Von Gabriele Lengemann

Im November 1991 zerbrach meine bis dahin wichtigste Beziehung. 

Das ganze Jahr war geprägt von Streitereien und gegenseitigen Vorwürfen. Schließlich hielt ich es nicht mehr aus und packte meine Sachen. 

Viel war es nicht. Ich war mit kleinem Gepäck bei Astrid eingezogen, hatte bis dahin bei meiner Mutter gewohnt.

Astrid war meine erste große Liebe. Ich war zwanzig, als ich mich in sie verliebte, aber nach zwei Jahren des Zusammenlebens war nichts mehr übrig von den anfänglichen großen Gefühlen. Ich musste raus aus der Beziehung, alles nervte mich an Astrid, ihr Anblick, ihre Stimme, es ging einfach nicht mehr.  

 

Im Grunde bin ich nicht kompromissbereit und gern allein. Nicht gemacht für die Langstrecke in der Zweisamkeit. In den folgenden Jahren habe ich das immer wieder festgestellt.  Meine anfängliche Verliebtheit verfliegt schnell und dann ist es auch schon wieder vorbei und ich beende die Beziehung. 

 

Die Trennung von Astrid damals hat jedoch sehr geschmerzt und ich war ziemlich verzweifelt. 

Ich zog zu meiner Schwester Katharina.  Meine Schwester ist zehn Jahre älter als ich. Sie lebte allein in einer großen, teuren Wohnung und hatte ebenfalls eine Trennung hinter sich. Ihr Freund war im selben Jahr ausgezogen, an dem rabenschwarzen Julitag, an dem Boris Becker gegen Michael Stich das Finale in Wimbledon verlor. 

Meine Schwester freute sich, als ich einzog. 

Wir vereinbarten einen Mietpreis für ein Zimmer und so war uns beiden gedient, dachten wir. Eigentlich war eher mir gedient. Ich wurde umsorgt, bekocht, meine Wäsche wurde gewaschen und als ich mir eine schlimme Erkältung mit Fieber zuzog, hat meine Schwester mich gepflegt.

 

Wenn ich es mir recht überlege, konnte ich nicht viel zurückgeben. Ich war mürrisch, mundfaul und habe mich am liebsten verkrochen mit meinen enttäuschten Gefühlen und badete in Selbstmitleid. Ich habe mich dafür gehasst, aber ich schaffte es nicht, mein Verhalten zu ändern. 

Statt mit Katharina auf das Neue Jahr anzustoßen, bin ich am Silvesterabend um 21 Uhr vom liebevoll gedeckten Tisch aufgestanden und ins Bett gegangen.

 

Als meine Schwester auch von der heftigen Erkältung heimgesucht wurde, habe ich ihr von den Tabletten gegeben, die der Arzt mir gegen das Fieber und die Gliederschmerzen verordnet hatte und sie hat weiter für mich gekocht.

 

Es gab aber eine Sache, mit der ich sie immer zum Lachen bringen konnte und die unser stilles, trauriges Zusammenleben auflockerte.

 

Katharinas Telefonnummer war ganz ähnlich der eines Möbelhauses unweit ihrer Wohnung. Es gab immer mal Anrufer, die beim Möbelhaus anrufen wollten und bei Katharina landeten. Ihr war das lästig, sie erklärte den Leuten, dass sie sich verwählt hätten und legte auf. 

Ich aber, der sonst den ganzen Tag den Mund nicht aufbekam, fand Spaß daran, die Anrufer an der Nase herumzuführen. Ich klärte sie nicht über ihren Irrtum auf, sondern gab mich als Mitarbeiter des Möbelmarktes aus und begann sie in Gespräche zu verwickeln. Ich vereinbarte Liefertermine, räumte Preisnachlässe ein und nahm Reklamationen entgegen. 

 

Katharina fand das lustig und es war schön für mich, sie zum Lachen zu bringen. 

So lief ich immer mehr zu Höchstformen auf. Wenn Katharina abnahm, verband sie an ihren Kollegen aus dem Küchenstudio oder ins Lager, je nachdem was die Leute an Wünschen vorbrachten und der Kollege enttäuschte sie nicht.

 

Einmal habe ich behauptet, dass eine bestellte Schrankwand nur in zwanzig Einzellieferungen geliefert werden könne. 

Zunächst würden nur die Türen geliefert und danach die einzelnen Regalteile. Der Anrufer hat entrüstet den Hörer aufgeknallt und wir haben uns kaputtgelacht.

 

Bevor wir zur Arbeit gingen, haben wir immer gemeinsam gefrühstückt und wenn dann morgens schon das Möbelhaus verlangt wurde, hatte Katharina Probleme, das Lachen zu unterdrücken, ohne sich am Kaffee zu verschlucken.

So fing der Tag für uns beide gut an.

 

Damals gab es noch kein Display am Telefon, das die gewählte Verbindung anzeigt und niemals hat jemand zweimal angerufen. So haben wir nie Ärger bekommen und seltsamerweise hatten wir auch kein schlechtes Gewissen.

 

Trotz der besseren Technik geht ja heutzutage auch oft genug bei Lieferterminen und Reklamationen etwas schief.

Im Frühsommer 1992 habe ich dann eine neue Frau kennengelernt und habe mir mit ihr zusammen eine Wohnung angemietet.

Mir meiner Schwester habe ich nie wieder zusammengewohnt.

Sie ist mittlerweile seit fünfundzwanzig Jahren verheiratet und hat zwei erwachsene Kinder. Ich habe so oft meine Wohnorte und meine Frauen gewechselt, dass ich es kaum noch zählen kann und zurzeit bin ich wieder allein. 

Vorhin hat meine Schwester angerufen. Sie hat mir alles Glück der Welt für das Neue Jahr gewünscht und dass mir noch eine ganz große Liebe begegnet.

„Ja und noch etwas“, sagte sie, nachdem sie sich schon verabschiedet hatte, „bevor ich es vergesse, wann kommt endlich die nächste Lieferung für die Schrankwand?

 

                                                                Version 2