Von Sabine Rickert

Elli hatte ihren kleinen Trolley im Flur geparkt und zog sich für die Abreise an. Drei Tage mit ihrer besten Freundin Marie, die in Hamburg studierte. Sie hatten vor, zusammen zu shoppen und sich einige Sehenswürdigkeiten anzusehen. Der Höhepunkt ihres Besuches würde ein gemeinsamer Filmabend, mit Popcorn und Cola auf Maries Couch.

Urlaub, das hieß: Keine Termine, Meetings oder Deadlines. Sie wiederholte den Gedankengang dreimal, bis er körperlich wirkte, und sich so langsam ein wohliges Gefühl einstellte. 

Die letzten drei Wochen waren anstrengend, sie hatte es sich verdient. Beschwingt nahm sie den Koffer und verließ euphorisch ihre Wohnung.

Der ICE nach Hamburg fuhr pünktlich vom Hauptbahnhof Essen ab. Sie hatte jetzt drei Stunden Zeit für ein Buch und ein kleines Frühstück. Sie richtete sich an ihrem Fensterplatz gemütlich ein.

Nach etwa vierzig Minuten blieb der Zug mitten im Nirgendwo stehen. Es geschah erst einmal gar nichts. Keine einzige Durchsage! Sie standen nur so herum. Eine viertel Stunde später kam dann endlich eine Auskunft:

*„Liebe Fahrgäste, wir stehen vorm roten Signal, weil der Abschnitt vor uns von unserem Vorzug besetzt ist. Davor steht der Vorzug unseres Vorzuges. Wie Sie sehen, ist die Bahn ein System mit vielen Vorzügen. Heute ist es besonders vorzüglich.“

Elli war verdutzt: „Für diese Info haben die aber eine Weile recherchiert, oder der frisch angestellte Komiker bastelte so lange an dieser kreativen Meldung.“ 

Sie hatte extra einen ICE gebucht, damit es auf der Reise so wenig Überraschungen wie möglich gibt. Doch man steckte nicht drin. Mit dem Auto auf der Autobahn ist es ebenfalls abenteuerlich, hier brauchte sie nicht aktiv zu werden, nur lesen. Mit diesen Gedanken beruhigte sie sich selber. Sie lehnte sich gemütlich zurück und vertiefte sich wieder in ihren Roman. Nach einer halben Stunde fuhren sie weiter. Vierzig Minuten später erreichten sie den Hauptbahnhof von Osnabrück, dort hatte der Zug einen kurzen ungeplanten Aufenthalt. Sie holte sich einen Kaffee aus dem Servicebereich. Ihrer Freundin hatte sie schon die Verspätung per Handy mitgeteilt. Unverhofft riss sie die nächste Information aus ihrem Roman:

*„Liebe Fahrgäste, ich habe gute und schlechte Nachrichten. Schlecht: Von der Lok sind alle Triebwerke ausgefallen. Gut: Wir sind kein Flugzeug.“

„Mein Gott, und was jetzt?“, fragte sich Elli. Prompt kam die Antwort.

„Bitte begeben sie sich zu Gleis zehn, dort haben wir für sie einen Ersatz-ICE bereitgestellt. Abfahrt nach Hamburg in 5 Minuten. Danke für ihr Verständnis.“

„Ich habe aber kein Verständnis“, nuschelte Elli leise. Sie zog unwillig den Koffer aus der Ablage und schloss sich den anderen Mitreisenden mürrisch an. Mit großem Gedrängel und sportlichem Treppenlauf erreichten sie gemeinsam den Ersatzzug. 

„Das war gesund für den Kreislauf, das brauche ich bei einer übersichtlichen Reisezeit nicht. Ich sitze gerne drei Stunden still“, murmelte Elli vor sich hin. In diesem Moment kam ihr Marie in den Sinn, und wie sie sie vermisste. Sie hatte ihre Freundin zwei Jahre nicht mehr gesehen. Seit der Grundschulzeit waren sie beste Freundinnen und bis zum Beginn ihrer Studienzeit unzertrennlich. „Sie ist meine Seelenverwandte“, grübelte Elli. Das war jetzt schon eine lange Trennungszeit. Der Nebenjob, der die Uni und ihre Wohnung finanzierte, war anstrengend. Das Lernen nahm ebenfalls Zeit in Anspruch. Doch in diesen Semesterferien nutzte sie die Gelegenheit, um Urlaub zu nehmen.

Marie und Elli trafen sich zwar regelmäßig über Skype oder Apple Facetime, aber das war nicht dasselbe. Sie würde so gerne wieder mit ihr eine Filmnacht vor dem Fernseher verbringen. Das war ihr gemeinsames Hobby. Sie liebten amerikanische Liebesfilme. Je schnulziger umso besser. Sie hatten immer eine Menge Spaß und der Gesprächsstoff ist bis jetzt nie ausgegangen.

Die nächste Durchsage riss Elli aus ihren Gedanken, sie standen an irgendeinem Bahnhof. Es stiegen viele Reisende zu. Sie sah draußen das Schild vom Hauptbahnhof Bremen und war erleichtert. Dann ist es nicht mehr lange bis Hamburg, etwa eine Stunde.

