Von Hanne Laudan

Ich bin spät dran heute. Der Einkauf hat länger gedauert als sonst. Hoffentlich hat Martin schon das Essen vorbereitet. 

Als die Tür hinter mir ins Schloss fällt, höre ich seine Stimme aus dem Wohnzimmer: „Du, lass uns da später drüber reden. Nicht jetzt.“ Dann Schritte, ein Stuhl rückt und wieder seine Stimme: „Ja, ciao, ich melde mich.“  

Ich öffne die Tür zum Wohnzimmer. Mit dem Telefon in der Hand und einem Lächeln wendet er sich zu mir. 

„Hallo Schatz, wie war dein Tag?“ Ein flüchtiger Kuss auf die Stirn, er nimmt mir den Korb ab und geht Richtung Küche.

„Gut. Und deiner?“  

Seine Antwort aus der Küche kann ich nicht verstehen, nur ahnen. Alles normal, wie immer, oder so. Gekocht hat er auf keinen Fall, das sagt mir meine Nase. Es könnte noch was Kaltes geben, Brot oder Salat. 

 

Er kommt zurück: „Gut, dass du jetzt da bist. Kannst du dich ums Abendessen kümmern? Ich habe noch zu tun.“ 

Ich spüre seine Hand auf meiner Schulter und im nächsten Moment ist er in seinem Arbeitszimmer verschwunden. Was habe ich mir denn eingebildet. Der Herr Gatte hat zu tun. Ich war bloß arbeiten und einkaufen. 

 

Im Einkaufskorb ist nichts, was für ein schnelles Essen taugt. Ich öffne den Kühlschrank und sichte die Vorräte. Es läuft also auf Pasta Bolognese hinaus. Der Saucen-Rest von gestern reicht locker für uns beide. Nudeln sind immer da.  

Während ich die Lebensmittel aus dem Korb verstaue, erreicht das Wasser im Topf langsam den Siedepunkt. Ich gebe Penne hinzu und stelle die Sauce auf den Herd.  Jetzt noch Käse reiben. 

Es ist 19 Uhr. Meine Füße brennen. Ich will nur noch irgendwo sitzen und nichts mehr tun.

Martin ist im Homeoffice. Penne kochen, Sauce aufwärmen, Käse reiben, das wäre auch für einen Mann zu bewältigen gewesen. Wenn er denn Zeit hat. Telefonieren ist wichtiger. 

Mit wem eigentlich? Genau, das war unser privates Telefon, nicht sein Diensthandy. Also war es ein privates Gespräch. Hat er das Wochenende schon verplant. Es wäre nicht das erste Mal, dass Martin mit Freunden loszieht, Wandern oder Klettern. ‚Schatz, das brauch‘ ich einfach, wenn ich so den ganzen Tag in meinem Arbeitszimmer stecke.‘ 

Es muss Ewigkeiten her sein, dass wir das letzte Mal etwas gemeinsam unternommen haben. 

Wir essen schweigend. Martin liest nebenher Nachrichten auf seinem Handy. Ich betrachte sein Gesicht, beobachte, wie er kaut und wie seine Augen über das Display gleiten. Er bemerkt es nicht. Er ignoriert es. Mir fällt nichts ein, was ich sagen könnte, um das Schweigen zu durchbrechen. 

Es ist kurz nach acht. Martin ist zum Sport gegangen.  Ich hatte meinen Sport auf Arbeit. 

Kurz vor dem Krimi ruft Mutter an. Wir klären, was sie fürs Wochenende braucht. Als ich das Telefon zurückbringe, fällt mein Blick auf die letzte Nummer.  

Heinz, Paul, Mario und wie sie alle heißen, hat Martin mit Namen eingespeichert. Der letzte Anruf kam nicht von einem seiner Freunde. Es ist eine Ziffernfolge, die Vorwahl gehört zur Stadt. 

‚Lass uns später drüber reden.‘ Martins Stimme ploppt hoch. In meiner Erinnerung war da ein Unterton. 

Ich starre auf die Nummer.  Schlucke. Seine Stimme hatte sanft geklungen, fast ein bisschen zärtlich, so erscheint es mir jetzt. Der Verdacht ist da.

Ist er auch deswegen am Wochenende lieber allein unterwegs? Er ist nicht mit Paul und Mario wandern. Er trifft sich mit einer anderen. 

Mit einem Mal ist es sehr still im Raum. Ich höre mein Herz schlagen und die Zeiger der Uhr.  

Vielleicht irre ich mich. Bestimmt irre ich mich.  

Würde er so frech von unserem Telefon aus anrufen, um mit einer fremden Frau zu flirten?  

Ich werde ihn fragen, nachher, wenn er zurückkommt. Bis dahin gehe ich davon aus, dass er unschuldig ist. Der dunkle Fleck bleibt. Und die Stille im Raum.

Ich stelle Musik an, nehme mir eine Zeitschrift. Was Leichtes lesen, abschalten, nicht nachdenken, nicht grübeln. Ich blättere wahllos Seite für Seite um, nichts fängt meinen Blick oder weckt mein Interesse. 

Er könnte mit seiner Schwester gesprochen haben. Die hat doch ein neues Telefon, oder?  

Aber so spricht er nicht mit Heike, niemals. 

‚Ciao, ich melde mich’. Wie ein Verliebter. 

‚Ich melde mich. Wir reden später, nicht jetzt.‘ 

Weil ich gekommen bin und gestört habe. 

