Von Katharina Rieder

Bevor es mit mir zu Ende ging, spürte ich ihre wohlig warmen Finger, die mich sorgfältig auspackten und zärtlich berührten. Der Raum war hell erleuchtet. Es duftete nach Kümmel, Koriander, Kurkuma und frischen Pfefferkörnern, die Leandra kurz zuvor liebevoll im Mörser zerstoßen hatte. Dabei hatte ihr ganzer Körper gebebt, ihre Wangen geglüht und eine Schweißperle hatte sich auf ihrer glatten Stirn gebildet. 

„Für ein hervorragendes indisches Curry braucht es Geduld und Mut!“, sagte sie entschlossen, verrührte die Zutaten im Kochtopf und lächelte zu mir herab. „Deine Zeit ist noch nicht gekommen!“

Ich war nur noch Einer. Meine Brüder und Schwestern hatten sich schon alle vor mir aufgelöst. Ich war der letzte meiner Art und wartete auf meinen Moment. Leandra fischte im Regal hinter ihr nach einer Zimtstange und ließ sie in die brodelnde Masse gleiten. Plötzlich hörte ich ein Plätschern, sah dann ein nasses Bund Koriander auf mich zukommen. Ein Wassertropfen benetzte mich und setzte würziges Aroma frei. Ein großes Messer fuhr auf das Grün herab und zerhackte es. Die kühle Arbeitsplatte unter mir vibrierte und ein feines Fitzelchen des Korianders vereinte sich mit der durch den Wassertropfen durchfeuchteten Ecke meines Daseins. Leandra strich die Kräuter auf die Längsseite des Messers. Dabei durchbohrte die Messerspitze eines meiner Enden. Ich bröckelte. 

„Ach, Herrje!“, rief Leandra aus und schob mich mit dem kleinen Finger aus der Schusslinie. 

Plötzlich streifte ein holziger Arm die Seite meines kompakten Körpers. Ein Hauch von Zitrone vermischte sich mit den wohltuenden Gerüchen, die den Raum belebten. Ich verweilte neben einer Ingwerwurzel, nahm wahr, wie der Koriander von der Klinge in den Topf rieselte. Er vermischte sich unter ständigem Rühren mit den anderen Zutaten. Der Kochlöffel zog kreisend durch das Curry. Leandras Brust wippte dabei im Takt. Sie streckte sich nach oben, ihre Finger tasteten nach den Nelken, schoben sich immer weiter nach hinten ins Regal. Dabei rutschte das Paprikapulver bedrohlich nahe an die Kante. Der halbe Dosenboden warf bereits seinen Schatten auf mich. Sie wackelte, glitt schließlich über den Rand und plumpste in die köchelnde Masse. Es spritzte in alle Richtungen. Leandra sprang nach hinten, legte ihre rechte Hand auf ihr Herz. Direkt neben mir landete ein dicker, gelber Klecks der Köstlichkeit. Leandras Zeigefinger kam auf mich zu, wischte sorgfältig über den Fleck. Sie öffnete den Mund, eine rosarote, feuchte Zunge kam zum Vorschein und schleckte genüsslich die Sauce vom Finger. 

„Hm, herrlich. Aber irgendetwas fehlt noch“, meinte sie und wusch sich die Hände. 

‚Ich! Ich fehle noch!‘ 

Leandra fischte das Paprikapulver mit einem kleinen Sieb aus dem Topf. „So eine Sauerei!“, rief sie aus, als es erneut heiß von Dose und Sieb auf die Arbeitsplatte tropfte. Helle Kinderstimmen tönten durch die Wohnung. Die Türe zur Küche wurde aufgerissen. 

„Hallo Mama! Wir sind wieder da!“

„Ja, kaum zu überhören!“

Leandras Mundwinkel zuckten. Sie wischte ihre Hände auf der Schürze ab und streifte zärtlich über die Köpfe ihrer Mädchen. 

„Das Essen ist bald fertig! Deckt schon mal den Tisch!“

„Ich möchte lieber hier bei dir bleiben und zugucken! Darf ich? Bitte, bitte!“, bettelte die Kleinere. 

Leandra hob ihre Tochter auf die Arbeitsplatte. Die Beine des Mädchens baumelten in der Luft und stießen gegen die Schubladen. Es vibrierte. Im Hintergrund klapperte Geschirr. 

„Gehört der auch noch rein?“, fragte sie ihre Mutter und deutete auf mich. 

„Ja, gib ihn mir mal rüber. Er wird dem Curry den letzten Schliff geben!“ 

Ich ruhte für kurze Zeit zwischen Daumen und Zeigefinger und wanderte in Leandras Hand. Sie streckte ihren Arm über dem Topf aus. Es wurde heiß, der aufsteigende Dampf streifte mein Ich. Ihre Finger rieben sich an mir, kleine Bestandteile meiner Selbst bröckelten in die blubbernde Masse und verschmolzen mit ihr, für immer. Unsere Aromen vermischten sich miteinander. Wir wurden Eins.  

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