Von Michael Voß

Die Stimme des Radiosprechers wird durch das Bimmeln der Freisprechanlage abgelöst. Harry Kaminski blickt zum Display im Armaturenbrett seines Transporters, registriert beiläufig eine unterdrückte Rufnummer und drückt die „Annehmen“-Taste im Lenkrad.

„Abflu …, hrm.“

Harry räuspert sich.

„Tut mir leid, Frosch im Hals.“

„Äh, kein Ding. Sie wurden mir als Problemlöser für heikle Fälle empfohlen.“

„Wenn sie eine Blockade beseitigt haben wollen, damit die Dinge wieder in Fluss kommen, sind sie bei mir richtig.“

„Gut, wie läuft das mit der Bezahlung? Mein Kontakt sagte mir, am besten in bar?“

Kontakt? Sagt man das jetzt so, wenn einem der Nachbar die Nummer eines Abflussdienstes weitergibt?

Schulterzuckend antwortet Harry: „Ja, funktioniert so am besten.“

„Wo soll ich Name, Adresse und Foto hinterlegen?“

Hinterlegen? Schriftlich? Foto?

Leicht irritiert antwortet Harry: „Sie können mir das auch am Telefon sagen und ich schreib´s auf. Foto brauche ich nicht.“

„Nein, nein, das könnte abgehört und rückverfolgt werden. Ich möchte die Sache auf jeden Fall anonym handhaben. Also, wo soll der Umschlag hin?“

Leute gibt´s, die gibt es gar nicht. Doch nach fünf Jahren im Rohrreinigungsgeschäft wundert sich Harry über nichts und niemanden mehr. Neulich erst war er bei so ´nem Aluhut-Männeken, der hinter seinem verstopften Klo eine staatliche gelenkte Gegenoffensive vermutete, um die Querdenker aus ihren Häusern zu jagen und festnehmen zu können. Vielleicht hat der um Anonymität bemühte Anrufer ja Angst vor einer Lokalisierung durch Aliens. So einen will Harry lieber nicht zum Briefkasten seiner Wohnung lotsen, wer weiß, was da noch kommt.

„Äh, ja, der Umschlag. Bringen sie den in die Hermannstraße, Ecke Schnaitweg. Da ist eine Reihe von Garagen. Auf einem der Tore ist ein Motorrad-Graffiti. Schieben Sie den Umschlag einfach unter dem Spalt durch.“

„Sehr gut! Das ist die professionelle Handhabung, die ich mir gewünscht habe. Die Anzahlung lege ich natürlich gleich dazu. Genauso wie die Nummer, an die Sie mir eine SMS nach Erledigung des Jobs senden. Okay?“

„Geht klar“, sagte Harry und legt auf.

Der Kerl hat definitiv einen an der Waffel.

Nach zwei Waschbecken, einem Bidet und einer Spülmaschine hat Harry Feierabend und lenkt den Transporter zur Garage, in der sein Bike auf den nächsten freien Tag wartet. Er öffnet das Schwingtor. Tatsächlich liegt dahinter ein brauner Umschlag auf dem Estrich, DIN A4, ohne Anschrift, ohne Absender.

Gedankenverloren tätschelt Harry die Sitzbank seiner Benelli TNT (Ciao Bella!), schließt die Garage ab und fährt zu seiner Wohnung.

Er schaltet die Espressomaschine ein und wiegt den Umschlag in seiner Hand. Wenn dieser Kasper da jetzt 100 Gramm Juckpulver reingetan hat …

Ach was! Harry schlitzt den Umschlag auf und entnimmt ihm zwei Hochglanzfotos eines Mannes, eine Visitenkarte, einen Zettel mit einer Handy-Nummer und fünftausend Euro in bar. Den Mann auf den Fotos kennt er, stinkreicher Kunde, 12-Zimmer-Villa mit 5 Bädern. Beste Keramik, erstklassige Armaturen. Der hochpreisige Glanz konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Hausbesitzer garantiert nicht einen Cent seiner Kohle auf legalem Weg erworben hat. Aber angerufen hatte der nicht, die Stimme am Telefon war eine andere. Was läuft hier eigentlich?

Harry hat keinen Schimmer. Seine Interessen sind seine Rohrreinigungsfirma, sein Bike, Fußball und am allermeisten Lisa, seine Verlobte. Die, die so gerne Tatort guckt, eine Sendung, bei der Harry meistens einschläft. Aber neulich war da sowas gewesen mit einem Auftragskiller. Und der …

Harry wird auf einmal ganz anders. Er greift zum Telefon und wählt 110.

Der Sheriff am anderen Ende nimmt ihn nicht ernst. Erst als Harry den Namen von Herrn Stinkereich nennt, wird er ganz hektisch.

 

Drei Tage später, im Lokalteil des Stadtanzeigers:

„Die Polizei hat der organisierten Kriminalität im Bereich des Immobiliensektors einen schweren Schlag zugefügt. Oskar M., bekannter Bauunternehmer aus der Südstadt, wollte seinen Mitbewerber Mulak Y. mit einem Auftragsmord aus dem Weg schaffen. Durch einen Zahlendreher in der Telefonnummer rief er jedoch statt des Killers einen ortsansässigen Handwerker an, um ihn mit dem Mord an Y. zu beauftragen. Dieser nahm zum Schein den Auftrag an und benachrichtigte die Polizei. Y. wurde von den Beamten an einen unbekannten Ort in Sicherheit gebracht und für erschossen erklärt. Als M. darauf die noch ausstehende Restrate für den Mordauftrag abgeben wollte, klickten die Handschellen. Damit war die Sache noch nicht beendet. Ein weiterer Hinweis veranlasste die Staatsanwaltschaft, die Häuser von Y. und M. zu durchsuchen. Dabei wurde umfangreiches Material gefunden, das Y. und M. der Steuerhinterziehung, Geldwäsche, Bestechung, des unlauteren Wettbewerbs und diverser Umweltdelikte belastet.“

Lisa blickt von der Zeitung auf.

„Ein starkes Stück, Harry. Ohne dich würden die beiden noch lustig weitermachen. Hast du eigentlich eine Belohnung bekommen?“

Harry buttert sein Frühstücksbrötchen.

„Nicht direkt. Es war ja auch nichts ausgeschrieben.“

„Und indirekt?“

Harry grinst: „Ein GANZ feines Waschbecken.“

„Dieses sündhaft teure Edelding, das du gestern Abend noch angebaut hast?“

„Genau das.“

Lisa runzelt die Stirn: „Ich komme einfach nicht dahinter, wer dir für deinen Einsatz ausgerechnet ein Waschbecken geben sollte.“

„Naja, eigentlich war ich das selbst.“

„Wie das?“

„Der Hinweis, Y.´s Villa zu durchsuchen, kam von mir. Weil nämlich, ich hab´ beim letzten Auftrag dort einen USB-Stick hinter einer Blende von einem der Wandanschlüsse gesehen. Da hat die Spurensicherung gesagt, ich soll sie begleiten.“

„Und dann?“

„Naja, der Stick war noch da. Den haben die Jungs natürlich ganz aufgeregt eingesackt. Sicherheitshalber sollte ich dann noch das ganze Becken abschrauben. Da war aber nix mehr. Also fingen die Jungs an, das ganze Haus auf den Kopp zu stellen. Für mich und das Waschbecken hat sich keine Sau mehr interessiert. Und bevor noch was damit passiert, hab´ ich´s lieber in Sicherheit gebracht.“

 

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