von Clara Sinn

Ich war nicht

Postbote fragt Kinder, wo Mama ist

in der Lage.

Mir die Überschrift entgehen lassen zu können. Wie ich es, bei dieser Zeitung, in jedem Falle gewollt hätte. Nicht die Lettern waren zu groß, zu auffällig gesetzt, zu schnörkelig, mein Fokus war eingekracht.

Hatte sich meine Aufmerksamkeit schon so wildfremd lenken lassen, konnte ich immer noch dem Text widerstehen: Mit dieser Antwort hatte er nicht gerechnet …

Ich ziehe es vor, mir meine eigene Geschichte zu spinnen. Male mir unwillkürlich ein heruntergekommenes Viertel aus mit Kriminellen aller Arten, dann doch eine gepflegte Vorortsiedlung in einer Kleinstadt der Vereinigten Staaten wie in einem schlechten Film.

Aber mit der willentlich konstruierten Geschichte will und will es heute nicht klappen. Gut so, denn ich bin angekommen. Am Counter empfängt mich Maria mit in ihrer gewohnt überschwänglichen Art, dann kriege ich noch mit, wie sie hinter ihrer Theke vorkommt und auf den großen Ficus zusteuert. In letzter Zeit bringt sie ihre Kinder öfter mit, hat ihnen, im Schutz des duldsamen Baumes, einen regelrechten Spielplatz eingerichtet.

Ich muss am Aufzug lange warten. Die beiden Kleinen rennen im Kreis um mich her, dann schnurstracks Richtung Eingangsportal. Den armen Postboten nieten sie fast um, er balanciert, wie immer, zu viele Pakete in den seltsam ausladend gebogenen Armen. „Na, wo ist denn eure Mama …?“ Ich vermag nicht zu entscheiden, ob es tadelnd oder liebevoll gemeint ist, da hauen ihm die zwei Wilden mit ihren Holzschwertern synchron auf die beiden Schienbeine. Ins klägliche „Au-aahhh“-Aufjaulen hinein klingelt mein Lift.

Ich gehe an der Schreibtischreihe vorbei, nicke unmerklich. Ich weiß noch nicht, dass er mich verlassen wird, übrigens unfreiwillig, freue mich drauf, ihn gleich zu sehen, wenn auch nur kurz, wir haben beschlossen, uns nicht zu outen. Über allem der Geruch nach frischem Kaffee, Gott sei Dank hab ich mit all dem nichts zu tun.

Es sollte ein Milchschäumer angeschafft werden, aber nicht alle wollten sich an den Kosten beteiligen. Das gute Stück wurde schließlich von einer kleinen Fangruppe erworben, die auch den exklusiven Zugang dazu hatte, versteht sich. Der Schuss ist nach hinten losgegangen.

Der supertolle Aufschäumer für alle Sorten von Milch und Alternativen erwies sich als pferdefüßig. Jeden Abend musste nämlich das benutzte Gerät von jemandem gereinigt werden, was gar nicht so einfach war, weil man den Kasten halb auseinander bauen musste, um den Milchtank händisch heiß auszuspülen und eigentlich auch die beiden  Zulaufschläuche. Dazu war eine komplizierte Rotationsliste einzuhalten, bei der man sich immer abzustimmen hatte, wer an welchem Tag wie lange bleiben musste, weil er ja nur als Letzter gehen konnte.  

V1/2755