Anne Moog

Markus verteilte das Benzin im Wohnzimmer. Dabei versuchte er, möglichst weit nach oben zu spritzen, denn er wusste, dass die  Polizei direkt auf Brandstiftung käme, wenn die Brandherde nur am Boden und im unteren Bereich der Wände zu finden wären. Allerdings bezweifelte er, dass hier überhaupt ermittelt würde. Kein Personenschaden, geringer Sachschaden. Um aber ganz sicher zu gehen, hatte er am Fernseher einen Kurzschluss provoziert. Es war alles perfekt geplant.

Sein Blick fiel auf den Lieblingssessel seiner Tante. Die Wolldecke, die sie immer über ihre Beine gewickelt hatte, lag sorgfältig gefaltet auf der Lehne. Ihn überkam ein Anflug von Sentimentalität. Markus versuchte, den Gedanken schnell weg zu schieben. Tante Erna war tot. Sie war eines natürlichen Todes gestorben. Damit hatte er nichts zu tun gehabt. Hier ging es um Geld, nur um Geld.

Sie hatte ihm das alleinige Erbe, eine hohe Geldsumme, versprochen. Und er hatte ihr natürlich geglaubt. Ab da hatte er irgendwie anders getickt. Er hatte Kredite aufgenommen und weit über seine Verhältnisse gelebt. Immer in der Überzeugung, dass sich seine Geldprobleme bald „biologisch“ lösen würden. Und was hatte sie ihm hinterlassen? Ein altes, verkommenes Haus, für das kein Käufer zu finden war und ein Bankkonto, auf dem nach Abzug der Kosten für die Beerdigung, noch 723 Euro übrig geblieben waren. Sonst nichts. Er hatte das ganze Haus nach Bargeld durchsucht. Nichts. Markus war sauer, stinksauer.

Bei der Durchsicht ihrer Unterlagen hatte er dann die Police der Feuerversicherung gefunden. Bei Brand und völliger Zerstörung des Hauses würde ihm eine Summe von 50.000 Euro ausgezahlt. In seinem Kopf hatte es Klick gemacht. Das war die Lösung. Er würde das Haus abfackeln und dann das Geld von der Versicherung kassieren. Markus nahm das Feuerzeug aus seiner Hosentasche und spielte mit dem Rädchen.

Wieder zögerte er. Warum hatte ihn Tante Erna angelogen? Warum hatte sie ihm das Geld versprochen und dann war nichts da? Markus schüttelte den Kopf. Er konnte es nicht verstehen. Er dachte an das vergangene Jahr. Nach ihrem Oberschenkelhalsbruch war Tante Erna direkt vom Krankenhaus ins Altenheim gekommen, weil sie hier nicht mehr alleine leben konnte. Er hatte sie jeden Samstag besucht, Blumen und Kuchen mitgebracht, mit ihr geplaudert oder ihr vorgelesen. Markus hatte es gerne getan, noch lieber allerdings, als sie ihm eröffnet hatte, dass er eine hohe Geldsumme erben würde.

Er mochte Tante Erna sehr. Er hatte als Kind stets die gesamten Ferien bei ihr und Onkel Willi verbracht. Es waren glückliche Zeiten gewesen. Auf die Idee, dass Tante Erna vermögend sein könnte, wäre er nie gekommen. Sie hatte immer einfach gelebt, sich nichts gegönnt und ihm auch nie größere Geschenke gemacht. Aber seine Mutter hatte ihm, kurz bevor sie verstarb, gesagt, dass Tante Erna, ihre geizige Schwester, „ordentlich was auf dem Konto hätte“. Auch ihr hatte er geglaubt.

Markus hatte sich etwas Mut angetrunken. In Verbindung mit dem scharfen Benzingeruch fühlte er sich leicht benebelt. Er wurde ruhiger, seine Skrupel wurden weniger. Jetzt! Er bewegte das Rädchen des Feuerzeugs, der Funke sprühte. Die Flamme war da. Er zündete die Wolldecke an und konnte dann zusehen, wie sich das Feuer durch den Sessel, das Sofa, den Teppich und die Gardinen fraß.

Markus verließ das Haus über den Hintereingang. Dafür musste er durch die Küche, in der er so viele Stunden mit Tante Erna und Onkel Willi verbracht hatte. Plötzlich kam ihm das rote Fotoalbum in den Sinn, in dem all seine Ferienaufenthalte dokumentiert waren. Das wollte er auf jeden Fall vor den Flammen retten. Er entdeckte es in dem kleinen Regal neben der Eckbank. Markus erfasste eine Welle schöner Erinnerungen, als er die erste Seite aufschlug. Seine Bindung zu Tante Erna war bis zu ihrem Tod sehr innig gewesen. Er schluchzte.

Doch dann fühlte er wieder diesen Stein im Magen und sein Herz wurde kalt. Warum hatte sie ihn angelogen? Voller Wucht schlug er das Album zu. Jetzt war es sowieso zu spät, jetzt gab es kein Zurück mehr. Warum auch, es ging ja nur um das Geld der Versicherung. Tante Erna hatte Jahrzehnte in die Versicherung eingezahlt und sie nie in Anspruch genommen. 50.000 Euro. Der Betrag war lächerlich für ein Versicherungsunternehmen. Mit diesen Gedanken versuchte er sich zu beruhigen, sein Verhalten vor sich zu rechtfertigen. Aber seit er das Fotoalbum entdeckt hatte, empfand er eine tiefe Unruhe, die nichts mit dem Brand zu tun hatte. Er konnte das Gefühl nicht deuten.

Markus sah, dass sich das Feuer langsam, aber stetig ausbreitete. Jetzt hatte es bereits die Holztreppe nach oben erreicht. Er musste hier raus. Er klemmte sich das Fotoalbum unter den Arm und verließ das Haus. Beim Rausgehen fiel ein Umschlag aus dem Fotoalbum. Erstaunt stellte er fest, dass er an ihn adressiert war. Neugierig öffnete er ihn und begann zu lesen.

 

Lieber Markus,

danke für ALLES.

Deine Ferienaufenthalte waren für Onkel Willi und mich immer etwas Besonderes. Du warst für uns wie ein Sohn! Die Fotos werden dich daran erinnern.

Wie versprochen bist du Alleinerbe. Ich habe den Banken nie getraut. Auch wollte ich nicht, dass du so viel Steuern zahlen musst. Mein gesamtes Vermögen, es dürfte so 1 Million Euro sein, liegt daher auf dem Dachboden in den alten Holzkisten mit deinen Kinderbüchern. Mach was draus!

In Liebe.

Deine Tante Erna