Von Yvonne Tunnat

Klingeln. Ich wache auf, stoße mit dem Kopf gegen etwas Hartes. Holz. Was macht Holz in meinem Bett? Wieso ist es dunkel? Ah, meine Augen sind noch zu. Vorsichtig öffne ich erst das linke, dann das rechte. Ich liege auf dem Fußboden. Unter meinem Bücherbord. Das erklärt das Holz über meinem Kopf.

Ich rolle darunter hervor. Wieder Klingeln. Ich hebe einen Arm und taste auf meinem Nachttisch nach dem Handy, ziehe es zu mir hinunter, halte es ans Ohr “Ja, bitte?” Nichts. Ich habe auch nichts gemacht, nicht gewischt. Ich starre das Handy an. Es ist dunkel. Auch wenn ich den Knopf an der Seite berühre. Dunkel. Aus. Akku leer. Was klingelt dann?

Ein anderes Telefon habe ich nicht. Vielleicht unter mir? Über mir? Ich setze mich auf, reibe meine schmerzenden Augen. Muss die Stauballergie sein. Warum bin ich unter dem Bücherbord eingeschlafen? Immerhin bin ich offenbar gut nach Hause gekommen und habe mir auch ordnungsgemäß den Schlafanzug angezogen.

Der Kater kommt herein, streicht um meine Beine und meinen Rücken. Es klingelt wieder.

“Miau.“ Der Kater läuft auf den Flur. Ich folge ihm. Offenbar weiß er Bescheid. Er steht vor der Wohnungstür und miaut. Schaut sogar hoch zum Türöffner. Ach so. Die Tür.

Ich schlurfe zur Gegensprechanlage: „Ja?“

„Ihre Pizza ist da. Machen Sie auf bitte?“

Die Uhr über der Tür zeigt acht Uhr morgens an.

Pizza?

„Hat jemand Pizza bestellt?“ frage ich in die Wohnung. Niemand antwortet. Ich wohne ja auch alleine und hatte daher nicht mit einer Antwort gerechnet. Nur der Kater guckt mich erwartungsvoll an. Er steht auf Pizza Frutti di Mare, aber er klaut immer nur die Shrimps.

„Sind Shrimps auf der Pizza?“, frage ich in den Hörer, dem Kater zuliebe.

„Hä?“

„Shrimps. Sie wissen schon, tote Meeresfrüchte.“

„Wer ist tot?“

„Die Shrimps”, antwortete ich geduldig.

„Kenn ich nicht”, sagt die Stimme.

Toll. Ein Pizzalieferant, der keine Shrimps kennt.

„Macht nichts”, sag ich solidarisch. Er klingt nett. „Ich auch nicht.“

„Dann ist es ja auch egal, wenn der Arsch tot ist“, sagt er. „Machst du jetzt auf?“

„Aber ich will keine Pizza”, sage ich. „Der Kater auch nicht.“

Zustimmendes Miauen. Ohne Shrimps ist Pizza ihm nichts wert.

„Wieso bestellst du dann welche?“ Er klingt verärgert.

„Hab ich doch gar nicht.“

Er schweigt. Ich stelle mir sein verzweifeltes Gesicht vor, da steht er da in der Januarkälte mit Pizza ohne Shrimps und keiner will sie. Ich krieg Mitleid.

„Was is’n drauf?“, frag ich. Der Kater will das auch wissen, er schleicht vorsorglich um meine Beine.

„Wo drauf?“, fragt er.

„Auf der Pizza.“ Ich finde, dass ich echt geduldig bin für diese Uhrzeit.

„Welche Pizza?“ Mann, der ist ja echt noch nicht ganz wach. „Mach doch endlich auf!“

„Ich muss erst gucken, ob ich Geld habe. Vielleicht habe ich gestern alles versoffen.“

Er schweigt. Er findet vielleicht saufende Frauen unattraktiv.

Ich warte eine volle Minute. Er sagt nichts mehr, also lege ich auf und geh wieder pennen. Diesmal ins Bett. Der Kater legt sich dazu. Das wärmt extra.

 

Am nächsten Morgen klingelt es wieder. Ich öffne die Augen und sehe den laufenden Fernseher. Der Ton ist ganz leise. Offenbar bin ich mitten im Nostalgie-Tatort mit Schimanski eingeschlafen. Auf dem Sofa. Es klingelt erneut. Das Geräusch kenne ich von gestern, und gehe zielsicher zur Tür, antworte, noch bevor es zum zweiten Mal klingeln kann.

„Ja?“, frage ich.

„Morgenzeitung, kannst du bitte aufmachen?“

Komisch. Die Stimme kommt mir bekannt vor. Ich schweige verwirrt.

„Mach auf bitte”, wiederholt er.

„Hast du nicht gestern noch Pizza geliefert?“

Heutzutage sind die Leute echt flexibel. Gestern noch Pizzamann, heute Zeitungsausträger. Schade, dass er keine Pizza dabei hat. Heute hab ich Lust auf ein Katerfrühstück. Der Kater auch. Er miaut sehnsuchtsvoll.