Ich gehe in die Küche und fülle ein Glas mit Wasser. Mit hastigen Schlucken trinke ich, halte mich am Schrank fest. Trinke noch ein zweites Glas. 

Ich spüre, wie sich Kälte in mir ausbreitet, die nicht nur vom Wasser kommt. 

Wie viele Worte habe ich heute schon mit meinem Mann gewechselt? Kaum ein Dutzend.  

Genauso wenige wie gestern und vorgestern und viele Tage vorher. Wann hat es angefangen, dass wir nicht mehr miteinander reden? Sucht er deswegen nach Wärme in einer anderen Stimme? 

Verdammt, jetzt fange ich schon an, mich selbst anzuklagen. Es gehören immer zwei dazu, wenn eine Beziehung stumm wird. 

Es hilft auch nicht zu grübeln. Ich werde ihn fragen. Morgen oder nachher, falls er nicht zu spät kommt. 

Ich schalte den Fernseher ein. Leute reden. Worte ohne Inhalt für mich. Aber zuhören ist besser als Nachdenken und sich erinnern, an Martins Stimme vorhin am Telefon. 

Mit kalten Füßen wache ich auf. Ich sitze halb schräg auf der Couch, der Fernseher läuft, jemand singt. Martin ist noch nicht zurück. Es ist elf Uhr.  

Vielleicht ist er auch gar nicht beim Sport …  

Es hat keinen Sinn zu warten. Ich bin müde und er wird sich auch damit rausreden, dass der Tag lang war. Ich kann genauso gut gleich ins Bett gehen. 

Schlafen kann ich nicht. Ich drehe mich von einer Seite auf die andere, lausche auf die Geräusche der Straße. Ignoriere den schmerzenden Punkt irgendwo zwischen Herz und Galle. Es wird sich alles aufklären. Ich werde Martin fragen und er wird lachen und die Sache aus der Welt schaffen.

Eine alte Schulfreundin könnte es gewesen sein. Besser ein Schulfreund. Ja, so wird es gewesen sein.

Irgendwann kommt er. Ich höre die Wohnungstür und gleich darauf Wasser im Bad. Wenige Augenblicke später höre ich seine Schritte neben dem Bett. Ich halte die Augen geschlossen.  

Vorsichtig tappende Füße auf dem Teppich. Er bemüht sich, mich nicht zu wecken.

Natürlich will er mich jetzt nicht wecken. Er will keine Fragen. Nicht jetzt und überhaupt nie. Ein kleiner Luftzug, als er die Bettdecke anhebt, ein kurzes Ruckeln der Matratze. Bald schon ist sein Atem leicht und gleichmäßig. Er schläft.

Ich starre an die Decke. Vorbeifahrende Autos zeichnen Muster auf die Fläche. Darauf tanzen Gesichter von Frauen. Blonde, brünette, jung und lachend. Voller Lebensfreude.

Voller Schadenfreude.

Ich schließe die Augen, höre wieder seine Stimme von vorhin am Telefon.  

Atemübung. Vier Sekunden ein, sechs halten, acht aus. Noch einmal und immer wieder. Die Gesichter lassen sich nicht vertreiben.

Schließlich stehe ich auf. Im Bad halte ich mein Gesicht unter kaltes Wasser. Der große Spiegel zeigt mir meine müden Augen.

Ich betrachte meinen Körper. Doch, ich habe mich gut gehalten, wie man so sagt. Ich bin viel in Bewegung, das sieht man mir an.

Ich müsste mal wieder zum Frisör.

Und ändert das etwas? ‚Alles wie gehabt?‘ Ja, klar, die gleiche Farbe, der gleiche Schnitt, ich habe morgens keine Zeit für Frisur und Trallala, das muss schnell gehen. Es ändert nichts.

Ist es das? Bin ich langweilig? Vorhersehbar?

Was, wenn er mich verlassen will? Ich halte die Luft an, atme dann langsam aus. Blicke mir in die Augen.

Ja, was wäre, wenn? Was würde sich ändern für mich?

Ich müsste umziehen. – Aber Martin will renovieren, das nimmt sich nichts.

Ich müsste mit meinem Gehalt auskommen. – Das ist kein Problem. Ich übernehme schon jetzt die meisten Alltagsausgaben

 Ich wäre immer allein. –

Bin ich schon, meistens jedenfalls.

Ich presse meine Fingernägel in den Handballen. Die Erkenntnis trifft mich mit Wucht.

Ich bin schon allein. Schon lange.

Ohne Martin müsste ich nicht mehr auf ihn warten. Ich müsste keine Rücksicht nehmen, könnte für mich entscheiden.

Wieso ist mir das noch nie aufgefallen?

Ich beuge mich nach vorn, ganz dicht an mein Spiegelbild, blicke mir in die Augen. –  Es ist egal, mit wem er telefoniert hat.

„Und was jetzt?“ Ich nicke mir zu. Lächle mir zu. Ich fühle mich seltsam aufgeregt.

Ich werde nicht mehr warten. Ich werde mich morgen auf Arbeit abmelden, habe genug Überstunden. Martin ist im Homeoffice, er wird sich Zeit nehmen.

Es ist zwei Uhr. Ich habe noch vier Stunden Zeit mir zu überlegen, was ich vom Leben will. Vielleicht auch ein wenig zu schlafen.

Morgen werden wir reden. Ausgang offen.

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