Von Björn D. Neumann

Die beiden Jungen saßen auf dem Bett, als es an der Tür klopfte. Edward, der Ältere, ebenso wie sein Bruder ganz in Schwarz gekleidet, befahl den ungebetenen Gast hinein. Seine Stimme hatte, trotz der jungen 13 Jahre, schon einen gebieterisch aristokratischen Klang.

Ein Ritter betrat das Zimmer und verlangte mit verschränkten Armen zu wissen: „Wo ist Eure Mutter, Sire? Ich habe eine Botschaft für sie.“

Edward hob eine Augenbraue. „Erstens, Sir George, kniet Ihr gefälligst vor Eurem designierten König nieder. Zweitens, geht es Euch einen feuchten Dreck an, wo sich meine Mutter befindet und Drittens, wünsche ich meinen Onkel zu sprechen.“

Sir George rang sichtbar um Haltung, beugte aber widerwillig das Knie. „Verzeiht, Sire.“ Dann stand er mit einem bösen Lächeln im Gesicht wieder auf. „Ich muss Euch allerdings darüber aufklären, dass Ihr mitnichten König wart, seid oder jemals werdet. Und das ist die Botschaft, die ich Eurer sauberen Frau Mutter zu überbringen habe.“ 

„Was erlaubt Ihr Euch? Mein Onkel bereitet in diesem Moment meine Krönung vor. Ihr werdet Eure Worte bitter bereuen!“

Sir George ließ nun jede Zurückhaltung fallen. „Nichts dergleichen werde ich, Bübchen. Ihr seid ein Bastard und Eure Mutter nicht länger Königinwitwe. Der Bischof von Bath and Wells hat soeben die Ehe mit Eurem verstorbenen Vater, Edward IV., als illegitim erklärt. Euer Onkel wird noch diesen Monat als Richard III. gekrönt.“ 

„Was für ein Schurkenstück soll das sein? Ich bin der legitime Sohn des letzten Königs.“

„Aber unehelich, da Euer Vater vorher Lady Eleonore Talbot das Eheversprechen gegeben hat. Die skandalöse Ehe Eurer Mutter war null und nichtig. Ihr seid ein Garnichts.“ 

Das Gesicht des Prinzen nahm eine noch bleichere Gesichtsfarbe an, als die feine aristokratische Blässe, die ihn und seinen Bruder zum Ebenbild der weißen Rose im Familienwappen der Lancaster-Familie werden ließ. Die Ehe seiner Mutter war in der Tat ein Skandal gewesen. König Edward, ein York, heiratete heimlich Elizabeth Woodville, eine Lancastrianerin, die weit unter seinem Stand war. All das wusste der Prinz, auch dass diese Hochzeit den Rosenkrieg der Häuser York und Lancaster erneut aufflammen ließ. Aber dass diese Ehe ungültig sein sollte, war ein neuer Schlag und er konnte nur vermuten, dass sein Onkel Richard, der Earl of Gloucester, dahintersteckte. Obwohl er die Prinzen immer höflich behandelte, war jedem bewusst, wie leidenschaftlich er ihre Mutter hasste. Und so, als ob er durch seine Gedanken dreimal den Teufel gerufen hätte, stand sein Onkel unvermittelt in der Tür.

Jetzt erstmals machte sich der zwei Jahre jüngere Prinz Richard bermerkbar. Mit tränenerstickter Stimme fragte er: „Onkel Richard, Onkel Richard. Stimmt das, was der böse Mann sagt?“

„Verdammt Shrewsbury!“, ermahnte ihn sein Bruder. „Benimm dich wie ein Prinz!“

Sanft legte der bucklige Richard den Arm um seinen Neffen und Namensvetter. „Mach dir keine Sorgen, Richard. Alles wird gut.“ Dann wandte er sich seinem anderen Neffen zu. „Und Ihr, kostbarer Prinz Edward, so leid es mir tut, werdet in der Tat nicht König. Auch wenn es mich in der Seele schmerzt, wird das Parlament so entscheiden – man hat mir die Krone schon angetragen. Schweren Herzens habe ich dem Wunsch entsprochen.“

„Mutter wird das zu verhindern wissen!“

„Nun, geliebter Neffe, Eure Mutter hat sich samt Euren Schwestern ins Kirchenasyl begeben. Offenbar traut sie mir nicht. Jammerschade, aber wohl nicht zu ändern.“ Richard drehte bei seinen Worten versonnen seinen prächtigen Rubinring und ergötzte sich an dem Funkeln im Fackelschein.

„Verräter!“, spie der Prinz aus. Die Ohrfeige seines Onkels traf ihn unvorbereitet. Taumelnd hielt er sich sein Gesicht.

„Ich verzeihe dir noch einmal diese Unverschämtheit. Auch Ihr steht nicht über dem Gesetz oder der Kirche. George, ich bin besorgt um die Sicherheit der Prinzen. Bringt sie in den Tower und sorgt für ihr wohlbefinden.“

***

„Ich will zu unserer Mutter“, jammerte Richard. Seit mehreren Wochen saßen die Prinzen nun im Tower. Abgeschnitten von der Außenwelt. Zwar hatte das Zimmer jeglichen Komfort und auch die Verpflegung ließ keine Wünsche übrig, aber sie saßen fest. 

