Von Hubertus Heidloff

Das Telefon klingelt. Noch mal.

Nathalie nimmt den Hörer in die Hand:

„Nathalie Hörmann.“

„Wer hier spricht ist unwichtig. 

Ich möchte Ihnen nur etwas sagen.“

„Ja, bitte, was denn?“ Nathalie ist neugierig.

„Ich beobachte Sie in Ihrem Haus schon sehr lange.

Immer ist da was los.“

Nathalie: „Was soll denn da los sein?“

„Die Typen kommen und gehen.

Ich gebe zu, ich würde auch gern kommen.“

Nathalie: „Dann machen Sie es doch“

„Ich melde mich später noch mal.“

Aufgelegt. Eine weibliche Stimme.

 

Ich bin ein Briefkasten,

genauer gesagt, der an der Ecke zur Bäckerei,

du weißt bestimmt, wo das ist.

Die meiste Zeit hänge ich da nur so rum,

eigentlich immer.

Aber das ist ja nicht schlimm,

genug Menschen hängen ja auch nur so da rum.

Die finden es cool, mir wird manchmal heiß,

wenn die Sonne auf mein Dach prallt.

Aber ich sage euch, das ist nichts gegen die Zeit,

wenn mir Eiszapfen vor meiner breiten Öffnung wachsen.

 

Na gut, alles hat seine guten und schlechten Seiten.

Da muss ich euch was erzählen.

Ich kann als Briefkasten natürlich Briefe lesen. 

Heute  gibt es die ja nicht mehr so oft, 

Handy und smart- Dings machen Konkurrenz,

ich finde sie nicht gut.

Da können alle reingucken, nur ich nicht.

Aber was ich lese, da kriegt  ihr dicke  Augen.

Da schreibt Sergeji seiner Braut, nicht weiter erzählen,

Postgeheimnis,

er müsse sie unbedingt sehen.

 

Aber wenn es beim Sehen bliebe, 

tatsächlich will er sie nicht sehen, also soo doch, 

aber nicht um sie nur zu sehen,

sondern er möchte mit ihr auch was machen,

nein, nicht Kirschen pflücken oder Ponyreiten,

obwohl das mit dem Pony schon ganz nahe bei der Sache ist.

Er will ihr den Hengst machen. 

Was ist das denn, habe ich mich gefragt.

Dann hat Natalie, seine Braut geantwortet, nicht weitersagen,

sie freue sich auf ein Wiedersehen.

 

Wenn er den Hengst machen wolle, schrieb sie,

würde sie eine Gerte nehmen, wisst ihr so etwas wie eine Peitsche.

Ui, ui, ui habe ich mir gedacht.

Das ist doch nicht wahr. Er spielt den Hengst.

Warum will sie ihn denn dann mit der Peitsche strafen.

Hat er das verdient?

Jedes Mädchen liebt doch Pferde.

Warum  will sie ihn dann quälen?

 

Erneuter Anruf bei Nathalie.

„Ich bin es noch mal“, sagt die Unbekannte.

„Was wollen Sie von mir?“, fragt Nathalie.

„Darf ich du sagen? Du bist mir so vertraut!“

„Mir ist es egal. Wer bist denn du?“ Keine Reaktion.

„Jemand hat mir erzählt,  Du bekommst bald Besuch.

Da möchte ich dabei sein.“

Nathalie: „Dann komm doch, wenn Du mir vorher

sagst, wer Du bist.“

„Tut nichts zur Sache. Ich stehe nur so rum.“

Aufgelegt.

 

Stellt euch vor, in seinem nächsten Brief lese ich,

dass Sergeji einen Freund mitbringen will.

Der soll zuschauen.

Zuschauer sind immer gut, denke ich mir.

Wer möchte schon so eine Hengstparade allein machen

so ganz ohne Zuschauer. Ich wäre ja auch gern dabei. 

Aber ich hänge hier ja nur so rum und habe ein großes Maul.

Beim nächsten Brief schreibt Natalie, 

sie würde auch gern mit Fesseln arbeiten.

Oh Gott, jetzt fesselt sie den Armen, und der soll Hengst sein?

Geht doch gar nicht, ein Hengst lässt sich doch nicht fesseln.

Was ist denn d a s  für ein Hengst?

 

Ach ja, so ein Briefkasten bekommt schon allerhand mit.

Neulich höre ich doch aus der Wohnung über mir,

zur Bäckerei hin, ihr wisst schon, so seltsame Geräusche. 

Da scheinen zwei Fangen zu spielen, 

Stühle rutschen über den Boden, einer fällt um.

„Ruhe da!“ ruft Sergejs Freund Piotr, der auch oben wohnt

Ruhe! Nichts mehr zu hören. Lange Zeit. Türen schlagen.

