Von Monika Heil

Ich habe keine Ahnung, wie lang sich der Weg noch hinziehen wird, aber ich lasse mich durch nichts und niemanden entmutigen. Ich nicht! Dazu bin ich viel zu ehrgeizig. Dennoch – vielleicht ist die Strecke doch eine zu ambitionierte Aufgabe für die Zeit, die mir bleibt. Eines weiß ich sicher, es ist unbedingt wichtig, das Ziel vor Einbruch der Dunkelheit zu erreichen. Also muss ich mein Tempo sorgfältig planen. Denn zurück muss ich den ganzen Weg ja auch noch schaffen. Mir ist so heiß. 

 

Die Sonne steht schon im Zenit. Da, die Äste des Petersilienbaumes können mir Schatten bieten. Später, auf freier Strecke zwischen den Gemüsebeeten gibt es kein Entrinnen. Da bin ich der Mittagshitze unbarmherzig ausgesetzt. Andererseits komme ich dort schneller voran. Das muss ich unbedingt ausnutzen. Also Tempo anziehen. Leider kann ich nicht verhindern, dass eine lange, feuchte Schweiß- und Schleimspur meinen Weg markiert. Das ist wirklich doof. Hoffentlich folgt mir niemand. Umdrehen will ich mich nicht. Das kostet einfach zu viel Zeit. Ich muss meine Kräfte einteilen. Vor mir liegt das Ziel. 

 

Mir ist wichtig, im Hellen wieder bei Schneck anzukommen, ihn und seine liebevolle Gegenwart zu spüren und zu genießen. Unbedingt! Nur das zählt. Schneck wird mich beschützen, auch wenn ich sein Haus nicht betreten kann. Er hat es mir versprochen, kurz nachdem wir uns auf dem Salatblatt nahe dem Komposthaufen kennengelernt hatten. Wie lange ist das her? Ich weiß es nicht. Mit meinem Zeitgefühl steht es nicht zum besten.  Eines ist klar – wenn ich es bis zu seinem Grundstück im gelben Blumenbeet schaffte, wäre ich nicht mehr so einsam wie in den letzten Wochen. Das allein ist der Grund für meinen Aufbruch.

Ja, ich war einsam in meiner Ehe. Besonders seit meine Kinder nicht mehr leben. Der Vater der armen Kleinen ging immer öfters seine eigenen Wege. Und ich war ganz allein.

 

Eines Tages traf ich Schneck. Wir kamen ins Plaudern. Warum nur bin ich nicht sofort mit ihm gegangen? Ich erinnere mich immer wieder voller Sehnsucht an seinen liebevollen Blick und sein zaghaftes Werben. Sehr bald schon hat er mich gefragt: 

„Willst du mitkommen?“ Und ich dumme Schnecke bestand darauf, noch einmal nach Hause zu schleichen. Ich wollte meinem Mann das Abendessen mit diesen lila Körnern zubereiten, die der Menschenmann an den Wegrand gestreut hatte. Ich dachte …

Oh Mist, wie fällt mir das Atmen schwer. Nicht denken, Kräfte sammeln, Muskeln zusammenziehen, Muskeln strecken, Muskeln zusammenziehen, Muskeln strecken. Vorwärts, vorwärts, Welle um Welle, Meter um Meter.

 

***

Plötzlich ein Rauschen, ein Flügelschlagen, eine Gefahr! Und dann nichts mehr. Stille und ewige Dunkelheit.

 

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