„Morgenzeitung“, wiederholt der ehemalige Pizzamann.

„Das kann man ja nicht essen.“ Ich bin enttäuscht. Nicht mal der Kater würde Zeitung essen, höchstens auseinander beißen.

„Was steht denn drin?“, frag ich.

„Woher soll ich das wissen? Mach auf!“

„Wieso, ist kalt draußen?“

Er schweigt. Ist er jetzt sauer auf mich?

„Was steht denn auf dem Titelblatt?“, frage ich als Versöhnungsangebot.

„Wir haben einen neuen Papst.“

Ich schaue den Kater mit weit aufgerissenen Augen an. Er schaut zurück, mit Pokerface. Neuer Papst? „Was ist denn mit dem alten passiert?“, frage ich vorsichtig. Ist das nicht ein Job auf Lebenszeit?

„War alt. Ist tot. Machst du jetzt auf?“

„Nee, ist ja deprimierend”, erwidere ich. „Der Papst tot. Der Arme.“

Ich leg lieber auf. Der Kater guckt mich zickig an. Ich muss ihm später vielleicht Pizza backen. Aber erst mal schlafen.

 

Auch am nächsten Tag klingelt es wieder. Inzwischen bin ich Profi. Gestern weder Schnaps noch Schimanski. Ich liege sogar im Bett. Bin schnell und frisch an der Gegensprechanlage.

„Ja?“

„Werbung. Bitte aufmachen.“

Wieder die gleiche Stimme. Vielleicht liegt’s doch am Sound des Hörers.

„Warst du nicht gestern noch Zeitungsausträger und vorgestern Pizzalieferant? Ohne Shrimps?“, frage ich.

„Hm”, macht er, klingt unbestimmt, weder nach ja noch nach nein.

„Mach doch bitte auf! Werbung.“

„Wofür denn?“ Wieder höre ich ihn rascheln.

„Föhn”, sagt er.

„Bitte?“

„FÖHN!“, ruft er. Der Hörer dröhnt.

„Für wie viel?“

„19,99.“

„Wie viel kosten Föhne denn sonst so?“, frage ich.

„19,99.“

„Ich meine normalerweise? Das ist doch sicher ’n Angebot.“

„19,99. Ist Angebot”, sagt er.

„Ich föhne mich nie”, teile ich ihm mit. „Davon gehen die Spitzen kaputt. Also hab ich keinen Föhn.“

„Kannst du kaufen”, schlägt er vor. „19,99.“

Ich denke nach. „Nee. Lieber nicht. Was gibt’s ‘n sonst so?“

„Mach auf, dann leg ich dir Werbung in’ Briefkasten.“ Ha, der Typ ist clever!

„Nee, sach mal!“, fordere ich ihn auf.

„Lockenwickler.“

„Für wie viel?“

„3,99.“

„Ich will lieber keine Locken haben. Vielleicht seh‘ ich damit scheiße aus.“

„Du siehst nicht scheiße aus”, sagt er.

„Weißt du doch gar nicht.“

„Deine Stimme ist schön.“

Ich werde rot im Wohnungsflur. Der Kater streicht mir um die Beine.

„Herzförmige Teelichter. 4,99.“, liest er vor. Ich schweige betreten.

„Hast du einen Freund?“

Der geht aber ran.

„Ich möchte lieber keinen haben”, sag ich.

„Warum nicht?“

„Weil ich dann bestimmt Geld ausgeben muss für Föhn, Lockenwickler und Teelichter.“

„Alles zusammen 28,97“, antwortet er prompt.

„So schnell kann ich aber nicht rechnen.“ Ich bin beeindruckt.

„Steht hier drauf. Paket mit Föhn, Lockenwickler und Teelichter, 28,97.“

„Komische Mischung.“

„Ist gut für dich, kannst du kaufen und dann ‘nen Freund kriegen”, regt er an. „Ist ein Paket für Frauen, die bald einen Freund kriegen.“

„Steht das da auch?“

„Nee.“ Er lacht ein bisschen. Sein Lachen klingt so unverstellt, dass ich mitlachen muss.

„Mach auf!“

Ich weiß ja, warum er bei mir klingelt und nicht bei den anderen. Mein Name steht ganz oben, denn ich wohne ganz oben. Kann den Hausflur mit den Briefkästen von meiner Wohnungstür aus nicht sehen.

Die Pizza war sicher gelogen. Die Morgenzeitung womöglich auch. Die Werbung stimmt vielleicht. Ehrlichkeit siegt bei mir. Ich würde ihm ja jetzt die Haustür öffnen. Aber mein Türöffner ist schon seit Wochen kaputt. Ich zögere kurz, dann sage ich zum Kater: “Warte hier. Ich gehe runter und mach dem Typen mal auf.”

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