Von Björn D. Neumann
Hömma! Kannze mal eben anpacken? Ich habs im Kreuz. Aaah, danke. Seit fast zwanzig Jahren stehe ich jetzt hier mit meinen sieben Kollegen und halte den Kasten zusammen. Park hamse datt hier genannt. Kannze dir datt vorstellen? Haste schon mal nen Park mit nur einem Rasen und sonst nix gesehen? Keine Blümkes, keine Bäume, keine Sträucher, nix. Nee, nee, hör mich auf, da wollte der Chef mal wieder nur Kohle machen. Aber war auch bitter nötig, den Namen zu verscherbeln. Die Kassen waren leer und man sprach schon von der Pathologie der Traditionsvereine, auf der wir liegen würden. Iss ja noch mal gut gegangen. Hat aber Nerven gekostet. Aber datt iss hier trotzdem kein Park, datt iss ein Tempel. Und zwar der schönste inne Welt. Da kann die „Turnhalle“ inne verbotenen Stadt, oder das „Schlauchboot“ namens Arroganz-Arena nicht mithalten. Datt ham sogar die Engländer gesacht und die müssen et ja wissen, wonnich? Die ham den ganzen Zirkus schließlich erfunden.
Ob ich auch Hochdeutsch kann? Na, klaro! Wir sind schließlich mittlerweile ein internationales, börsennotiertes Unternehmen. Also zum Mitschreiben, ich arbeite am W-e-s-t-f-a-l-e-n-s-t-a-d-i-o-n. Oder besser gesagt, ich bin ein Teil davon. Mit meinen Kollegen sorge ich für die nötige Stabilität und achte darauf, dass den Leuten das Dach nicht auf den Kopf fällt. Schon von weitem kann man uns sehen. Wenn ich meinen Blick über Dortmund schweifen lasse, dann sind wir schon so etwas wie das Wahrzeichen der Stadt. Okay, Okay, es gibt auch noch den Hoesch-Gasometer, die Westfalenhalle, oder das Dortmunder „U“. Aber ich mit meinen Brüdern, wir sind schon sowas wie die Zierde einer Krone. Sozusagend die Krönung. Am schönsten ist es abends, wenn wir angestrahlt werden. Wirklich majestätisch. Nee, ich bin nicht eingebildet, aber jedes zweite Wochenende kommen die Leute, nur um uns zu besuchen. Und das sind eine Menge. Alleine auf der Seite, auf der ich stehe, der legendären „gelben Wand“, sind es 25.000. Insgesamt sogar über 80.000. Das sind schon Verrückte. Jede Woche kommen die. Bei Wind und Wetter. Und ein Lärm ist das. Gut, dass ich keine Ohren habe und nur schlecht höre. Aber das Vibrieren, wenn alle auf der Tribüne gleichzeitig hüpfen und singen, das geht mir durch Mark und Bein. Ein berühmter Fußballreporter hat es mal mit Klangteppichen beschrieben, die durch das Stadion wabern. Das trifft es ziemlich gut. Am liebsten habe ich es, wenn die Fans ein bestimmtes Lied singen. Immer so kurz bevor es richtig los geht. Es ist ein langsamer Song. Aber alle im Stadion singen es so voller Inbrunst und recken ihre Schals in die Höhe. Es ist englisch und kommt, wie ich gehört habe, eigentlich von einem anderen Verein. Es soll davon handeln, dass egal was auch passiert, man niemals alleine ist. Schön. Leider stehe ich ja nur hinter dieser „gelben Wand“. Da haben es einige meiner Kollegen besser. Ich würde schon gerne sehen, was sich da 90 Minuten lang abspielt. Aber gefühlsmäßig bekomme ich alles mit. Das sind schon Emotionen – ich würde fast sagen – „echte Liebe“.
