Von Joschi Mansfield

Stille. Konzentriert horche ich in die Stille hinein. Kein Wort. Noch nicht mal sein Atmen ist zu hören.

Atmete er nicht mehr? Hielt er den Atem an? Atmete er in ein Tuch? Atmete er in den Rollkragen seines Pullovers? Was für seltsame Gedanken mich durchzucken, während ich versuche ihn zu begreifen. Was tut er da? Warum sagt er nichts? Trägt er einen Rollkragenpullover und wenn ja, ist das wichtig für mich? Vielleicht trägt er nichts? Warum finde ich das nicht anrüchig oder bedrohlich?

Um mich herum ist es fast dunkel. Nur ein kleines Teelicht unterstreicht meine Stimmung. 

Diese Anrufe, immer nachts, jede Nacht. Ich habe mich daran gewöhnt. Es klingelt, ich höre ihn atmen, er spricht nicht mit mir, kein Wort, keinen Ton und manchmal höre ich auch kein atmen. 

Minutenlang. Wer bist Du? Warum sagst Du nichts? Warum gibst du dich nicht zu erkennen? Ist das eine Falle? Ich werde auflegen. Und dann werde ich mich wie immer stundenlang damit beschäftigen, ob es nicht besser gewesen wäre noch etwas zu warten. Vielleicht hätte er sich doch noch zu erkennen gegeben. 

Ich bin immer zu ungeduldig. Das hat schon mein Eddi immer gesagt.

„Gerda“, hat Eddi gesagt, „Du bist immer zu ungeduldig!“ Ja, das hat er gesagt. Immer.

„Gerda“, hat Eddi mich weiter geschimpft, „jetzt warte doch mal ab! Sei nicht immer so ungeduldig!“

Ja, Eddi hat mich immer geschimpft und nun ist er tot. Einfach gegangen und ich bin allein.

Meine Gedanken schweifen oft ab, sie schweifen zurück in die Zeit mit Eddi.

Eddi hätte auch einen Mann, der nicht spricht oder dessen Atmen man nicht hören kann, geschimpft, da bin ich sicher. 

Er hätte ihn gefragt, wer er denn wäre und was er denn wolle und warum er spät in der Nacht noch nicht schliefe, so wie es sich gehöre! Und er hätte ihn geschimpft, weil er nichts sage!!

Aber ich habe mich an diese nächtlichen Anrufe gewöhnt. Die ersten Male waren sehr unheimlich. Ich hatte große Angst. Man hat schließlich schon viel darüber gehört, wie gefährlich das werden kann. Man muss sehr vorsichtig sein, ich habe mal gelesen, dass man am besten selbst nichts sagt. 

Ich will ihn auch nicht verschrecken, ich würde die Zeit mit ihm inzwischen vermissen. 

Ich werde ruhig und geduldig sein und vielleicht spricht er dann endlich mit mir.

Minuten verstreichen, ich muss weinen. Ganz plötzlich vermisse ich Eddi so sehr, dass es fast körperlich schmerzt. Ich muss auflegen. 

Oh Eddi, ich rufe Dich morgen wieder an.