#„Liebe Fahrgäste, bitte nicht in den Türen stehen bleiben! Wenn sie die Türen kaufen wollen: Ich weiß, wo man die bekommt.“

„Witzbold, wenigstens wird man unterhalten. Ich glaube, der Lokführer hat eine Überdosis Stimmungsaufheller gelutscht“, sinnierte Elli.

Der Zug stand eine Weile, das Gedrängel im Gang war groß.

#„Hinten gibt es auch noch ganz viele offene Türen. Die fahren alle in die gleiche Richtung.“

Der Zug setzte sich in Bewegung und die nächst Mitteilung ergab, dass sie Hamburg in einer Stunde erreichen werden.

„Eine lange Zeit für die Deutsche Bahn, um sich einen neuen Unsinn auszudenken“, sagte Elli laut.

Die anderen Fahrgäste stimmten ihr zu.

Kurz vor Hamburg wurde der Zug langsamer. Gleich hatte sie es geschafft! Mit nur etwa einer Stunde Verspätung, bei einer Drei-Stundenfahrt, das ist zu ertragen. Elli entspannte sich etwas.

Kaum war der Satz von ihr zu Ende gedacht, kam die nächste unerfreuliche Bahn-Durchsage. 

*„Entschuldigen sie bitte die Verzögerung. Wir warten darauf, dass der Zug an Bahnsteig 8 abfährt. Das Problem: ich bin als Lokführer genau dieses Zuges vorgesehen. Deshalb weiß ich momentan nicht, wie wir das lösen können.“

„Das ist jetzt nicht wahr, ich bin fast am Ziel, aber komme nicht raus?“, stöhnte Elli. Sie schrieb ihrer Freundin, dass sie feststeckte und nicht genau wisse, wann der Zug einfährt. Marie hatte die Verzögerung ebenfalls mitbekommen und war dabei, sich vor Ort zu erkundigen.

„Zu früh gefreut“, sagte Elli zu ihrer Nachbarin. Sie hatte ein dringendes Bedürfnis, und fragte diese, ob sie eben auf ihren Koffer achtgeben würde. Beim Erreichen der Toilette traf sie auf eine schimpfende Menschenschlange. Das Klo war belegt und keiner kam heraus oder rein. Die Toilettenmeute wurde immer wütender. Elli suchte das nächste WC auf. Dort war ebenfalls ein Dauergast einsässig.

„Was ist das hier?“, rief sie in die Menge. „Hat wohl keinen Fahrschein!“, erwiderten einige.

„Wer ist in der Lage, die Person zu entfernen?“

„Sehen sie hier Personal, junge Frau?“, antwortete ein älterer Herr.

Frustriert suchte Elli den Servicebereich auf. Dort war kein Mensch. Geschlossen! Da fiel ihr ein, den letzten Kaffee hatte sie in dem defekten Zug geholt, der mit dem Triebwerkschaden. Es wurde bei ihr immer dringender.

„Wenn ich mich wieder hinsetze, ist es besser auszuhalten“, überlegte sich Elli. Sie lief zurück zu ihren Platz, und schaute etwas verkrampft drein, derweil sie sich bei der Nachbarin für die Kofferbetreuung bedankte. Sie informierte ihre Freundin über die momentane Problematik mit dem Zug und den Toiletten. Marie hatte indes garnichts aus den Damen hinter der Information im Hamburger Hauptbahnhof herausbekommen. Die schwiegen wie ein Grab. „Entweder wissen sie nichts oder sie sind hochrangige Geheimnisträger der Bundesbahn“, teilte sie Elli mit.

Nach einer halben Stunde, für Elli eine gefühlte Ewigkeit, setzte sich der Zug langsam in Bewegung und kurz darauf kam die erlösende Durchsage:

*„Liebe Fahrgäste, es riecht hier nach Elbe und Alsterwasser. Wir erreichen Hamburg. Sie haben Anschluss an einen EC nach Padborg über irgendwelche dänischen Dörfer, die ich nicht aussprechen kann.“

Etwas vorsichtig in ihren Bewegungen stieg Elli aus dem Zug und hielt Ausschau nach Marie. Sie konzentrierte sich, damit kein Malheur passierte. Auf einmal stand sie vor ihr, ihre beste Freundin. Sie fielen sich kurz in die Arme. Zügig schob Marie Elli auf dem schnellsten Weg zur Toilette. Denn sie sah ihr den Kampf mit dem Körper deutlich im Gesicht an. 

Als Elli wiederkam, nahm sie Marie überglücklich in die Arme und genoss diesen wunderbaren Augenblick. 

 

                                           Das Geheimnis

                                          Glücklicher Menschen ist,

                                   Die Fähigkeit, die Schönheit eines 

                          Momentes zu erkennen, und dankbar dafür zu sein.

 

*Quelle: X>BahnAnsagen = BahnAnsagen twitter.com

#Quelle: facebook.com/Bahn-Ansagen

 

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