Was haben wir hier schon alles erlebt. „Ich Felipe aus!“ damals gegen Malaga oder das „Köln führt!“, als wir 2011 die hässliche Salatschüssel zurückgeholt haben. Apropos 2011. Mein Gott, war das eine geile Zeit. Ich habe ja direkten Blick schräg rüber zur Trainerbank und obwohl ich ja nur ein Stahlpfosten bin, war ich ein kleines bisschen verliebt in den Kerl. Seit „der Pöhler“ nicht mehr da ist, ist alles schon ein wenig trauriger geworden. Kloppo hatte immer gewusst, was für ein magischer Ort das hier ist. Er wusste, wie man diesen Tempel in Ekstase versetzen konnte und hat die Klaviatur der Emotionen perfekt beherrscht und eingesetzt. Ein regelrechter „Menschenfänger“. Ich gerate ins Schwärmen. Gut, dass ich keine Tränchen vergießen kann, sonst würde ich noch Rost ansetzen. 2015 als er gegangen ist, haben viele geweint. Wie sagte er selbst so passend? „Es ist nicht wichtig, was die Leute über einen denken, wenn man ankommt. Es ist wichtig, was sie denken, wenn man geht.“ Überhaupt, wenn eine unserer Legenden geht, fließen immer Tränen. Ob es der Kokser war, Flemming Povlsen oder der kleine Brasilianer Dede.
Und jetzt diese elende Pandemie. Nee, das macht keinen Spaß. So ganz ohne meine Freunde, ohne den Geruch von Bratwurst und Bier. Wenn keiner da ist, halte ich nur Beton und Stahl zusammen – kein Leben, keine Emotionen. Nur das monotone „Plopp, Plopp“ des getretenen Balles, unterbrochen von den Rufen der Protagnisten und der schrillen Pfeife des Unparteiischen. Grausam. Das hat mit dem, was hier so geliebt wird, nichts, aber auch wirklich gar nichts zu tun. Geisterspiele, pah. Dann ist das hier wirklich ein Park, jedenfalls von der Ruhe her. Unser Chef hat gesagt, wir machen das nur, um den Leuten ein wenig Freude in diesen Zeiten nach Hause zu bringen. Ja nee, ist klar. Gott sei Dank ist der Tempel bald wieder annähernd voll, obwohl … Sorgen mache ich mir um meine Besucher schon. Ist ja noch nicht vorbei diese Pandemie im Gegenteil. Und auch diejenigen, die immer durch den Leim dieses fantastischen Vereins zusammengekittet waren, sind mehr und mehr gespalten. Aber letztendlich bleiben doch alles Borussen. Schließlich heißt es ja in unserem Vereinslied „Wir halten fest und treu zusammen“ und so wird es auch dieses Mal sein.
Es kommen wieder bessere Zeiten. Bestimmt!
Wir werden wieder zusammen sein. Eine Dreifaltigkeit aus Mannschaft, Fans und Stadion. Einzeln genommen ein Nichts, zusammen eine Macht.
Gemeinsam „You’ll never walk alone“ singen.
Der Tag wird kommen, an dem das Wichtigste auf der Welt dieser eine Augenblick ist, in dem sich der Ball vor der gelben Wand zeitlupenartig in den Winkel dreht. In dem wir uns in den Armen liegen und einfach nur diesen einen Moment genießen.
Diesen einen Moment, an dem die Welt für einen kurzen Augenblick stillsteht und ein scheiß Virus aus unseren Gedanken verschwindet.
So, jetzt geht es wieder – ich nehm dir das mal wieder ab. Danke fürs Halten, aber so wie Du anpackst, iss so als ob zwei loslassen tun. Trotzdem schön, dass du zugehört hast – mit so einer alten Pylone redet ja sonst keiner. Wie, du kannst die ganze Aufregung nicht verstehen? Dann ist deine Perspektive aber ganz schön verschoben. Besorg dich ne Katte fürs nächste Spiel. Wenn du das einmal erlebt hast, lässt es dich nie wieder los.
„Walk on, walk on, with hope in your hearts …“
Für immer Westfalenstadion!
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Quelle: www.Signal-Iduna-Park.de