Von Dagmar Droste
„Schön“, sprach es zu sich, „wirklich schön“, strahlend schaute es in den Spiegel. Karl hatte ihm die Möglichkeit gegeben. Sein Mund formte ein Lächeln, das die blendend weißen Beißerchen freigab. Er fuhr mit seiner Zunge über die Schneidezähne, zog gleichzeitig die Augenbrauen hoch, pustete die Wangen auf, um mit einem lauten, heftigen Psst den Spiegel mit seinem Atem in ein undurchsichtiges Glas zu verwandeln. Professionelle, faltenreduzierende Gesichtsgymnastik nannte er das.
„Da staunst du, wie erlesen geschliffen ich bin. Was schaust du so kritisch? Stört dich etwas an mir? Hoffentlich denkst du daran, wie viel ich erleiden musste nach unserem ersten Zusammenbiss, als du einen Teil von mir im Keks verbohrt hast. Das Einfügen meiner Kollegen war nicht so ohne. Dir macht das alles nichts, du sitzt dabei, schaust zu und gibst Anweisungen: hier ein bisschen ab, dort ein wenig glatter. Etwas mehr Gefühl hätte ich dir schon zugetraut.
Du hast ein merkwürdiges Beiß- und Kauverhalten. Beim Müsli wirst du nervös, schiebst das Essen durch die Mundhöhle, bis die breiige Konsistenz an meinen Rändern haftet. Da musst du nicht maulen, wenn jede Fuge maurergerecht verfüllt wird. Auch Himbeeren brachten dich im Lokal zu ungeahnten, teils unanständigen Bewegungen. Du kippeltest auf deinem Stuhl, fummeltest mit der Zunge außerhalb des Mundes herum, stöhntest vor angeblichen Schmerzen, die ein Himbeerkorn verursacht haben sollte. Die zwei Damen am gegenüberstehenden Tisch setzten sich auffordernd in Szene, formten ihre rosaroten Lippen zu einem Kussmund, warfen dir aus lang bewimperten Augen intensive Blicke zu. Und was sollte das neulich überhaupt? Wolltest du deine Freundin loswerden oder demonstrieren, dass mit mir etwas nicht in Ordnung ist, als du mit mir geklappert hast? Bin ich eine Kastagnette?
Deinen Putzwahn könntest du bremsen. Jeden Abend finde ich mich im Becher wieder. Was sagt eigentlich deine Freundin zu abendlichen zahnlosen Gute-Nacht-Küssen? Kaum vorstellbar, dass es ohne mich leidenschaftliche Nächte geben soll. Ich glaube, dass du mich für zerbrechlich hältst, aber eine heiße Nacht vertrage ich schon.
Auffällig, wie ich bin, könnte ich als Model tätig werden, entweder mit dir oder gerne auch ohne dich. Du wolltest mich in blendend weiß und gleichmäßig. Die Konsequenz ist: Die Show gehört mir!
Du trafst im vollbesetzten Restaurant deine Bekannte Gardy, bedachtest sie mit einem zauberhaften Lächeln. Sie war so begeistert von mir, dass sie durch den Saal rief:
‚Hey Karl, toll, hast du neue Zähne?‘.“
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