Von Gabriele Sodeur

Für mich war es von Anfang an das Allerhöchste. 

Im wahrsten Sinne des Wortes: hoch über den Dächern unserer Stadt im eigenen Penthouse zu leben. Am liebsten sitze ich abends mit Sibylle draußen auf der Terrasse mit einem Sundowner in der Hand, über uns nur der Sternenhimmel und am Horizont die Silhouette der Alpen. Stundenlang kann ich das genießen und mich so von dem anstrengenden Job in meinem Büro erholen. Auch Sibylle hat sich m.E., nach einer anfänglichen Eingewöhnungsphase, hier in der Stadt gut eingelebt. Sie bleibt meist nicht ganz so lang mit mir auf der Terrasse sitzen sondern geht noch zum Joggen runter in den Park und genießt es, dass der nur einen Katzensprung von uns entfernt liegt. Damit sie sich nach drei Jahren aber jetzt n o c h  wohler fühlt in unserer Wohnung, will ich die Wände streichen lassen, die waren jetzt lange genug weiß. Es soll eine Überraschung werden, für Sibylle, zu ihrem Geburtstag. 

Am besten kann das wohl meine Rose, meine langjährige verlässliche Sekretärin, für mich  organisieren. Sie macht wirklich alles für mich, wenn ich sie nett darum bitte, was mir bei ihr auch nicht besonders schwerfällt:   

„Rose, wären Sie so lieb und treiben einen Maler auf, damit er mit meiner Frau an ihrem Geburtstag einen Termin ausmacht? Sie soll die Wände in unserer Wohnung ganz nach ihrem Geschmack gestalten, ihrer Fantasie ganz freien Lauf lassen.“ 

„Schön, dass Sie sich auch nach drei Jahren immer noch so wohl in Ihrer Wohnung fühlen, Chef! Und Ihre Frau, ist sie inzwischen auch mit der Stadtwohnung zufrieden oder hätte sie doch lieber ein Haus im Grünen gehabt?“

„Nein, nein, Rose, ich habe schon seit längerem das Gefühl, dass sie sich hier mitten in der Stadt sogar besonders wohlfühlt. Sie geht abends oft noch zum Joggen in den Park hinterm Haus oder auch schon mal mit Freundinnen ins Kino. Sie genießt es zunehmend alles zu Fuß erreichen zu können!“  

*

O mein lieber Chef, wenn Du doch nur nicht so gutmütig und blauäugig wärst! Das sind zwar zwei Eigenschaften, die ich besonders an Dir mag, aber mir bricht fast das Herz, wenn ich sehe, wie die erste Eigenschaft von deiner Frau ausgenutzt wird und die zweite das einfach nicht bemerkt. 

Nach der Arbeit bin ich öfter mit dem Fahrrad unterwegs und da hab ich deine Frau schon manchmal gesehen, wie sie in ein Haus am Rande des Parks „gejoggt“ ist und letztens war i c h mit Freundinnen im Kino und da kam sie in männlicher Begleitung. Regelrecht reingeschlichen haben sich die beiden im Dunkeln und prompt zwei Reihen vor uns hingesetzt, die Köpfe die ganze Zeit eng beieinander. Ob die viel von dem Film mitgekriegt haben?                                                                                                                     

Natürlich habe ich für Madame einen Maler besorgt, der sie an ihrem Geburtstag um halb zehn anrufen wird. Ihr Mann will um diese Zeit im Nebenzimmer sein, um ihre Überraschung live mitzuerleben.  

*                                                                                                            

„Ja, bitte?“

„Schatz. Ich …“ 

Sibylle unterbricht sofort den Anrufer: “Mein Gott“, zischt sie „ich hab dir doch gesagt, dass du mich nicht zu Hause anrufen sollst, das gilt auch für meinen Geburtstag! Ich glaube, mein Mann ist im Nebenzimmer und kann alles mithören …“

Der kommt, ungläubig blickend, schlafwandlerisch langsam aus dem Nebenzimmer zu Sibylle rüber: 

„Ja – das tut er und er weiß wirklich nicht, warum dich der Malermeister Schatz  nicht anrufen soll, um mit dir einen Termin zum Streichen der Wände auszumachen? Das sollte mein Geburtstagsgeschenk für dich sein!“ Er zögert kurz, schluckt und fährt dann aber mit fester Stimme fort:

„Gib mir mal den Hörer,  ich mach mit Herrn Schatz wohl lieber selber einen Termin aus.“ Seine Stimme ist jetzt sehr laut und akzentuiert:

„Ich glaube, d i r müssen die neuen Farben der Wände nicht mehr gefallen,  mein S c h a t z !“ 

 

V3