Dann, später,  Sergejs Stimme: “Nathalie, wo bist du?“

„Ich der Küche“.  „Was machst du?“ „Mus.“ „Was für Mus?“

„Orgasmus“.

 

Ich weiß ja nicht, was das ist, aber es muss gut schmecken. 

Jedenfalls höre ich solche Geräusche, mit Stöhnen verbunden: 

„Oh, gut! …. Mehr“

 

Erneuter Anruf: Nathalie wird gestört, geht trotzdem zum Telefon. 

Die Unbekannte fängt sofort an:

„Ich sehe sehr gut und höre seeeehr gut. Mein Freund kann gut lesen.

Wir zwei möchten nur etwas mehr Beachtung. Du hast so viel Besuch.

Mein Freund und ich möchten auch Besuch haben. Er hängt und ich stehe

nur so rum. Schau zum Fenster raus und Du kannst mich sehen.“

Natalie sieht nur einen menschenleeren Platz und eine Telefonzelle.

 

Ja, wird denn Nathalie nie satt? Dann scheint Sergej dazu zu kommen.

„Ich will auch mal“, höre ich. „Ich bin noch nicht fertig“, jammert Piotr,

der sich schon eine ganze Weile in der Wohnung aufhält.

Die könnten doch zu dritt. Streiten sie sich jetzt etwa um das Mus?

Versteh ich nicht, muuuss ich ja auch nicht.

Als Nathalie später an mir vorbei will, um einen Bus zu bekommen,

geht sie ganz schön geknickt, also wackelig. Ist wahrscheinlich auch kein Wunder bei dem Mus.

 

Ganz oben wohnt Karin.

Ein hübsches Ding, kann ich euch sagen.

Kurven, so schnell kannst du gar nicht gucken.

Also, ich sehe durch mein breites Maul, es war schon schwer dunkel,

wie sie da mit einem Knaben geradewegs auf mich zukommt.

„Na ja, wird wohl nichts sein. Die können mir nichts“, denke ich mir.

Dann er: „Darf ich dir heute Nacht Honig um den Bauchnabel streichen?“

Sie: „Ich mag keinen Honig!“

Er: „Lass mich rein, bitte“.

Sie: „Geht nicht, Du weißt schon!“ Er: „Ist doch egal!“ 

Sie: „Außerdem könnte mein Mann heute früher zurück sein. Er fährt Lastwagen und hat mir angedeutet, dass er bald seine Ladung gelöscht hat.“

Mir wird schlecht. Ich als Briefkasten halte gar nichts vom Löschen. Da wird einem vorher so heiß. Das hab ich erst Silvester gemerkt, als einer sich einen Scherz erlauben wollte.

Da hat er etwas in mich rein gesteckt und dann angezündet. 

Was sollte ich machen? Ich musste es ausglühen lassen. 

Aber zurück zu Karin und ihrem Lover.

Der drückt sie doch glatt gegen mich. Ich kriege kaum noch Luft. Sie steht genau vor meiner Öffnung. Sie stöhnt: „Ooh, gut!“ Sie fragt mich nicht, ob es mir gut geht.

Irgendwann meint sie: „Komm hoch, sonst sieht uns noch einer. Der blöde Briefkasten drückt mich.“

Oh ja, denke ich, Dich möchte ich schon gerne drücken. Aber sie hat „blöd“ zu mir gesagt.

Dabei hänge ich doch bloß so rum. Wer war das noch, der mir seine Schraube in den Leib gebohrt hat, frage ich mich. Dann fällt es mir plötzlich wieder ein. Der schicke Kerl von um die Ecke, weißt Du, der aus der Bäckerei. Mir ist dabei ganz komisch geworden.

Kommt ja auch nicht jeden Tag vor, dass jemand Dich bohrt und schwupp, hängste  fest.

Also Karin und der Kerl verdrücken sich nach oben, in Karins Laube.

Möchte wissen, was da so schlimm ist, wenn ihr Mann früher kommt.

Dann lernt er wenigstens Wolfgang kennen. „Woffi“ hat ihn Karin einmal genannt. 

 

Ich kriege nichts mehr mit.

Ja, so ist das als Briefkasten, erst spielt sich alles vor deiner Nase ab, dann wird abgebrochen und sie verschwinden hinter der Tür. Tschüss denn. Ich erzähle Euch später einmal, wie es weiter ging.

Jetzt muss ich erst meine Freundin, die Telefonzelle grüßen. Die steht da und kann sich nicht bewegen. Wir zwei werden wohl nie zusammen kommen, es sei denn, jemand hängt mich an ihr auf.

 

V 2