„Oh, Du elender Jammerlappen. Reiß dich zusammen!“ Edward platzte mal wieder der Kragen. Obwohl nur zwei Jahre älter, war er der weitaus Erwachsenere der beiden. Und egal, ob York oder Lancaster, es war das aufbrausende Plantagenet-Blut, das in aller Adern floß. „Mutter wird unsere Verbündeten versammeln und dann holt sie uns hier raus und der Ursupator wird zur Hölle geschickt.“ 

Es klopfte an der Tür und Sir George betrat mit einem Tablett beladen den Raum.

„Ah, da kommt unser Frühstück. Setzt Euch, Sir George und speist mit uns.“ Der Ritter war der einzige Kontakt der beiden Jungen und mit den Tagen und Wochen entwickelte sich fast eine Freundschaft zwischen den Prinzen und ihrem Kerkermeister.

„Meine Prinzen, ich hoffe Ihr hattet eine angenehme Nacht.“

„Den Umständen entsprechend. Erweist mir doch die Ehre, dass Ihr meinen Bruder bei dieser Partie Schach ablöst. Er ist alles andere als ein ebenbürtiger Gegner und Schach ist die einzige Freude meiner Gefangenschaft. Ich vermisse die ritterliche Ausbildung sehr.“ Mit einer einladenden Geste wies Edward auf den Schachtisch in einer Nische des Zimmers. Die ersten Figuren waren schon bewegt. „Ihr habt Schwarz, Herr Ritter.“

„Das war mir schon klar, dass Ihr mich in den ausweglosen Kampf schickt“, sagte George nach einem prüfenden Blick auf das Spielfeld.

„Noch seid Ihr nicht mattgesetzt, Sir George. Aber berichtet mir, was geht bei Hofe vor sich?“

Sir George senkte den Blick. „Ihr werdet es nicht gerne hören und wieder muss ich den Unglücksboten spielen, aber das Parlament hat die Annullierung der Ehe Eurer Eltern mit dem Dokument ‚Titulus Regius‘ bestätigt. So leid es mir tut, seid Ihr nun auch offiziell nicht mehr der Thronerbe.“

„So ist die Spitzbüberei meines Onkels wohl geglückt. Wann wird er gekrönt?“ Wie auf ein Zeichen, erklangen in diesem Moment alle Kirchenglocken der Stadt. „Gott stehe uns bei“, seufzte Edward und stieß den weißen König als Zeichen der Niederlage um.

***

Am Abend brachte Sir George keine Speisen. Mit gesenktem Kopf betrat er die Gemächer der Prinzen. „Sirs, Euer Onkel wurde tatsächlich zum König gekrönt.“

„Das hatten wir bereits aus dem Gebimmel zu unchristlicher Zeit geschlossen. Aber obwohl dies unerfreuliche Nachrichten sind, soll es doch kein Grund zum Fasten sein, oder? Wo ist unser Abendmahl.“

Der Ritter senkte den Blick. „Verzeiht mein Prinz.“ George räusperte sich. „Der König …“

„Mann Gottes, stammelt nicht herum. Was will unser Onkel? Den Treueschwur? Dass wir ins Exil gehen?“ Nun war es Prinz Edward, der um Fassung rang. Je länger der Ritter schwieg, so stärker wuchs in ihm eine schreckliche Gewissheit. „Mein Gott, das ist nicht sein Ernst. Mein Bruder ist noch ein Kind.“

„Es tut mir so leid. Wenn ich eine Wahl hätte …“

„Die habt Ihr, Sir George. Unsere Familie ist vermögend.“

„Glaubt mir. Es bricht mir das Herz.“ Mit schweren Schritten bewegte der Ritter sich auf die Prinzen zu und sein Schatten legte sich auf die weiße Rose Lancasters.

***

„Habt Ihr Euren Auftrag erledigt, Sir George?“ König Richard III. trommelte ungeduldig mit den behandschuhten Fingern auf der Tischplatte.

„Ich habe getan, was getan werden musste, Sire.“

„Gut, gut. So sei meine Krone gesichert. Sie wiegt wahrlich schwer.“

***

„Brüder, wir haben einen neuen König.“ Aufgeregt lief der alte Mönch durch den Klostergarten.

Die beiden Novizen, gerade beschäftigt das Unkraut zu jäten, sahen sich ungläubig an.

Der Ältere richtet sich auf und befreite seine Kutte von der Erde des Beets. „Was redest Du, Bruder Matthew?“

„Henry, der Gemahl der Woodville-Tochter Elizabeth von York, hat König Richard bei Bosworth vernichtend geschlagen und sich noch auf dem Schlachtfeld die Krone als Henry VII. auf den Kopf gesetzt, Bruder Simon.“

Simon musste lächeln. Versonnen schlug er dem jüngeren Novizen auf die Schulter. „Ich glaube diese weiße Rose, die wir hier unter all den Roten gepflanzt haben, wird prächtig blühen.“

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