Erst habe ich die Mal ignoriert, hab‘ gehofft, die lassen mich dann in Ruhe, aber auf dem Parkplatz haben sie dann versucht, meine Brieftasche zu schnappen. Aber nicht mit mir!“ Stolz strecke ich meine Brust hervor. „Ich hab dem Aufmüpfigsten die teure Weinflasche über den Kopf gezogen und dann sind die anderen zwei gerannt. Ich hab natürlich die Polizei gerufen, aber anstatt den bewusstlosen Dieb einzubuchten und die flüchtigen Flüchtlinge“ – ich grinse bei meinem Kalauer – „wieder einzufangen, haben sie mich eingesperrt. Vor zwei Tagen war das. Und erst heute durfte ich telefonieren. Scheißsystem.“
Während ich erzählt habe, hat sich Uwes Miene deutlich aufgehellt. Er strahlt fast schon und erst durch die Lachfältchen um meine Augen fällt mir auf, dass der Typ mindestens 10 Jahre älter als ich ist. Wenn Knast so jung macht, könnte ich mich sogar an die harte Matratze gewöhnen.
„Na, also, jetzt bist du mir schon viel sympathischer!“
„Ach ja?“
„Eindeutig. Jetzt weiß ich auch, dass du der Richtige bist!“
„Was soll das heißen, der Richtige?“
„Erfährst du schon noch früh genug.“
Damit muss ich mich wohl zufrieden geben, denn mit diesen Worten legt sich Uwe auf das untere Bett des Doppelgestells, das die Hälfte des Raumes einnimmt und beginnt zu schnarchen. Ich klettere also auf das obere Bett und bin mit meinen Gedanken allein.
„Los, wach auf!“
Ich schrecke hoch. Meine Gedanken müssen mich wohl in den Schlaf begleitet haben. Ich erschrecke nochmal, als ich in Uwes Gesicht blicke. „W-Was?“
„Runter vom Bett!“
Müde steige ich die Leiter herab. Nur noch das Notlicht brennt. Es muss also schon nach 22 Uhr sein. „Also, was ist?“
„Schh…“, macht Uwe, dann flüstert er weiter. „Du musst mir jetzt vertrauen. Und du musst mir glauben. Obwohl ich vorhin gelogen habe.“
„Wann hast du gelogen?!“
„Nicht so laut!“
Ich bleibe beim verständnislos-schläfrigen Blick.
„Also, ich heiße nicht Uwe, sondern Gabriel, und ich komme aus dem Jahr 2034.“
„Was?“
Er hält mir eine Plastikkarte unter die Nase.
Bei genauerem Anblick erkenne ich den Personalausweis. Das Datum der Ausstellung ist der 25. Oktober 2031.
„Glaubst du mir jetzt?“
„Ja!“
„Gut. Also pass jetzt auf. In ca. 5 Minuten kommen drei Männer hier rein. Zwei davon sind die Polizisten, die dich bei deiner Verhaftung abgeführt haben. Der dritte ist dein komischer Anwalt. Sie haben das von langer Hand geplant. Naja, nicht sie. Ihr Boss eben. Oh Mann, warum habe ich nur verschlafen, ich wünschte, wir hätten mehr Zeit für dieses Gespräch. Aber ich habe den Mittagsschlaf gebraucht, Zeitreisen macht so furchtbar müde und es ist so wichtig, dass ich jetzt wach bin!“
„Oh, Gott, bitte lass das Alles ein Traum sein!“, murmele ich vor mich hin.
„Schön wärs, aber so einfach ist das nicht. Das ist todernst. Ich komme aus einer Zukunft, in der eine totalitäre Partei das Sagen hat. Die Patriotenpartei. Und die konnte nur so groß werden, weil sie eine Gallionsfigur hatten, die wegen einem Überfall von Flüchtlingen unrechtmäßig eingesperrt wurde. Ein Mathelehrer aus Baden-Württemberg.“
„Scheiße!“, entfährt es mir.
„Genau. Sie haben dich in dieses Loch stecken lassen und werden sich als Befreier feiern, weil sie dich auch wieder rausholen. So ist zumindest die Theorie unter uns Widerständlern. Außer du sagst mir jetzt, du hast das 33-Punkte-Programm zur Bekämpfung der Überfremdung, Systemmedien und Umvolkung durch die Altparteien schon geschrieben, während ich geschlafen habe. Das wollen sie dich nämlich morgen verlesen lassen.“
„Das was?“
„Dachte ich mir. Diese Mistkerle. Geh auf keinen Fall mit ihnen mit, sonst hältst du morgen die – in unserer Zeit berühmte – Wutbürger-Rede. “
Ich blicke Uwe, der eigentlich Gabriel ist, noch verständnisloser an. „Wutbürger? 33 Punkte?“
„Ist doch egal.“ Er will noch mehr sagen, doch dann spitzt er die Ohren.
„Sind sie das?“ Drei Schatten tanzen über die Wand.
„Geh auf keinen Fall mit ihnen mit!“, zischt der Fleischberg.
„Wolfgang, bist du da drin?“, hallt es durch den Gang.
Es ist eindeutig Teucherts Stimme. Aber seit wann duzt er mich? Ich weiß nicht, was ich tun soll.
Gabriel/Uwe/Fleischberg legt einen Finger auf die Lippen.
Ich blicke wieder in den Gang und erkenne Teucherts schmales Gesicht.
„Wolfgang!“
„Teuchert? Seit wann duzen wir uns?“
„Seitdem ich dir einen Psychopathen vom Leib halte, der dich umbringen will.“ Mit diesen Worten zieht er blitzschnell die Pistole hervor – ich erkenne das antike Ding, das normal im Büro meines Anwalts an der Wand hängt – und jagt meinem Zellengenosse eine Kugel in den Kopf.
Ich höre mich noch selbst aufschreien, bevor mir schwarz vor Augen wird.
„Du hattest verdammt Glück.“
Wo bin ich? Weiße Laken, der Geruch von Desinfektionsmittel und ein piependes Gerät links von meinem Ohr beantworten mir die Frage. „Susanne?“
„Ich bin ja so froh, dass Teuchert dich noch gefunden hat.“ Weder in ihrer Stimme noch in ihren Augen kann ich wahre Freude erkennen.
„Susanne, was ist hier los?“
Sie legt einen Finger an die Lippen. Steht auf. Sie sucht in dem fast leeren Krankenhauszimmer offensichtlich etwas. Dann hat sie Zettel und Stift gefunden. Sie kritzelt auf dem Papier herum um es mir kurz darauf unter die Nase zu halten.
Du bist in Gefahr. Mach was Teuchert sagt. Verlese sein blödes Programm. Bitte. Ich liebe dich.
Ich blicke angestrengt zu ihr auf. Eine Träne funkelt in ihrem rechten Auge. Und dann bricht meine heile Welt endgültig zusammen. Sie nimmt den hastig beschriebenen Zettel und stopft ihn sich in den Mund. Mit schreckgeweiteten Augen sehe ich ihr beim Kauen und Schlucken zu. Ihre verstörende Aktion kommt keine Sekunde zu spät, denn nun kommt Teuchert in den Raum.
Er wedelt mit einem Stapel bedruckter Papiere. „Na, Wolfgang, bereit für deine große Rede?“